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Wochenmarkt Erzieherinnen schicken Schüler in Vegesack auf Entdeckungsreise

Was sie in ihrem Stadtteil alles entdecken können, haben Grundschüler als junge Reporter erfahren. Angehende Erzieherinnen haben mit ihnen ein spannendes Projekt auf die Beine gestellt.
19.11.2024, 06:00 Uhr
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Von Ulrike Schumacher

Das hatten sie nicht erwartet. Die elf Mädchen und Jungen, die an diesem Vegesacker Markttag staunend vor Ralf Denkers Gemüsestand stehen, wissen nun aber mehr. Zum Beispiel über Tomaten und Gurken. Die sind nämlich – botanisch streng genommen – den Früchten zuzuordnen. Auch wenn sie an einem Gemüsestand verkauft werden. Alles, was Kerne hat, gilt als Obst, erfahren die Kinder vom Händler. Und noch eine Menge mehr. Weil sie gefragt haben. Das ist heute ihre Aufgabe, Fragen zu stellen. Ein Teil der Klasse 3a der Grundschule Alt-Aumund ist an diesem Tag auf dem Vegesacker Wochenmarkt als Reporter unterwegs. Dahinter steckt ein Projekt angehender Erzieherinnen.

Sahira Shakar ist eine der Initiatorinnen. An der Fachschule für Sozialpädagogik am Schulzentrum Blumenthal lässt sich die 31-Jährige zur Erzieherin ausbilden. Und dabei stehen auch immer mal wieder praktische Aufgaben auf dem Ausbildungsplan. Wie dieses zweitägige Projekt in einer Grundschule, weil Schulen auch ein Bereich sind, in dem Erzieherinnen beruflich tätig sein können. Und weil "die Dinge nie laufen wie in der Theorie", sagt sie. "Man muss immer schauen, wo man improvisieren kann." Sahira Shakar und vier weitere Auszubildende haben für ihr Projekt das Thema "Die Stadt, den Sozialraum entdecken" gewählt. "Einige Kinder kennen ihre Umwelt gar nicht", weiß die Auszubildende. Eltern fehle die Zeit, ihren Kindern den Stadtteil zu zeigen. "Oft kennen sie noch nicht einmal ihren Schulweg, weil sie mit dem Auto gebracht werden." Tatsächlich war nur einem der elf Kinder der Weg zum Wochenmarkt bekannt.

Mit Entdeckertüte und Mikrofon

"Wir haben uns überlegt, was man den Kindern anbieten kann und wohin wir mit ihnen gehen können, damit sie ihre Umwelt besser wahrnehmen", erzählt Sahira Shakar. Dabei entstand die Idee, mit den Drittklässlern auf den an Eindrücken reichen Wochenmarkt zu gehen und sie in Reporter-Rollen schlüpfen zu lassen. Dafür bekommen sie einen Reporter-Pass an die Jacke geheftet und ein Mikrofon in die Hand. Vorab haben die Neunjährigen mittels Rollenspiel, das die Auszubildenden entworfen haben, ihre Reporter-Aufgabe geprobt. Aufmerksames Beobachten ist schon auf dem Weg zum Wochenmarkt gefragt. Jedes Kind hat eine Entdeckertüte dabei, in der sie alles sammeln können, was ihnen ins Auge fällt. Zum Beispiel Eichenlaub und andere bunte Blätter, die von den Bäumen rieseln. Einige entdecken die Stadtbibliothek oder Polizeiwagen. Passt zwar beides nicht in die Tüte, erfreut die Kinder aber trotzdem.

Und dann haben sie den Sedanplatz erreicht. Nach einer Runde über den Markt zücken sie ihre Mikrofone – und wissen erst einmal nicht so recht, was sie fragen sollen. Geduldig lächelt Sabine Cordes über all die roten Äpfel hinweg, die sie an ihrem Stand verkauft. Ob sie einen Apfel bekommen können, lautet die erste zaghafte Frage. Na klar. Das war zuvor mit den Erzieherinnen so abgesprochen, die am Ende die Rechnung begleichen. Für alle Fälle haben die Projekt-Initiatorinnen auch eine Liste an Fragen dabei, mit denen sie den jungen Reportern auf die Sprünge helfen können. Für die Kinder, erzählen sie, sei es zunächst eine ziemliche Hürde, die sie überwinden müssen, um auf die Erwachsenen zuzugehen. Zumal sie erst an diesem Morgen erfahren haben, was auf sie zukommt.

Dann stellen sie aber doch die ersten Fragen. "Woher kommt das Obst? Welches ist der meistgekaufte Apfel? Seit wie vielen Jahren gibt es diesen Stand schon auf dem Wochenmarkt?" Wenig später, am Gemüsestand, den die Familie Denker seit immerhin 80 Jahren auf dem Vegesacker Wochenmarkt betreibt, sind keine Hürden mehr in Sicht. Die Fragen purzeln nur so, dass Ralf Denker mit seinen Antworten kaum hinterherkommt. "Warum sind diese Tomaten gelb und die anderen rot?", will ein Kind wissen. "Warum brennen Zwiebeln in den Augen? Warum gibt es an diesem Gemüsestand auch Orangen?"

Manche Fragen kann der Händler gar nicht auf Anhieb beantworten. "Wie viele sind das?", möchte ein Kind wissen und deutet auf die Kiste mit dem Rosenkohl. "Das kann ich nur schätzen", meint Ralf Denker und tippt auf "1200 Stück". "Und warum sind Eier innen flüssig?" Ralf Denker spricht von Dotter, das sicher im Eiweiß schwimmen muss. Doch dann fällt ihm noch etwas ein, das einfach einleuchten muss: "Wäre das Ei innen hart, könnte man es ja gar nicht in die Pfanne hauen."

Ausbilderin ist zufrieden

Nebenbei bleiben Wochenmarktkunden stehen und wollen wissen, was es mit der Aktion auf sich hat. Klassenlehrerin und Ausbilderin Candy Ruppelt, die die Klasse zusammen mit Jo-Anna Obiegly leitet, beobachtet das Geschehen und macht einen zufriedenen Eindruck. Es sei für ihre Azubis eine gute Übung. "Erzieherinnen sind in ihrer Praxis immer mit Projekten konfrontiert. Und mit der Frage: Wie setze ich das um?", sagt sie. Solch praktische Aufgaben seien für die Auszubildenden auch deshalb so schön, "weil es von den Kindern ein direktes Feedback gibt".

Die sind begeistert. Möhren knabbernd schwärmen sie von ihrem Reporter-Job, den sie alle "gut" finden. "Weil das so aufregend ist", "weil man Leute kennenlernen kann" und "weil man neue Sachen erfährt, wenn man Fragen stellt". Und dann geht es weiter. Noch mehr neue Eindrücke vom Stadtteil sammeln: bei der Feuerwehr, im Stadtgarten, auf der Weserfähre und bei den Reporter-Profis in der Redaktion der NORDDEUTSCHEN.

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