Eine Vegesacker Bekanntheit wird 75. Sie hat einen schwarzen Rumpf, weiße Wände und ein grünes Dach. Wer hin und wieder in an der Weser spazieren geht, wird sie vermutlich schon am signifikanten Motorgeräusch erkennen. Weiße Buchstaben an ihrer Backbordseite verraten, wer sie ist: die Barkasse "Vegebüdel". Seit 1994 dreht sie in Besitz des Vereins MTV Nautilus ihre Runden auf der Weser und der Lesum.
Gebaut wurde die Barkasse 1949 in einer Werft in Hamburg. Damals noch unter dem Namen "Alte Liebe" wurde sie 1950 dann zu Wasser gelassen. Nachdem sie ein Jahr lang im Hamburger Hafen lag, kam sie zum Wasser- und Schifffahrtsamt an die Weser und erhielt den Namen "Lienen". Auf der Weser diente die Barkasse der Personenbeförderung und stellte so quasi den Busverkehr auf dem Wasser dar. Auch als Arbeitsschiff wurde sie zur Wartung von Tonnen und zur Uferbefestigung eingesetzt. 1987 wurde sie dann an Privatpersonen verkauft und erhielt den Namen "Shanty".
1994 gelang die Barkasse schließlich an den MTV Nautilus. Der Verein "Maritime Tradition Vegesack Nautilus" baute sie daraufhin für Gästefahrten um. Sie sollte als Ersatz für den Segellogger "BV2" dienen, wenn dieser unterwegs war. Dafür mussten beispielsweise die Seitenwände um rund 20 Zentimeter erhöht werden. Am 2. Juni 1994 fand dann die Schiffstaufe auf den Namen "Vegebüdel", in Anlehnung an Vegesack, statt. Die Jungfernfahrt des Passagierschiffes führte gleich in Richtung Bremer Innenstadt, wohin sie eine Ladung Hering transportierte.
Walzer tanzen zu Motorgeräuschen
Das Besondere an der "Vegebüdel" ist die Maschine, die heute die einzige ihrer Art ist. Zu Kriegszeiten gab es noch rund 68 dieser Motoren, verwendet für den Antrieb von Fischkuttern. Diese wurden jedoch während des Krieges versenkt. Doch da nach Ende des Krieges noch die Masten einiger dieser Kutter aus dem Wasser ragten, konnten sie gehoben und die Motoren ausgebaut werden. Aus zwei tatsächlich noch funktionsfähigen Motoren wurde schließlich die Maschine gebaut, die die heutige "Vegebüdel" antreibt. Sie ist groß, grün und arbeitet mit Druckluft. Der dadurch entstehende Klang ergibt einen Dreivierteltakt. "Da könnte man einen Walzer zu tanzen", lacht Anselm Aschemann, Crew-Captain der Barkasse.

Die beinahe 90 Jahre alte ”Lissy”, der Deutz-Motor der ”Vegebüdel”, läuft zuverlässig.
Doch dass die Maschine so besonders ist, bürgt auch Risiken. So gibt es heutzutage beispielsweise kaum noch passende Ersatzteile. Außerdem können Reparaturen an der Maschine nur durch Spezialisten vorgenommen werden. "Kaum jemand von uns traut sich, die Maschine auseinanderzunehmen, aus Angst, sie nicht mehr richtig zusammensetzen zu können", sagt Anselm Aschemann. Beim MTV Nautilus sei Obermaschinist Stephan Keller der einzige, der sich gut genug mit dem Motor auskenne, um diesen gegebenenfalls zu reparieren. Einen Nachfolger gibt es bislang nicht.
2016 wurde das Risiko Realität, als ein Problem an der Maschine auftrat. Die Reparaturkosten würden sich auf bis zu 70.000 Euro belaufen. Doch da kurz zuvor bereits der gebrochene Mast der "BV2" repariert werden musste, blieb für die Barkasse nicht genügend Geld übrig. Zwei Jahre lang lag sie daraufhin im Vegesacker Hafen. Die Mitglieder suchten in dieser Zeit nach Alternativlösungen, wie das Schiff weiter eingesetzt werden könnte. Beispielsweise an Land als Fischverkaufsstand, oder mit einem neuen Motor auch weiterhin auf dem Wasser. "Aber die 'Vegebüdel' mit einem anderen Motor ist nicht mehr die echte 'Vegebüdel'", sagt Eckhard Börgershausen. Durch eine Spende im hohen fünfstelligen Betrag von Norbert Lange-Kroning konnte die Barkasse 2018 schließlich doch noch zur Werft gebracht werden. Dort mussten neben der Maschine sämtliche Standschäden repariert werden. Die Rundumerneuerung dauerte rund neun Monate.

Warnke Christoffers ist einer der Skipper der ”Vegebüdel”. Sonntags lädt die Crew zu Gästefahrten ein.
"Ein junger Mann hat mich vor bestimmt 20 Jahren mal angesprochen und gefragt, ob er die Barkasse für einen besonderen Anlass buchen könnte. Wir sind dann an einem Sonntag zur Strandlust gefahren, wo er den Tisch hinten auf der 'Vegebüdel' eindecken ließ, ganz schick mit Sektkübeln et cetera. Dann sind er und seine Freundin eingestiegen, der Bootsfahrten allerdings wohl nicht ganz geheuer waren. Aber sie hat sich überreden lassen. Während der Fahrt hat er ihr dann einen Heiratsantrag gemacht – und sie hat 'Ja' gesagt", erzählt Eckhard Börgershausen lächelnd. Für solche und andere Anlässe kann das Passagierschiff neben den regulären Sonntagsfahrten gebucht werden. Finanziert wird das Ganze durch Spenden.
Vorausgesetzt, die Gezeiten lassen zu, dass die Barkasse unter der defekten Brücke des Vegesacker Hafens hindurchpasst, steuert die Crew sie jeden Sonntag drei Mal über die Weser und die Lesum.
"Die Maschine der 'Vegebüdel' macht mindestens noch 20 Jahre mit", sagt Eckhard Börgershausen. "Wenn sich genügend Nachfolger finden, dann kann die Barkasse erhalten werden." Solche stehen aber nicht gerade Schlange. "Neue Mitglieder der Crew müssen nichts außer Interesse an der Schifffahrt und Freude im Umgang mit Gästen an Bord mitbringen", sagt Anselm Aschemann. Ein Sportbootführerschein sei nur notwendig, wenn man auch als Skipper im Einsatz sein möchte. Die Mitglieder des Vereins arbeiten ehrenamtlich an und auf dem Schiff. Dazu gehört neben den Sonntagsfahrten unter anderem der Winterdienst, bei dem im Winter die Technik kontrolliert werden muss, sowie im Sommer Malerarbeiten an der Barkasse.