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Dreieinhalb Stunden Fahrt Täglich von Vegesack bis Oberneuland für die Tagespflege

Die 77-jährige Marga Busse fährt ihren Mann viermal die Woche zur Tagespflege. Weil es in Bremen-Nord aber keinen Platz gibt, muss sie nach Oberneuland. Die Kosten muss sie auch tragen.
15.02.2019, 22:07 Uhr
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Von Jean-Pierre Fellmer

Dreieinhalb Stunden täglich, viermal die Woche – Marga Busse fährt ihren pflegebedürftigen Mann zur Tagespflege ins Heim nach Oberneuland und holt ihn wieder ab. Er sitzt im Rollstuhl und kann sich kaum bewegen. Trotzdem möchte er noch am Leben teilnehmen, seine Frau will ihm das ermöglichen. Sie pflegt ihren Mann daheim, die tägliche Fahrerei von Vegesack nach Oberneuland komme hinzu und belaste sie. Ein Fallbeispiel.

Die Stiftungsresidenz St. Ilsabeen in St. Magnus ihren Ehemann in der Tagespflege vergangenen Jahres nicht mehr versorgen konnte. Die Pflege sei zu hochgradig, habe man ihr gesagt. Bei anderen Tagespflegeeinrichtungen in Bremen-Nord hat Marga Busse dann nach eigenen Angaben nur Absagen bekommen: Es fehle an Personal und an der besonderen Ausstattung, die der Ehemann benötige. Seit November hat er die höchste Pflegestufe.

Brief an die Gesundheitssenatorin

Weil Marga Busse verzweifelt war, hat sie Gesundheitssenatorin Eva Quante-Brandt sogar in einem Brief auf die Lage aufmerksam gemacht und sie um Hilfe gebeten. Sie bekam die Antwort, dass ihr Anliegen an das Sozialressort weitergeleitet werde – dieses sei für das Thema zuständig. „Darauf habe ich bis heute keine Antwort bekommen“, sagt die Vegesackerin enttäuscht. Auf der Suche nach einem Platz ist ihr Sohn schließlich einen Platz in der Stiftungsresidenz Ichon-Park gefunden – in Oberneuland. Eine Strecke von der Wohnung des Ehepaars Busse in Vegesack bis zu der Einrichtung beträgt in etwa 30 Kilometer.

Und damit wird der Transport nicht nur zur zeitlichen Belastung, sondern auch zur finanziellen. Zuerst habe ihre Pflegekasse überhaupt keine Kosten übernehmen wollen, erzählt Marga Busse weiter. Dann habe die Pflegekasse ihr eine tägliche Pauschale von 15,50 Euro angeboten. „Mir geht es aber nicht ums Geld, ich möchte Entlastung – dreieinhalb Stunden Fahrt sind einfach zu viel für mich“, sagt die 77-Jährige.

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Marga Busse legte über ihren Anwalt Widerspruch ein: Per Gesetz stünde ihr die vollumfängliche Erstattung der Fahrtkosten zu, sagt ihr Rechtsanwalt. Der Gesetzestext (SGB XI, § 41) und die dazugehörige Bundesdrucksache (12/5262, Seite 114) ließen nicht zu, dass die Fahrtkosten zulasten des Pflegenden oder der Angehörigen gehe.

Die Pressestelle der Handelskasse (HKK) hat auf Nachfrage der NORDDEUTSCHEN anfangs um etwas Zeit gebeten, man befände sich noch in Verhandlung mit Marga Busse. Schließlich meldet sich ein Sprecher der Krankenkasse: Man habe sich in dem Fall geeinigt. Die HKK übernehme die gesamten Kosten eines Fahrdienstes von 80 Euro täglich – mittelfristig wolle man gemeinsam mit Familie Busse eine näher gelegene Pflegeeinrichtung suchen. Ursprünglich sei der Fahrdienst nicht bezahlt worden, heißt es weiter, da der Topf für Leistungen bereits ausgeschöpft gewesen sei. Auf den Fahrdienst der Pflegeeinrichtung Ichon-Park in Oberneuland habe das Ehepaar verzichtet – Frau Busse habe sich dazu entschieden, ihren Mann selbst zu fahren. Der Sprecher weiß, dass die weite Fahrt für die Einrichtung auch nur schwer zu organisieren und nicht wirtschaftlich sei.

Schieflage bei der Tagespflege ist bekannt

Dies bestätigt auch Sylvia Hoven, Hausleiterin der Stiftungsresidenz St. Ilsabeen. „Dazu kommt für den Krankentransport erschwerend hinzu, dass Herr Busse im Rollstuhl sitzt.“ Sie erklärt auch, warum er nicht weiterhin in der Tagespflege in St. Ilsabeen betreut werden konnte: „Die Tagespflege ist ein Gruppenangebot“, sagt sie. Da der Vegesacker aufgrund seiner sehr schlechten Gesundheit intensive Pflege benötige, belaste dies das Pflegepersonal und somit auch die anderen Pflegebedürftigen zu stark. Man habe im gemeinsamen Gespräch versucht, alle Möglichkeiten auszuschöpfen und Alternativen wie etwa die Langzeitpflege aufzuzeigen.

Auch das Sozialressort hat inzwischen Stellung genommen: Laut Bernd Schneider, Pressesprecher der Senatorin Anja Stahmann, ist der Brief zu diesem Fall nie im Ressort angekommen – man werde sich aber nun mit Marga Busse in Verbindung setzen. Die Schieflage bei der Tagespflege in Bremen-Nord sei aber bekannt: „Vor allem junge Demenzkranke oder besonders schwerwiegende Pflegefälle haben es nicht leicht, einen Platz zu finden.“ Die Träger der Heime, so Schneider weiter, seien sich des Bedarfs bewusst. Es gebe ständig Absprachen mit dem Senator.

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Was können Verbraucher in so einem Fall tun? Gerrit Cegielka, Rechtsexperte bei der Verbraucherzentrale, empfiehlt die Betroffenen, sich an die Patientenberatung zu wenden. „Aus Sicht der Verbraucherzentrale ist es sehr wichtig, dass die pflegenden Angehörigen entlastet werden.“ Verbraucher sollten im Zweifelsfall immer einen Antrag stellen. Wenn dieser abgelehnt werde, bleibe noch der Rechtsweg. Bei Sozialgerichtsverfahren seien die Kosten auch verträglich und es gebe die Möglichkeit, dass die Prozesskosten teilweise übernommen werden. Auch bei der Erstberatung, ob der Weg über die Justiz überhaupt Aussicht auf Erfolg biete, seien die Kosten gedeckelt und betrügen etwa 190 Euro.

Marga Busse freut sich, dass sie jetzt finanziell entlastet ist, weil die Pflegekasse nun die Fahrt organisiert. Sie hofft, dass das auch so bleibt. „Die HKK übernimmt die Kosten nämlich vorerst nur bis zum 31. März.“

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