"Komm, Baby! Wir sind ja schließlich zum Vergnügen hier." Birgit Köhler liest aus ihrem Roman „Swinging Bremen“ vor. Es geht um Jugendliche, die sich nach Tanz und Musik sehnen – mit ihrem Kleidungsstil aus der Masse stechen und so gegen den Strom schwimmen. Ihre Leidenschaft ist die amerikanische Jazz- und Swing-Musik. Es könnte ein gewöhnlicher Jugendroman sein. Den Unterschied macht die harte Realität, auf der der Roman beruht: „Swinging Bremen – Jazzgrooves bei Luftalarm“ spielt in Bremen in der Zeit von 1941 bis 1942, als die Nazis in Deutschland an der Macht waren. Bei einer Lesung in der Stadtbibliothek Vegesack zog Köhler die Anwesenden am vergangenen Sonnabend fast zwei Stunden lang mit diesem Teil der Bremer Geschichte in den Bann.
„Ich hatte das Gefühl, dass die Geschichten rauswollten“, erzählt Köhler. Ihre Interviews mit Bremer Swingkids lagen seit Ende der 90er-Jahre in ihrer Schublade. Die Zeitzeugen hatte sie getroffen, als sie an ihrer Magister-Arbeit schrieb. Vor drei Jahren holte Köhler die Interviews wieder heraus. Für sie wurde es Zeit, die Geschichte der Bremer Subkultur in Form eines Romans zurück ins Leben zu holen. Die damals 15 bis 17-jährigen Swingkids oder "Hot Boys" aus Bremen sind mittlerweile alle verstorben. Ihre Anekdoten und Erlebnisse hat Birgit Köhler, Journalistin und Historikerin an der Universität Bremen, in ihrem Buch festgehalten.
Während ihres Studiums in Hamburg sei sie dem Thema zum ersten Mal begegnet. Die Hamburger Swingkids waren damals bereits ein erforschtes Thema der deutschen Kriegsgeschichte. Als Köhler nach Bremen zog und dort nach Anhaltspunkten einer ähnlichen Subkultur suchte, fand sie zunächst nichts. Durch Zufall fiel ihr irgendwann ein verschriftlichter Radiobeitrag in die Hände. Dort fand sie Namen, die sie über das Telefonbuch abtelefonieren konnte. Ein Gespräch führte zum Nächsten.
"Sie hatten keine politische Haltung. Sie hatten einfach keinen Bock aufs System", erläutert Köhler die Einstellung der Jugendlichen, die mit etwas vermeintlich Unpolitischem derart widerständig gegenüber dem Nazi-Regime wurden. "Über ihre Jugend und ihre Streiche haben sie sehr gern geredet. Das war eine schöne Zeit für sie. Danach kam der Ernst des Lebens: Wehrmacht, Tod, Erwachsensein." Mit dem Erreichen des 18. Lebensjahrs mussten die Jungs damals an die Front und die Mädchen den Kriegsdienst leisten. Im Gegensatz zu den Hamburger Swingkids hatten die Bremer großes Glück, sagt Köhler. Sie blieben unter dem Radar. Die Hamburger seien teilweise wegen ihrer Leidenschaft zur Musik im Konzentrationslager gestorben.
Mit musikalischer Untermalung von Duke Ellington, Benny Goodman oder Fletcher Henderson führte Köhler durch verschiedene Kapitel ihres Romans. Sie schilderte eine Zeit, in der die Jugendlichen ihre Kameras und Schallplatten vor den Streifen der Hitler-Jugend verstecken mussten; sich unerlaubterweise in Tanzlokale schlichen und durch Hinterausgänge flohen, wenn die Nazis für eine Razzia aufschlugen; nachts im Luftschutzbunker saßen und leise Swing hörten, während über Bremen die britischen Flieger kreisten und Bomben fallen ließen. Die Musik ließ die Jugendlichen die harte Realität zumindest für eine kurze Zeit vergessen. „Das waren sehr mutige Menschen, die sich ihren Freiraum geschaffen haben“, sagt Köhler.
"Hot-o-Phon" statt Grammophon, "hotten" statt tanzen und "Hot Boys" als Selbstbezeichnung – Wörter einer musikalischen Sub-Kultur, die heutzutage kaum noch jemand kennt. Stimmen aus dem Publikum zeigten in der anschließenden Diskussions- und Fragerunde dann aber, dass einigen Gästen die Begriffe aus dem Vokabular der Eltern doch bekannt sind. Eine Zuhörerin, geboren im Jahr 1939, begrüßte den Perspektivwechsel, den die Lesung ihr bot. "Ich hab‘ nur die Trümmer gesehen", berichtete sie. Sie sei früh aus der Stadt aufs Land geschickt worden. Das Stadtleben habe sie daher gar nicht erst mitbekommen. Im Anschluss an die Lesung lud die Stadtbibliothek zu einem eigenen Tanztee ein. In einem kurzen Crashkurs wurde den Besucher und Besucherinnen der Lindy Hop beigebracht.