Um im Nachklang der Pandemiepräventionsmaßnahmen neue Mitstreiter zu gewinnen, beschritt das Statt-Theater im Vorjahr erstmals neue Wege und bot anstelle des bis dato jahrzehntelang etablierten „Nachwuchsensembles“ ab dem Spätsommer erstmals ein kostenloses Theatertraining an. Mit Erfolg: Mehr als 30 Interessenten nahmen mit großem Interesse an den Workshops, Übungen und Infoabenden teil.
„Wir mussten manchen späteren Interessenten sogar leider absagen, da die Gruppen sonst zu groß geworden wären“, bedauert Christina Richter, die das Trainingsprojekt als langjähriges „Statt-Theater“-Mitglied initiierte. Etwa zwei Drittel der Trainingsteilnehmer entschlossen sich, auch nach Ende des Projekts in den Reihen des Theatervereins weiter zu machen – und proben seit März dieses Jahres zwei Mal wöchentlich in der Aula des Schulzentrums Lerchenstraße unter Richters Regie an einer Bühnenumsetzung des „Indischen Tuchs“ aus der Feder der Krimilegende Edgar Wallace; nun allerdings als offizielles Nachwuchsensemble des Theatervereins.
Verschiedene Motivationen
Die in diesem vertretene Altersspanne ist ebenso weitreichend wie die verschiedenen Motivationen der künftigen Darsteller. So nutzen die frischgebackenen Abiturientinnen Marla Fries und Sophie Raschke die Möglichkeit vor dem Beginn ihrer Ausbildungen zur Ergotherapeutin beziehungsweise Theaterpädagogin, um in diesem Rahmen ihrer trotz jungen Alters bereits langjährigen Theaterleidenschaft zu frönen.
Auch Helene Weigelt benennt „Darstellendes Spiel“ als früheres Lieblingsschulfach am Gymansium; schlug nach dem Abitur allerdings einen völlig anderen Berufsweg ein: „Als Köchin habe ich zunächst lange keinen Bezug mehr zum Theater gehabt – und es hat mir so gefehlt.“ Eine noch längere Abstinenz von ihrer Theaterleidenschaft benennt Malgorzata Korowacki: „In meiner polnischen Heimatstadt war ich viele Jahre in einer mit dem Statt-Theater vergleichbaren Gruppe.“ Dies änderte sich nach ihrem Umzug nach Deutschland: „Als ich vor 25 Jahren auch noch alleinerziehende Mutter wurde, bestand mein Leben fast nur noch aus Arbeit.“
Vom Besucherplatz auf die Bühne
Korowackis erste Begegnung mit dem „Statt-Theater“ bestand – wie auch bei weiteren Mitwirkenden des jetzigen Nachwuchsensembles – aus einem Besuch der Vorjahresproduktion „8 Frauen“ an selber Stelle: „Da habe ich vor Glück fast geweint. Als sich die Gelegenheit zum Mitmachen bot, habe ich natürlich begeistert angenommen.“
Wieder andere erfuhren durch Verwandte, Bekannte oder auch aus der NORDDEUTSCHEN vom unverbindlichen Trainingsangebot des Statt-Theaters: „So etwas ist wahrscheinlich einzigartig. Ich weiß von keinem anderen Theaterverein, der selbst absoluten Anfängern kostenlose Coachings und sogar den Einstieg ermöglicht“, lobt Andrea Tiedemann. Deshalb ergiff auch die Konstrukteurin diese Gelegenheit, ihre Neugier aufs Theaterspielen zu stillen. Der Verein profitiert im Gegenzug künftig von ihren beruflichen Qualifikationen: „Für das diesjährige Kinderstück wurde ich bereits für das Bühnenbild eingeteilt“, eröffnet Tiedemann lachend.
Hemmschwellen waren zu überwinden
Ina Gröning nutzte das Theatertrainingsangebot hingegen als Wiedereinstiegsmöglichkeit: „Ich war zwar vor Jahren schon einmal im Nachwuchsensemble; musste damals allerdings aus privaten Gründen abbrechen. Nach zwei fehlgeschlagenen Wiedereinstiegsversuchen hat es nun endlich geklappt.“
Trotz der Niedrigschwelligkeit des Traningsangebots berichten viele Mitwirkende des jetzigen Nachwuchsensembles von Hemmschwellen im Vorfeld: „Ich habe gedacht, ich wäre als Rentnerin bereits zu alt, um noch mit Theaterspielen anzufangen und wusste zuerst nicht, wie ich mich unter den ganzen jungen Menschen verhalten sollte“, gesteht Margarete Neumann.
Soziale Kontakte geknüpft
Doch auch jüngere Ensemblemitglieder hatten ähnliche Bedenken – freilich mit umgekehrten Vorzeichen: „Ich bin froh, über meinen Schatten gesprungen und alleine zum Trainingsangebot gegangen zu sein – obwohl ich vorher dachte, dass es mir im Vergleich zu den älteren Teilnehmern vielleicht an Erfahrung fehlen könnte. In der Gruppe habe ich aber schnell gemerkt, dass das Alter hier eigentlich keine Rolle spielt und sich alle gegenseitig helfen und unterstützen“, erklärt Marla Fries.
Anastasija Tkachenko entdeckte das Theaterangebot sogar als persönliche Integrationsmöglichkeit: „Als ich im Mai 2023 aus dem russischen Jekaterinburg nach Deutschland gezogen bin, hatte ich noch keinerlei sozialen Kontakte. Die habe ich hier gefunden – und zudem eine tolle Möglichkeit, die Sprache zu trainieren.“
Theatertraining als Ausgangspunkt
Neben den Trainingsabsolventen komplettieren auch bereits bühnenerfahrene Vereinsmitglieder wie Helene Horstmann, Jörn Winzen, Martin Dreifke und Mel Araujo Walzberg, die zum Teil bereits seit Jahren zum Hauptensemble zählen, das diesjährige Nachwuchsensemble. Sie teilen ihre Theatererfahrungen ebenso bereitwillig mit den neuen Mitstreitern wie Projektinitiatorin und Regisseurin Christina Richter. Sie erhält aus den Reihen ihres Ensembles zudem viel Lob für ihre Geduld und ihr Einfühlungsvermögen: „Andere wären in manchen Situationen wahrscheinlich bereits geplatzt“, vermutet Malgorzata Korowacki.
„Das würde ja nichts bringen“, antwortet die Angesprochene. Ohne das Theatertraining hätte sich das Ensemble in dieser Form nicht zusammen gefunden – darin sind sich alle Beteiligten einig. „Manche wären sich vermutlich sogar nie begegnet“, vermutet Andrea Tiedemann.