Vegesack. Rainer Buchholz hat dieser Tage Post vom Ortsamt Vegesack bekommen. Von Ortsamtsleiter Heiko Dornstedt persönlich sogar – auf amtlichem Briefpapier des Ortsamtes Vegesack. Über den Inhalt des Schreibens ist das ehemalige Mitglied des Beirates und der Bürgerschaft allerdings alles andere als erfreut. Denn in dem Schreiben, das der Redaktion vorliegt, wirbt Dornstedt dafür, eine Mitgliederversammlung des Schulschiffvereins zu beantragen. Ein vorgefasster Antrag lag dem Schreiben bei. „Das ist ein sehr fragwürdiger Vorgang“, findet Buchholz und legt nach: „Ich reagiere allergisch, wenn ich etwas unterschriftsreif vorgelegt bekomme.“
Hintergrund: Der Schulschiffverein lässt zurzeit in einer Mitgliederbefragung bis 10. April darüber abstimmen, ob die „Schulschiff Deutschland“ künftig in Bremerhaven liegen oder in Vegesack bleiben soll. Der Vorstand des Schulschiffvereins präferiert den Umzug nach Bremerhaven und erhofft sich dort eine wirtschaftlich bessere Ausgangslage. Der Vorstand hatte die Mitglieder in einem Schreiben darüber informiert. Einzelne Vereinsmitglieder und weitere Unterstützer aus Vegesack versuchen derweil, das scheinbar Unausweichliche doch noch abzuwenden und streben zu diesem Zweck eine Mitgliederversammlung an.
Das Kalkül: Bei einer Veranstaltung vor Ort hätten womöglich mehr anwesende Mitglieder eine emotionale Bindung zum Standort Vegesack als bei der laufenden Befragung unter den weltweit verstreuten Mitgliedern. Das Ergebnis der Befragung sieht der Vorstand als bindend an. Da der Vorstand eine solche Versammlung für nicht notwendig erachtet, wird nun versucht, sie per Mitgliederquorum zu erreichen.
Dornstedt möchte das Schiff in Vegesack behalten. Das erläutert er in seinem Schreiben und beruft sich auf einen einstimmigen Beiratsbeschluss. In dem wird der Schulschiff-Vorstand aufgefordert, sein Votum von einer Mitgliederversammlung abhängig zu machen.
„Das Schreiben ist ein Eingriff in Vereinsbelange von außen, den ich befremdlich finde“, sagt Buchholz. Denn Dornstedt sei nicht Mitglied des Schulschiffvereins. Der so Gescholtene bleibt gelassen. „Es gibt den Beschluss und den setze ich um“, sagt Dornstedt gegenüber der NORDDEUTSCHEN. Als persönliche Initiative will er das Schreiben keineswegs verstanden wissen, gleichwohl es seine Unterschrift trägt. Die Forderung nach einer Mitgliederversammlung sei die Initiative von Vereinsmitgliedern. Die unterstütze er. Auch Pastor Volker Keller habe schließlich kürzlich das Ansinnen in einem Gottesdienst unterstützt.
Ein Detail dieses Vorganges stößt Buchholz darüber hinaus auf. „Vereinsmitgliedschaften gehen niemanden etwas an. Ich persönlich kommuniziere meine Mitgliedschaften nicht“, sagt Buchholz. Woher Dornstedt das Wissen über die Mitgliedschaft hat, geht weder aus dem Schreiben hervor, noch verrät er es. Doch genau der Punkt treibt den Vorstand des Schulschiffvereins um. Denn kürzlich haben Mitglieder die Herausgabe der Mitgliederliste gefordert. Trotz datenschutzrechtlicher Bedenken, die sich als nicht haltbar erwiesen haben, musste der Vorstand dem Begehren stattgeben.
Dass nun mehrere Schreiben an Mitglieder aus dem Ortsamt auftauchen, ruft den Vereinsvorsitzenden Claus Jäger auf den Plan. Buchholz selbst hatte Jäger über das Schreiben informiert. Der wiederum will von einem weiteren Brief wissen und zieht nun seine Schlüsse. Öffentlich äußern möchte sich Jäger nach Rücksprache mit seinen Vorstandskollegen nicht. Nur so viel: „Wir haben die Fälle pflichtgemäß der Landesdatenschutzbeauftragten gemeldet“, sagt Jäger. Das Landesamt für Datenschutz äußert sich dazu nicht. Über laufende Fälle werde keine Auskunft erteilt, schreibt Imke Sommer, die Landesbeauftragte für Datenschutz und Information der Freien Hansestadt Bremen. Daher könne auch nicht mitgeteilt werden, ob in ihrem Hause ein entsprechender Vorgang geführt werde.
Was Heiko Dornstedt veranlasst haben mag, diese Schreiben zu versenden, bleibt unklar. Denn nach eigener Aussage hat er nur wenig Hoffnung, dass sie den gewünschten Erfolg bringen werden und eine Mitgliederversammlung einberufen werden wird. Rainer Buchholz jedenfalls wird den Antrag nicht unterzeichnen.
Warum über den Standort gestritten wird
Die 94 Jahre alte „Schulschiff Deutschland“ ist das letzte erhaltene deutsche Vollschiff und zugleich Segelschulschiff der deutschen Handelsschiffahrt. Aufgabe des Vereins ist es, das unter Denkmalschutz stehende Schiff als maritimes Kulturdenkmal zu pflegen und zu erhalten. Seit 25 Jahren liegt die „Schulschiff Deutschland“ in Vegesack. In den vergangenen Jahren ging die Zahl zahlender Besucher zurück. In den Jahren 2018 und 2019 lag das Defizit nach Angaben des Vereins bei jeweils 60.000 Euro. Für 2020 rechnet der Verein mit einem Minus von mindestens 100.000 Euro. Weil entschieden wurde, auf der Fläche vor dem Liegeplatz ein Hochhaus zu errichten, sieht der Vorstand keine Zukunft mehr in dem Standort Vegesack und eine Alternative in Bremerhaven. Dort könnte die „Schulschiff Deutschland“ im Neuen Hafen vor Anker gehen. Bremerhaven hat dem Verein ein konkretes Angebot mit der Finanzierung des Liegeplatzes gemacht. Nun sollen die Vereinsmitglieder bis zum 10. April über den künftigen Standort abstimmen.