"An diesem Montag wäre Ludwig Baumann 100 Jahre alt geworden“, sagt Marita Rothe von der Friedensschule Bremen, „und wegen seiner großen Verdienste für das Gustav-Heinemann-Bürgerhaus wird dessen großer Saal nach ihm benannt.“ Damit will die Internationale Friedensschule Bremen einen Menschen ehren, der inzwischen eine bekannte Person der Zeitgeschichte ist. „Er hat im Bürgerhaus an vielen Aktivitäten teilgenommen, es war seine zweite Heimat,“ sagt Marita Rothe.
In großen Lettern steht sein Name schwarz auf Weiß vor dem Eingang, und zur Linken informiert ein Text über Lebenslauf und Aktivitäten von Baumann, der ein leidvolles Schicksal erfuhr – im Zweiten Weltkrieg und viele Jahre danach. Als er am 3. Juni 1943 aus der deutschen Wehrmacht gemeinsam mit einem Freund desertierte, wurde er in Bordeaux geschnappt und zum Tode verurteilt. Eine Wochenschau hatte den Ausschlag gegeben: Er musste im Film mitansehen, wie sowjetische Kriegsgefangene von den Nazis auf freiem Feld eingepfercht wurden und zu Tausenden verhungerten und erfroren. Er floh, in der Hoffnung, nach Amerika zu gelangen – vergeblich. Er und sein Freund wurden in eine Todeszelle gebracht und warteten jeden Tag auf ihre Hinrichtung – eine seelische Folter, die sich über zehn Monate hinzog. Inzwischen war ihre Todesstrafe in eine 15-jährige Zuchthausstrafe umgewandelt worden. Zwar überlebte Ludwig Baumann den Zweiten Weltkrieg, wenngleich schwer verwundet, und arbeitete in Bremen als Handlungsreisender, doch in der Nachkriegszeit wurde er für seine Desertion immer wieder als „Feigling“ oder „Vaterlandsverräter“ geschmäht.
„Traumatisiert von den Kriegserlebnissen und von vielen Zeitgenossen geächtet, griff er zur Flasche und kam erst davon los, als er große Verantwortung übernehmen musste“, sagt Astrid Torkel von der Friedensschule, „denn als seine Frau bei der Geburt des sechsten Kindes gestorben war und er sich um die Kinder kümmern musste, rüttelte ihn dies wach.“
Was ihn psychisch auch stabilisierte und ihm neuen Lebenssinn gab, war sein Engagement in der Friedensbewegung zu Beginn der 1980er Jahre. Fortan setzte Ludwig Baumann sich dafür ein, dass Wehrmachtsdeserteure rehabilitiert werden, und dank seiner beharrlichen Aufklärungsarbeit hatte er schließlich Erfolg: Die schändlichen Urteile der NS-Richter wurden im Jahre 2002 durch den Deutschen Bundestag für null und nichtig erklärt – 60 Jahre nach Baumanns Verurteilung zum Tode.
„In vielen Schulen in Bremen und im Bremer Umland, in Hamburg und Berlin berichtete Baumann in höchst ergreifender Weise von dem Unrecht, das ihm angetan wurde“, sagt Ulrich Schröder, ehemals Lehrer an einer Berufsschule in Osterholz-Scharmbeck. Er erinnert sich, wie Baumann vor seine Klasse trat und von seinem Werdegang erzählte. „Die Schüler waren zutiefst beeindruckt von seiner schlichten Art, ohne Manuskript von seinen Kriegserfahrungen zu erzählen, und am Ende saß Ludwig Baumann auf seinem Stuhl und hat geweint.“
In Vegesack lebend, hat er dabei mitgewirkt, dass im Foyer des Hauses 1986 das erste öffentliche Denkmal aufgestellt wurde, das der Soldaten der Wehrmacht gedenkt, die sich dem Kriegsdienst entziehen wollten. Diese Deserteure verweigerten Befehle, verstümmelten sich oder liefen über – rund 30.000 wurden dafür von der NS-Militärjustiz zum Tode verurteilt.
Anlässlich seines 90. Geburtstags im Jahre 2011 würdigte der damalige Bürgermeister Jens Böhrnsen Ludwig Baumann mit der Überreichung des Bremer Friedenspreises, und die Internationale Friedensschule Bremen verlieh ihm 2014 den Franco-Paselli-Friedenspreis. Am 5. Juli 2018 ist Ludwig Baumann im Alter von 96 Jahren gestorben.
„Wegen der Corona-Pandemie musste die Festveranstaltung zum 100. Geburtstag von Ludwig-Baumann ausfallen“, sagt Astrid Torkel, „doch wir werden sie auf jeden Fall noch nachholen.“ Ansprachen, Fotos und ein Film sollen an den Friedensaktivisten erinnern, dessen Verdienste mit der Benennung des großen Saals im Bürgerhaus gewürdigt sind.