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Volle Depots Museen müssen sich von Werken trennen

Lange Zeit haben Museen Schenkungen gern angenommen. Aber das hat sich inzwischen geändert. "Museen ersticken fast an ihren Sammlungen", sagt die Leiterin des Overbeck-Museums und spricht vom Entsammeln.
22.01.2024, 18:00 Uhr
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Von Ulrike Schumacher

Mal angenommen, jemand möchte dem Overbeck-Museum in Vegesack einen echten Picasso schenken. Da müsste der Jubel groß sein. Wäre doch ein Hingucker in der Ausstellung. Wahrscheinlich würde Katja Pourshirazi, die das Museum leitet, sich über ein solches Angebot auch freuen. Annehmen würde sie das Bild aber trotzdem nicht. "Wenden Sie sich an das Picasso-Museum", würde sie dem edlen Spender sagen. Das wäre die richtige Adresse. Den Kopf schütteln müsste die Museumsleiterin ebenso, wenn jemand dem Overbeck-Museum ein Bild von Paula Modersohn-Becker anbietet.

Es ist klar umrissen, was in das Museum nahe dem Vegesacker Hafen kommen darf und was nicht: "Wir sammeln alles, was mit dem Leben von Fritz und Hermine Overbeck zu tun hat", beschreibt die Leiterin. "Oder was im direkten Zusammenhang mit ihnen steht." So würde ein Werk des Malers Walter Bertelsmann, das einst im Overbeck-Atelier entstanden ist, durchaus den Weg ins Overbeck-Museum finden. Aber nicht alle Bilder des in Bremen geborenen und in Worpswede verstorbenen Landschaftsmalers.

"Ein solches Sammlungsprofil schützt die Museen vor Überfüllung", erklärt Katja Pourshirazi. Das sei mehr als notwendig. Museen platzen – salopp formuliert – inzwischen aus allen Nähten. In den meisten Museen seien die Depots zu voll, weiß die Museumsleiterin, die auch die Regional-Arbeitsgemeinschaft der Bremer Museen leitet. Sammeln, bewahren, forschen, ausstellen und vermitteln war lange Zeit das Prinzip der Museen. Nun kommt eine weitere nicht unwichtige Aufgabe hinzu: das Entsammeln. "Museen ersticken fast an ihren Sammlungen, die sie weder adäquat präsentieren noch entsprechend aufbewahren können", zeichnet Katja Pourshirazi ein deutliches Bild und fügt hinzu: "Insofern ist es entscheidend, ein Sammlungsprofil festzulegen und diejenigen Bestände abzugeben, die nicht in dieses Profil passen." Das schütze die Museen nicht nur vor Überfüllung, sondern auch die Werke der Künstler davor, dass sie in Depots verschwinden und nicht mehr ausgestellt werden. Erstmals erwähnt worden sei der Begriff "Entsammeln" übrigens schon im Jahr 1972 in der New York Times.

Immer wieder Anfragen

Wenn es ums Abgrenzen geht, hat es das Overbeck-Museum vergleichsweise einfacher als das Heimatmuseum Schloss Schönebeck, das vom bürgerlichen Wohnen bis zum Walfang eine breite Palette an Objekten ausstellt. Entsprechend gern kommen immer wieder Anfragen, ob das Museum dieses oder jenes in seine Sammlung aufnehmen würde. "Man bietet uns viele Dinge an", sagt Gabriele Jannowitz-Heumann, zweite Vorsitzende des Heimat- und Museumsvereins. Es ist nicht selten, dass Nordbremer ihre Nachlässe im Schlossmuseum unterbringen möchten: Textilien, altes Handwerkszeug, Gemälde, die das Leben rund ums Schloss abbilden. Und nicht zuletzt Schiffsmodelle. Die inzwischen in so großer Zahl, dass der Verein nicht mehr alle aufnehmen kann. Langsam sei das Thema "Entsammeln" auch bei ihnen angekommen, berichtet Gabriele Jannowitz-Heumann.

Das Museum Schloss Schönebeck sei dabei, deswegen "eine Art Kriterienkatalog" zu erstellen. Dahinter steckt die Frage, welche Dinge das Museum ausstellen möchte. "Es muss ja auch lebendig bleiben", gibt die zweite Vorsitzende zu bedenken. Wichtig sei ihr auf jeden Fall, "dass es einmalig ist", was das Schloss zeigt. "Dass es in anderen Museen nicht vorkommt und dass es zur Stadt- und Handwerksgeschichte passt." In jedem Fall sei das Aufnehmen von Objekten eine verantwortungsvolle Aufgabe. "Haben wir den Platz dafür? Und sind die Sachen authentisch?" seien zwei Fragen, die dabei eine wichtige Rolle spielen.

Klare Regeln

Lange Zeit hätten Museen Schenkungen dankbar angenommen, sagt Katja Pourshirazi. Aber inzwischen gebe es strenge internationale Regeln, was sie entsammeln müssen und wie sie dabei vorgehen. "Entsammeln bedeutet aber auch, dass ich mir klar machen muss, was ich nicht entsammeln möchte." Die Entscheidung sei immer eine Gratwanderung. Und nie ein einsamer Beschluss. "Was entsammelt wird, muss immer ein Gremium entscheiden." Außerdem gebe es eine Menge zu prüfen, wenn Museen etwas aus ihrem Bestand abgeben wollen. Zum Beispiel, ob an das betreffende Objekt Bedingungen geknüpft sind, ob es mögliche Ansprüche Dritter gibt oder das Werk womöglich als gestohlen gilt.

Klar vorgegeben ist auch der Weg des Entsammelns. Erster Schritt sei, zu klären, ob das Werk in einem anderen Museum passender untergebracht sein könnte. "Erst wenn das nicht möglich ist, können andere Institutionen oder der Verkauf auf dem freien Markt erwogen werden", erklärt die Museumsleiterin. Unerlässlich sei es auch, die Eigentumsübertragung lückenlos zu dokumentieren. Letzter möglicher Schritt sei es, Objekte zu entsorgen. Und zwar vollständig. "Entsorgte Objekte dürfen nicht über Umwege wieder auf den Markt kommen." Insgesamt müsse die Gesellschaft sich fragen: "Was wollen wir bewahren? Und wollen wir wirklich alles für immer aufheben?", gibt Katja Pourshirazi zu bedenken. Man müsse auch 200 Jahre vorausschauen und daran die Frage knüpfen, ob es ein Recht auf Vergessen gibt.

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