In formaler Hinsicht bietet eine Museums- oder Ausstellungsführung für gewöhnlich keine Überraschungen: Das kulturinteressierte Publikum folgt einer versierten Fachkraft, die jedes einzelne Ausstellungsobjekt unter kunstanalytischen, historischen und kontextualisierenden Aspekten erklärt – nur im Overbeck-Museum nicht. Jedenfalls nicht an diesem Sonntagvormittag.
Zwar gehen auch dort etwa drei Dutzend interessierte Besucher an diesem Tag Katja Pourshirazi hinterher. Doch die Museumsleiterin hat bei der Führung durch die Ausstellung "Leise Landschaften" diesmal keine historischen Daten oder fachlichen Analysen in petto. Sondern pure Poesie. Bei der Exponatenschau, die Werke von Fritz und Hermine Overbeck zahlreichen Arbeiten der jungen Künstlerin Thilini Zach gegenüberstellt, hebt Pourshirazi zu Rezitationen an.
Mal gibt es kurze Gedichte, mal längere. Mal etwas von Rainer Maria Rilke, mal von Hermann Hesse oder Ingeborg Bachmann. Pourshirazi rezitiert erst, um dann den Besuchern zu sagen, wessen Texte sie wiedergegeben hat. Und jedes Mal kommt eine Klangschale zum Einsatz, die die Wirkung der Worte unterstützen und das bloße Kunstverständnis zu einem sinnlichen Kunsterleben machen soll.
„Die Idee zu dieser Art Führung hatte ich schon etwas länger, da Künste meines Erachtens zusammenhängen und zusammengehören – ob Bilder, Poesie oder Musik“ erklärt Pourshirazi. Sie hat erst als Literaturwissenschaftlerin promoviert, bevor sie als Leiterin des Overbeck-Museums in die Welt der Malerei eintauchte. „Diese Ausstellung bot sich für eine andere Art der Führung besonders an, weil die Bilder überwiegend sehr offen gehalten sind und zum Träumen einladen“, meint sie.
Neben ihrem Kunstverständnis konnte Pourshirazi zur Umsetzung entsprechend auch auf ihre breite akademische Kenntnis zurückgreifen und musste nicht lange recherchieren, um jeweils passende poetische Worte zu den Bildern der Ausstellung zu finden. Völlig aus den Augen wurde der kulturhistorische Kontext dabei nicht gelassen.
So darf Rilke in der Autorenauswahl allein schon aufgrund seiner persönlichen Verbindung zur einstigen Worpsweder Malerkolonie um die Overbecks nicht fehlen. Bei Hesse hingegen – dessen bekanntes Gedicht "Im Nebel" hervorragend mit den Naturimpressionen von Künstlerin Thilini Zach harmoniert – handelt es sich um den erklärten Lieblingsautoren der jungen Malerin, deren Bilder Teil der Ausstellung sind.
„Die Auswahl der entsprechenden Gedichte passiert natürlich auf einer assoziativen Ebene und ist somit immer auch etwas subjektiv. Hätte jemand anderes eine solche Führung durch diese Ausstellung gestaltet, wären möglicherweise völlig andere Gedichte rezitiert worden“, erklärt Pourshirazi. Einige Gedichte hat die Museumschefin selbst geschrieben. Sie stammen aus einer Zeit, als sie noch studiert hat.
„Somit war diese besondere Führung natürlich auch für mich eine Gelegenheit, mich einmal von einer anderen Seite zu zeigen“, sagt Pourshirazi. Ihre eigenen Texte will sie vorerst nicht veröffentlichen, wie sie den Besuchern am Ende erklärte. Und auch, dass für sie die Poesieführung ein Experiment ist.
Laut Pourshirazi könnte die besondere Form der Ausstellungsführung gegebenenfalls im Rahmen weiterer Ausstellungen erneut aufgegriffen werden – zumal die Resonanz der Teilnehmer an diesem Sonntag durchweg positiv ausfällt. Auch Thilini Zach, deren Anwesenheit für Pourshirazi eine Überraschung war, zeigt sich begeistert: "Ich vertraue Katja aus vollem Herzen und wusste eigentlich schon vorher, dass sie die passenden Texte und Worte finden würde.“