Herr Bullmahn, Herr Alexander, welche Themen haben Vegesack in den ersten acht Monaten dieses Jahr besonders beschäftigt?
Michael Alexander: Für mich war zum Beispiel der Weggang des Schulschiffes ein wichtiges Ereignis, leider. Ansonsten hatten wir in den ersten acht Monaten sehr viel mit Bebauungen zu tun. Ein anderes Thema war die Frühchenversorgung im Klinikum Bremen-Nord. Ich hoffe, dass wir die Station hier behalten können. Was mich sehr geärgert hat, ist die Eisenbahnüberführung in Grohn. Dort werden nun die Gleise erneuert, aber die Brücke bleibt so, wie sie war. Es hat mich umgehauen, dass die Gelegenheit nun nicht genutzt wird, um einen großzügigeren Fußgänger- und Radfahrweg zu errichten.
Torsten Bullmahn: Natürlich hat uns das Thema Schulschiff bewegt. Der ganze Ablauf hat mich sehr gewundert. Ich bin enttäuscht darüber, nicht nur über die Verfahrensweise von Claus Jäger als Vorsitzenden des Deutschen Schulschiff-Vereins, sondern auch über das Nicht-Reagieren des Senats. Das war nicht gut. Als Beirat können wir nur fordern, brauchen aber auch den Rückhalt der Bürgerschaft. Und die hat mir bei der ganzen Diskussion einfach gefehlt. Das gilt im Übrigen auch für die Kommunikation zwischen Beirat und Bürgerschaft.
Was bedeutet der Weggang des Schulschiffes für Vegesack?
Bullmahn: Die Maritime Meile verliert damit wieder ein großes Stück an Bedeutung. Ohnehin mache ich mir große Gedanken über das Weserufer, weil wir an Attraktion und Glanz in Vegesack verlieren. Die gesamte Maritime Meile, vom nicht verkauften Gelände der Bremer Bootsbau Vegesack bis zum 'Schulschiff Deutschland': Das ist einfach nicht schön, was da passiert.
Alexander: Das ist für mich auch ein Anliegen für die Zukunft, dass es ein Gesamtkonzept für die Maritime Meile, den Hafen und vielleicht sogar das Bahnhofsumfeld gibt. Dieses Gebiet muss vernünftig bespielt werden. Studenten haben sich kürzlich mit der Frage beschäftigt, wie man die Maritime Meile wieder zum Leben erwecken könnte. Grundsätzlich finde ich diesen Ansatz gut. Allerdings ging es vorrangig um das Marketing, aber nicht um die Historie der Maritimen Meile, sprich die alte Zeit mit Wal- und Heringsfang. Das macht den Charakter der Meile aus und müsste mehr hervorgehoben werden. Damit wird sie auch für Touristen oder Stadtbremer interessanter.
Wie könnte der ehemalige Liegeplatz des Schulschiffes künftig genutzt werden?
Bullmahn: Denkbar wäre zum Beispiel, dass dort ein Hotelschiff festmacht. Ich habe mit einem Herrn telefoniert, der ein Schiff für 350.000 Euro verkauft hat. Das könnte zum Beispiel als günstiges und maritimes Hotel in der Lesummündung liegen. Wir wollen den Tourismus in Bremen-Nord fördern. Auch mit Blick auf den Weggang der Strandlust wäre ein Hotelschiff sehr attraktiv. Oben an Deck könnte zudem ein gastronomisches Angebot geschaffen werden. Wenn sich ein anderes Schiff anbietet, das zur Attraktion für Vegesack wird, kann ich mir aber auch das sehr gut vorstellen.
Alexander: Ein Hotelschiff finde ich auch sehr interessant für den Standort. Allerdings werden wir nie einen adäquaten Ersatz für das Schulschiff bekommen.
Sie haben bereits die Bauprojekte angesprochen, die den Vegesacker Beirat in diesem Jahr beschäftigt haben. Größtenteils ging es dabei um Wohnbauprojekte. Warum braucht Vegesack die?
Bullmahn: Durch den aktuellen Bauboom suchen jungen Familien nach Domizilen. Vegesack bietet für diese Zielgruppe interessante Grundstücke und zieht sie damit in den Stadtteil. Zusätzliche Einwohner bringen auch zusätzliche Kaufkraft. Davon profitiert wiederum die Vegesacker Innenstadt, die aktuell etwas kränkelt.
Allerdings werden einige Wohnprojekte auf ehemaligen Gewerbeflächen realisiert, die dadurch weniger werden.
Alexander: Ich arbeite in Blumenthal und sehe dort das alte Gelände der Bremer Woll-Kämmerei, auf dem sich in den vergangenen Jahren hier und da etwas getan hat. Die Investoren, die Gewerbeflächen suchen, schauen aber offenkundig nicht in den Bremer Norden. Dabei sind die Flächen hier sehr gut an die Autobahn angebunden. Es nützt nichts, Gewerbeflächen vorzuhalten, wenn man über die Jahre merkt, dass es keine Nachfrage danach gibt. Deshalb müssen wir einen Kompromiss eingehen und nach Mischgebieten schauen. Damit holen wir Kaufkraft in den Stadtteil, auch auf die Gefahr hin, dass wir nicht so viele Arbeitsplätze gewinnen.
Bullmahn: Unsere Forderung im Beirat war, dass Gewerbegebiete bestehen bleiben sollten. Wir können hier nicht nur wohnen, sondern müssen auch arbeiten. Beides muss also gekoppelt werden. Das geplante Steingutquartier ist dafür ein gutes Beispiel.
Wie bekommt man wieder mehr Firmen nach Vegesack, die hier auch Arbeitsplätze schaffen?
Bullmahn: In dem die Behörde sich schneller mit den Gewerbetreibenden einigt.
Das heißt konkret?
Bullmahn: Das beste Beispiel dafür ist das Gelände der Bremer Bootsbau Vegesack. Der Chef von Lürssens Grundstücksverwaltung, Stephan Friedrich, möchte das Grundstück, aber es hakt offensichtlich an irgendwelchen Stellen. Normalerweise müsste man sich an einen Tisch setzen und das Vorhaben besprechen. Stephan Friedrich will dort Gewerbe ansiedeln und hat gute Projekte. Deshalb muss man schneller zueinander kommen und das Vorhaben seitens der Stadt auch unterstützen. In Schwanewede funktioniert das. Dort setzt sich die Bürgermeisterin mit den Interessenten zusammen und klärt die Details. Das geht alles ganz schnell.
Alexander: Wenn man in kleineren Einheiten denkt, muss man auch die Fußgängerzone und den Sedanplatz in den Blick nehmen. Im Moment ist das Gebiet nicht sonderlich attraktiv. Wenn man mittel- oder längerfristig denkt, könnte zum Beispiel das Polizeigebäude, das mit dem geplanten Umzug an den Hafen künftig nicht mehr gebraucht wird, anderweitig genutzt oder vielleicht sogar abgerissen werden. Dann kann man auch gleich den nächsten Schritt gehen und sich fragen, ob man das alte Finanzamtsgebäude noch braucht? So bietet sich die Möglichkeit, den Sedanplatz neu zu bespielen. Allerdings ist dazu auch der Abriss der Markthalle notwendig. Ich kann mir vorstellen, dass so Investoren angelockt werden und damit weitere Einzelhandelsflächen geschaffen werden können. Das würde sicherlich auch die Menschen freuen, die später einmal in die neue Bebauung am Hartmannstift einziehen werden. Nicht nur sie könnten etwa Kleidung somit vor der Haustür kaufen und müssten nicht extra in die Innenstadt fahren.
Die Menschen wollen aber nicht nur einkaufen, sondern sich auch sportlich betätigen. Wie sieht es denn mit dem Oeversberg aus?
Alexander: Das ist ein ganz großes Thema. Wir wissen nicht, was eigentlich mit der Jacobs University ist. Dieses Geflecht zu entzerren ist für mich eine ganz wichtige Sache, damit wir da kurzfristig Klarheit bekommen. Vielleicht muss man zusätzlich auch eine Querverbindung zum Steingutquartier ziehen und der Uni dort eine Möglichkeit geben, sich weiterzuentwickeln. Das muss nicht zwingend auf dem Oeversberg sein.
Bullmahn: Da gibt es überhaupt keine Diskussion, der Oeversberg muss bleiben. Wir haben mit der Fläche des Grohner Fußballvereins schon etwas abgegeben. Wir brauchen Sportflächen und können nicht noch weitere Areale hergeben. Da werden wir uns als Beirat vehement gegen wehren. Wir hoffen, dass uns das Sportamt dabei nicht im Stich lässt.
Wie steht es um die Bemühungen, ein Jugendforum in Vegesack aufzubauen?
Bullmahn: Jugendarbeit ist immer wichtig. Das geplante Forum ist eine gute Möglichkeit, um den Nachwuchs zu fördern. Denn auch der steckt voller Ideen, die in die Beiratsarbeit mit einfließen muss.
Alexander: Das Jugendforum halte ich für äußerst wichtig, weil damit die jüngere Generation auch an die Politik herangeführt wird. Zudem sind wir im Beirat eine andere Generation, sind anders aufgewachsen und haben einen anderen Blickwinkel auf die Dinge in Vegesack. Insofern kann es nur erfrischend sein, wenn junge Leute sagen, wie sie über bestimmte Sachverhalte denken. Leider musste das Jugendforum pandemiebedingt unterbrochen werden. Deshalb ist es wichtig, dass das Projekt nun deutlich forciert und vorangetrieben wird.