Manchmal kommen Dinge an den Ort zurück, an dem sie entstanden sind. Georg Wohlert geht hinter dem Tresen seines Ladens kurz in die Hocke und greift nach einem kleinen Bündel. 45 Meter Fischernetz, original verpackt und – das lässt ihn strahlen – hergestellt in der einstigen Vegesacker Segelmacherei und Taklerei in der Alten Hafenstraße. Genau an dem Ort, an dem Georg Wohlert und Janca Pfaff nun inmitten alter Dinge stehen, die das Paar hier verkauft. Seit 15 Jahren betreibt Georg Wohlert in der Alten Hafenstraße 38 in Vegesack den "Laden 38" mit Antik und Trödel. Rund 150 Jahre zurückgerechnet war hier der Verkaufsraum für Schiffsausrüstung. Wer das alte Haus betritt, steht sogleich vor dem schweren hölzernen Original-Verkaufstresen der einstigen Segelmacherei und Taklerei Meyerdiercks. Er ist im Haus geblieben und dient nun Georg Wohlert als Verkaufstisch.

Das Foto zeigt einen Thunfisch der in Vegesack geangelt und verarbeitet wurde.
Zurück an seinen Ursprungsort kamen das fein gebündelte Netz und auch die Reuse, die draußen im Garten an der Mauer baumelt, über einen Nachlass. Nicht selten, dass Georg Wohlert und Janca Pfaff die Gelegenheit haben, vor Haushaltsauflösungen all die Dinge zu sichten, die oft jahrzehntelang zu einem Haushalt gehörten und nun – nachdem die Bewohner gestorben oder ausgezogen sind – niemanden mehr interessieren, obwohl Erinnerungen an ihnen haften. "Haushaltsauflöser kommen mit einem großen Container und schmeißen diese Dinge weg", sagt Georg Wohlert. "Das darf nicht passieren." Man müsse manches auch "für die Nachwelt retten". Darum sind er und seine Frau froh, dass sie in der Reeder-Bischoff-Straße im einstigen Fischgeschäft Six – eröffnet im Jahr 1891 – tief in die Geschichte dieser Fischerfamilie eintauchen durften. "Die wird ja mit all den Fotos, die wir gefunden haben, sofort lebendig", erzählt Janca Pfaff. Es sei die reinste Schatzsuche gewesen. "Und mit die spannendste Haushaltsauflösung", fügt ihr Mann hinzu. Allein der Schreckmoment auf dem Dachboden. "Da stehst du, machst einen Karton auf und es guckt einem ein präparierter Tigerkopf entgegen", erinnert sich Janca Pfaff an ihr Schaudern. Der Fund ist inzwischen ans Übersee-Museum gegangen.
Deko aus dem Fischgeschäft
Andere Dinge, die neben den Fischernetzen und den Tonkrügen, in denen früher Heringe aufbewahrt wurden, aus dem Fischgeschäft stammen, haben im "Laden 38" ihren Platz gefunden: der Finkenwerder Fischkutter-Nachbau oder ein übergroßer Pappmaché-Hummer – beides diente im Fischgeschäft zur Dekoration – und auch selbstgestaltete Werbeschilder. Bietet das Haus in der Alten Hafenstraße 38 für sich schon einen historischen Rahmen, stecken in all den Lampen, Möbeln, im Geschirr und in den Gläsern zusätzlich Geschichten und Geschichte. Georg Wohlert packt mehrere Fotoalben und schwere Ordner auf seinen Verkaufstresen. Sie gehören ebenfalls zum Nachlass der Familie Six. Wer in die Ordner und Alben schaut, wird unmittelbar und tief hineingezogen in Vegesacks Vergangenheit. Und in das Wirken und Schaffen mehrerer Generationen.

Ein Finkenwerder Fischkutter-Nachbau dient im „Laden 38“ der Dekoration.
An ihm kommt man nicht vorbei: Claus Six, Vegesacker Original, Vater von zehn Kindern, Urur-Opa und mit 89 Jahren seinerzeit der älteste noch aktive Fischer. In dem dicken Ordner gibt es einen Zeitungsartikel von 1955 über das Leben des 1828 in Finkenwerder geborenen Fischers, der schon bald in Vegesack seinen Fang verkaufte und sich hier niederließ. Der Mann mit Backenbart und, wie es im Artikel heißt, Knösel im Mundwinkel war bekannt wie der sprichwörtliche bunte Hund. In einem wesentlich älteren Zeitungsartikel wird darauf hingewiesen, dass schon Claus Six sich in seinem Fischerleben mit den "wandelnden Grundlagen seines Erwerbs" auseinanderzusetzen hatte. 1936 aber muss sich das Geschäft seiner Nachfahren noch gelohnt haben. "Schlachte heute einen großen Tunfisch", heißt es in einer aufbewahrten Annonce des Fischgeschäfts. Dazu hatte die Familie ein Foto vom fünf Zentner und zwölf Pfund schweren Fang aus der Nordsee in den Ordner geklebt.

Auch ein Pappmaché-Hummer dient dekorativen Zwecken.
Familie Six muss auch mit der Kamera auf Fang gegangen sein. Etliche Aufnahmen befassen sich mit dem baulichen Wandel, den Vegesack nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte. So ist zu sehen, wie Bagger Wände aus Häusern reißen und neue Gebäude entstehen. Zum Beispiel die Grohner Düne, deren Rohbau auf einigen Fotos festgehalten wurde. Ein Juwel dürfte auch die Aufnahme der alten Strandlust sein. Dem Vorgängerbau der jetzigen, die es in Kürze auch nicht mehr geben wird. Hoch oben auf dem Dach des Turms ist das maritime Windspiel von 1898 zu erkennen. Es hat inzwischen den Weg in den "Laden 38" gefunden und wird zum Verkauf angeboten. Das Schönebecker Schloss habe dafür schon eine Reservierung.

Alte Eisbecher aus der Strandlust stehen nun zum Verkauf.
Die Strandlust – auch so ein Stück Geschichte, die bei Georg Wohlert und Janca Pfaff wieder auflebt. Er habe noch einige Dinge aus dem Hotel käuflich erwerben können, erzählt der Antik-Händler und deutet auf Eisbecher, Geschirr und Besteck. Die Schiffstaufenteller sind schon wieder verkauft. "Die waren schneller weg, als ich gucken konnte." Gästebücher aus den 1950er und 60er-Jahren sind vom Schönebecker Schloss übernommen worden. Aber zwei Wandleuchten aus dem großen Saal kommen nun an der Ziegelsteinwand im Trödelladen zu neuem Glanz. Wenn man vor dem Verkaufstresen steht, fallen sie einem direkt ins Auge.