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Zu Ehren von Ludwig Baumann Der große Saal hat jetzt einen Namen

Der große Saal des Bürgerhauses hat nun einen Namen: Ludwig-Baumann-Saal. Damit wird dem Nordbremer Wehrmachtsdeserteur und Friedensaktivisten gedacht, der am 13. Dezember 100 Jahre alt geworden wäre.
12.12.2021, 14:00 Uhr
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Von Jörn Hildebrandt

"An diesem Montag wäre Ludwig Baumann 100 Jahre alt geworden“, sagt Marita Rothe von der Friedensschule Bremen, „und wegen seiner großen Verdienste für das Gustav-Heinemann-Bürgerhaus wird dessen großer Saal nach ihm benannt.“ Damit will die Internationale Friedensschule Bremen einen Menschen ehren, der inzwischen eine bekannte Person der Zeitgeschichte ist. „Er hat im Bürgerhaus an vielen Aktivitäten teilgenommen, es war seine zweite Heimat,“ sagt Marita Rothe.

In großen Lettern steht sein Name schwarz auf Weiß vor dem Eingang, und zur Linken informiert ein Text über Lebenslauf und Aktivitäten von Baumann, der ein leidvolles Schicksal erfuhr – im Zweiten Weltkrieg und viele Jahre danach. Als er am 3. Juni 1943 aus der deutschen Wehrmacht gemeinsam mit einem Freund desertierte, wurde er in Bordeaux geschnappt und zum Tode verurteilt. Eine Wochenschau hatte den Ausschlag gegeben: Er musste im Film mitansehen, wie sowjetische Kriegsgefangene von den Nazis auf freiem Feld eingepfercht wurden und zu Tausenden verhungerten und erfroren. Er floh, in der Hoffnung, nach Amerika zu gelangen – vergeblich. Er und sein Freund wurden in eine Todeszelle gebracht und warteten jeden Tag auf ihre Hinrichtung – eine seelische Folter, die sich über zehn Monate hinzog. Inzwischen war ihre Todesstrafe in eine 15-jährige Zuchthausstrafe umgewandelt worden. Zwar überlebte Ludwig Baumann den Zweiten Weltkrieg, wenngleich schwer verwundet, und arbeitete in Bremen als Handlungsreisender, doch in der Nachkriegszeit wurde er für seine Desertion immer wieder als „Feigling“ oder „Vaterlandsverräter“ geschmäht.

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„Traumatisiert von den Kriegserlebnissen und von vielen Zeitgenossen geächtet, griff er zur Flasche und kam erst davon los, als er große Verantwortung übernehmen musste“, sagt Astrid Torkel von der Friedensschule, „denn als seine Frau bei der Geburt des sechsten Kindes gestorben war und er sich um die Kinder kümmern musste, rüttelte ihn dies wach.“

Was ihn psychisch auch stabilisierte und ihm neuen Lebenssinn gab, war sein Engagement in der Friedensbewegung zu Beginn der 1980er Jahre. Fortan setzte Ludwig Baumann sich dafür ein, dass Wehrmachtsdeserteure rehabilitiert werden, und dank seiner beharrlichen Aufklärungsarbeit hatte er schließlich Erfolg: Die schändlichen Urteile der NS-Richter wurden im Jahre 2002 durch den Deutschen Bundestag für null und nichtig erklärt – 60 Jahre nach Baumanns Verurteilung zum Tode.

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„In vielen Schulen in Bremen und im Bremer Umland, in Hamburg und Berlin berichtete Baumann in höchst ergreifender Weise von dem Unrecht, das ihm angetan wurde“, sagt Ulrich Schröder, ehemals Lehrer an einer Berufsschule in Osterholz-Scharmbeck. Er erinnert sich, wie Baumann vor seine Klasse trat und von seinem Werdegang erzählte. „Die Schüler waren zutiefst beeindruckt von seiner schlichten Art, ohne Manuskript von seinen Kriegserfahrungen zu erzählen, und am Ende saß Ludwig Baumann auf seinem Stuhl und hat geweint.“

In Vegesack lebend, hat er dabei mitgewirkt, dass im Foyer des Hauses 1986 das erste öffentliche Denkmal aufgestellt wurde, das der Soldaten der Wehrmacht gedenkt, die sich dem Kriegsdienst entziehen wollten. Diese Deserteure verweigerten Befehle, verstümmelten sich oder liefen über – rund 30.000 wurden dafür von der NS-Militärjustiz zum Tode verurteilt.

Anlässlich seines 90. Geburtstags im Jahre 2011 würdigte der damalige Bürgermeister Jens Böhrnsen Ludwig Baumann mit der Überreichung des Bremer Friedenspreises, und die Internationale Friedensschule Bremen verlieh ihm 2014 den Franco-Paselli-Friedenspreis. Am 5. Juli 2018 ist Ludwig Baumann im Alter von 96 Jahren gestorben.

„Wegen der Corona-Pandemie musste die Festveranstaltung zum 100. Geburtstag von Ludwig-Baumann ausfallen“, sagt Astrid Torkel, „doch wir werden sie auf jeden Fall noch nachholen.“ Ansprachen, Fotos und ein Film sollen an den Friedensaktivisten erinnern, dessen Verdienste mit der Benennung des großen Saals im Bürgerhaus gewürdigt sind.

Zur Sache

Deserteure der Deutschen Wehrmacht wurden erst spät rehabilitiert

Bereits in den 1920er Jahren hatte Adolf Hitler in seinem Buch „Mein Kampf“ verkündet: „An der Front kann man sterben, als Deserteur muss man sterben.“ Die deutsche Militärjustiz leistete diesem Befehl konsequenten Gehorsam und tötete Menschen, die desertierten, den Wehrdienst verweigerten oder als sogenannte Wehrkraftzersetzer eingestuft wurden. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zunächst keineswegs zu einer Neubewertung des geschehenen Unrechts: „Die Kontinuität des Denkens und der Mentalität ließ sich insbesondere daran ablesen, dass die große Mehrheit der deutschen Gesellschaft der 50er-Jahre im Hinblick auf die NS-Zeit kaum ein Unrechtsbewusstsein entwickelte und sich in dem Bemühen um eine kollektive Schuldabwehr einig wusste“, schreibt Wolfram Wette im Jahre 2004 in der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Erst durch das am 23. Juli 2002 verkündete „Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege“ wurden die NS-Urteile gegen Wehrmacht-Deserteure pauschal aufgehoben.

Info

Ludwig Baumann hat seine Erinnerungen in dem Buch „Niemals gegen das Gewissen: Plädoyer des letzten Wehrmachtsdeserteurs“ festgehalten. Das Werk ist 2014 im Verlag Herder erschienen, hat 128 Seiten und kostet 12,99 Euro, als CD 6,87 Euro.

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