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Zwangsarbeit Focke-Museum kommt mit Ausstellung ins Bürgerhaus

Etwa 55.000 Männer und Frauen mussten im Zweiten Weltkrieg in Bremen und Bremerhaven Zwangsarbeit leisten. Ihnen ist eine Ausstellung gewidmet, die ab 1. März im Bürgerhaus Vegesack zu sehen ist.
25.02.2024, 08:08 Uhr
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Von Ulrike Schumacher

Sie schufteten auf Werften und in der Fahrzeug-, Luftfahrt- und Stahlindustrie. Sie wurden bei der Reichsbahn eingesetzt, in privaten und städtischen Betrieben sowie auf Bauernhöfen. Etwa 55.000 Männer und Frauen mussten im Zweiten Weltkrieg in Bremen und Bremerhaven unter menschenunwürdigen Bedingungen Zwangsarbeit leisten. Ihnen ist eine Ausstellung des Bremer Focke-Museums gewidmet, die ab Freitag, 1. März, unter dem Titel "Verschleppt. Versklavt. Vergessen? Zwangsarbeit in Bremen 1939 bis 1945" im Bürgerhaus Vegesack zu sehen ist. "Sie dauert bis Juni und bezieht sich thematisch auf den Norden Bremens", kündigt Mit-Kurator Jan Werquet an. Zur Ausstellung wird es im Bürgerhaus ein begleitendes Programm geben.

"Zwangsarbeit war ein Grundpfeiler der Kriegswirtschaft im nationalsozialistischen Deutschland und ein im Alltag besonders sichtbares Verbrechen", schreibt das Focke-Museum zur geplanten Ausstellung. So mussten Kriegsgefangene aus den besetzten Ländern sowie zivile Arbeiter und Arbeiterinnen aus Ost und West zwangsweise in Bremen arbeiten. "Bremen und Bremerhaven zählten zu den bedeutendsten Rüstungsstandorten des ,Dritten Reichs'. Viele Menschen wurden auf den Werften beim U-Boot-Bau eingesetzt." Vor allem KZ-Häftlinge hatten zudem die lebensgefährliche Aufgabe, Trümmer zu beseitigen. Es gab ein dichtes Netz von Lagern, "die der Zivilbevölkerung nicht entgangen sein konnten", schreibt das Focke-Museum, das derzeit wegen Umbauarbeiten geschlossen ist, aber mir einzelnen Ausstellungen in die Stadtteile geht. So seien im Lauf des Krieges im Bremer Raum mindestens 200 Lager entstanden – "darunter neun Außenlager des KZ Neuengamme bei Hamburg". Eines davon auf dem Gelände des Kriegsgefangenenlagers auf der Bahrsplate in Blumenthal.

Die Menschen in den Lagern waren primitiv und beengt untergebracht. In einem der ausgestellten persönlichen Berichte erzählt Wladimir Angelejkow, der im September 1942 von der Krim nach Deutschland verschleppt wurde und bis zu seiner Befreiung im Jahr 1945 im "Ostarbeiter"-Lager auf der Bahrsplate lebte, dass sich 24 Menschen ein Zimmer teilen mussten. Hinzu kam die mangelhafte Verpflegung mit "Wassersuppe". Diese Bedingungen sowie Krankheiten und Gewalt hätten in den Lagern zur hohen Zahl von Todesfällen beigetragen.

Verdrängtes Thema

Obwohl damals alltäglich und sichtbar, war das Thema Zwangsarbeit ein jahrzehntelang verdrängtes Kapitel deutscher Vergangenheit. "Erst seit den späten 1970er-Jahren begannen zivilgesellschaftlich Engagierte zur Geschichte der NS-Zwangsarbeit in Bremen zu recherchieren und Kontakt zu Überlebenden und Angehörigen früherer Lagerinsassen aufzunehmen", schreibt das Focke-Museum. Die Ausstellung im Bürgerhaus Vegesack weist mit Schautafeln und beleuchteten Stelen auf die Einsatzorte der Zwangsarbeiter im Bremer Norden hin und verknüpft diese mit mehreren mit ihnen verbundenen Biografien.

Zum Beispiel mit der Geschichte des jungen französischen Widerstandskämpfers Pierre Billaux, der das KZ-Außenlager Blumenthal, den "Todesmarsch" Anfang April 1945 nach Neuengamme sowie – als Internierter auf einem KZ-Schiff in der Lübecker Bucht – einen Luftangriff der Alliierten überlebte. Pierre Billaux führte nach dem Krieg in der Normandie einen kleinen Friseurladen und engagierte sich über 30 Jahre lang für Amnesty International. Er starb 2018 im Alter von 93 Jahren.

Wegen gestohlener Milch ins KZ

Ebenfalls mit seiner Geschichte in der Ausstellung präsent: Alexej Ponomarjow, der als 16-Jähriger ins Lager "Haesloop" in der Grambkermoorer Landstraße kam und bei der Norddeutschen Hütte arbeiten musste. Weil er eine kleine Menge Milch entwendet hatte, überstellte man ihn ins KZ Neuengamme. Alexej Ponomarjow gehöre zu den wenigen Überlebenden und trat trotz seiner Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg für eine deutsch-ukrainische Verständigung und ein gemeinsames Erinnern ein, heißt es in der Ausstellung. Im Jahr 2003 besuchte er zusammen mit seiner Enkeltochter Olga Bremen. Sie wiederum kam im vergangenen Jahr wegen des Kriegs in der Ukraine erneut in die Hansestadt und "fand im Land der früheren Täter Zuflucht", berichtet Jan Werquet.

Er sei sehr froh darüber, diese Ausstellung ins Bürgerhaus zu bekommen, sagt Malte Prieser, programmatischer Geschäftsführer des Kulturbüros Bremen-Nord. Zum einen, weil "es die enge Verbindung zu den Kulturinitiativen in Bremen-Stadt zeigt". Zum anderen, weil im Bürgerhaus Gruppen und Vereine aktiv sind, "die eine Expertise haben, was dieses Thema angeht". Die sich intensiv mit der Frage befassen, was Krieg mit Menschen mache. Zumal die Auseinandersetzung mit Krieg und Frieden wieder sehr aktuell ist. "In unser Haus kommen Menschen aus über 40 Nationen", fügt Malte Prieser hinzu. Viele von ihnen hätten Krieg und Flucht erfahren. "Was wir in der Ausstellung sehen, sind Dinge, die die Menschen auf der ganzen Welt heute noch erleben."

Zur Sache

Eröffnet wird die Ausstellung "Verschleppt. Versklavt. Vergessen?" am Freitag, 1. März. Zu sehen ist sie in den öffentlichen Räumen des Bürgerhauses Vegesack zu den Öffnungszeiten bis Juni. Begleitend zur Ausstellung gibt es in Kooperation mit dem Focke-Museum und der Internationalen Friedensschule ein Vortragsprogramm auf der Bürgerhaus-Studiobühne. Alle Veranstaltungen beginnen um 19 Uhr, der Eintritt ist frei, Einlass ist ab 18.30 Uhr.

Auftakt bildet ein Vortrag der Landesarchäologin Uta Halle am Donnerstag, 7. März, unter dem Titel "Archäologische Ausgrabungen klären Schicksale sowjetischer Soldaten". Dabei geht es um den Friedhof für sowjetische Soldaten auf der Reitbrake in Bremen-Oslebshausen. Eine Woche später, am Donnerstag, 14. März, berichtet Professorin Helga Bories-Sawala unter dem Titel "Franzosen, gefangen in Bremen" über die Lebens- und Arbeitsbedingungen französischer Gefangener, über die französische Regierung, die mit Hitler kollaborierte und "um den erbitterten Kampf der Zurückgekehrten um gesellschaftliche Anerkennung".

Am Donnerstag, 21. März, lautet das Thema der Historikerin Lilja Girgensohn "Das letzte Kapitel der NS-Massenverbrechen". Der Vortrag befasst sich mit der Auflösung der NS-Lager im März und April 1945 und den dann folgenden Märschen und Transporten "unter unsäglichen Bedingungen", denen Tausende zum Opfer fielen. Für Donnerstag, 25. April, steht ein Vortrag unter dem Titel "Von Ardnacrusha nach Bremen-Farge" auf dem Programm. Ralf Lubisch befasst sich darin mit dem Tanklager Farge. Abschließend gibt es am Donnerstag, 16. Mai, eine Podiumsdiskussion mit Evelina Rudenko. Sie berichtet über das "Ostarbeiter"-Archiv der Menschenrechtsorganisation "Memorial".

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