Für die Erstklässer der Grundschule Alt-Aumund steht an diesem Vormittag weder Mathe noch Deutsch auf dem Stundenplan. Stattdessen lernen sie in der Stadtbibliothek Vegesack den richtigen Umgang mit Tablets. Und zu philosophieren.
Entwickelt wurde das Konzept von Blickwechsel, einem Verein für Medien- und Kulturpädagogik, sowie der Stadtbibliothek Bremen. Im Fokus steht das Buch "Eine Kiste irgendwas" von Lena Hesse. Aus dem liest Pädagogin Malin Gloistein ein paar Seiten vor. Die erzählen von Hase, Huhn und einem Paket. Nur was sich darin verbirgt, ist unklar. Genauso wie der Hase in der Geschichte fangen auch die Kinder an zu rätseln. Unter anderem mit der Hilfe von Tablets suchen die Mädchen und Jungen nach einer Lösung.
Mit den Geräten machen die Schüler Fotos, um sie anschließend mit einer App zu bearbeiten. So entstehen Wesen, denen die Kinder dann noch einen Namen geben können. Ausschließlich um Kreativität geht es dabei allerdings nicht. Darüber hinaus können die Erstklässlerinnen und Erstklässler lernen, dass Tablets Werkzeuge sind, die auch wieder ausgeschaltet werden können. "Und das müssen Kinder wirklich schon sehr früh lernen", betont Edina Medra vom Verein Blickwechsel. Denn im Alltag würden sie immer wieder Erwachsene sehen, die ihren Blick auf einen Bildschirm richten. Das sei die Welt, in die die Kleinen hineingeboren werden und ein Teil von sein wollen. "Wir wollen den Kindern zeigen, wie sie die Geräte gesund verwenden", sagt sie. Das sei wie bei einem Hammer: Nutzt man ihn, um damit einen Nagel in die Wand zu schlagen, ist er hilfreich. In anderen Situationen könne er aber auch gefährlich sein.
Und so lernen die Kinder, dass man Tablets nicht nur zum Konsumieren, sondern auch zum Produzieren nutzen kann. "Das ist ganz wichtig, dass sie sehen, dass man mit einem Tablet super arbeiten kann", erklärt Medra.
Das Thema Medienbildung ist für die Stadtbibliothek – genauso wie für den Verein Blickwechsel – ein wichtiges Betätigungsfeld. "In erster Linie gehört es zum Bildungsauftrag und zur gesellschaftlichen Teilhabe", sagt Meike Su von der Stadtbibliothek. "Gerade durch die Digitalisierung, die alle Lebensbereiche angeht, müssen wir uns überlegen, wie wir das Thema schon in der frühkindlichen Bildung implementieren können." Dabei sei es wichtig, dass die Angebote spielerisch sind, ohne dass die Mädchen und Jungen sofort merken, dass sie dabei auch eine Menge lernen. "Deshalb sind interdisziplinäre Projekte ganz toll, bei denen man das Kennenlernen von digitalen Werkzeugen mit dem Thema Lesen verbinden kann", so die Bibliotheksmitarbeiterin.

Verknüpfen Medienbildung mit Philosophie (von links): Malin Gloistein und Edina Medra vom Verein Blickwechsel.
An diesem Vormittag erfahren die Mädchen und Jungen aber nicht nur Medienbildung, sondern werden auch zum Philosophieren angeregt. Damit will Medra den Kindern eine wichtige Grundqualifikation vermitteln: "Dass man denken übt", sagt sie. Schließlich sei das Philosophieren die Liebe zum Denken. "Wir wollen Kinder dazu anregen, Dinge aus anderen Perspektiven zu betrachten", erklärt Medra. Und das ergebe sich auch aus dem Vereinsnamen: Blickwechsel.
Geht es nach Medra, lassen sich Philosophie und Medienbildung bestens miteinander verbinden. "Es geht uns darum, Medienrealitäten zu hinterfragen", erklärt sie. Und daran sollten Kinder so früh wie möglich herangeführt werden. Es gelte den Mädchen und Jungen zum einen zu vermitteln, dass Geräte Werkzeuge sind, und zum anderen, dass Medienwelten künstlich erschaffen werden. "Und die müssen eben hinterfragt werden", sagt Medra.
Auf diese Weise finde auch Kinderschutz statt. "Seit ein paar Jahren machen wir immer mehr Intervention, obwohl unsere Projekte eigentlich der Prävention dienen", sagt die Referentin für Medienbildung. Grund dafür sei, dass es Fälle gab, in denen sich Kinder für Superman gehalten haben und aus dem Fenster gesprungen sind. So etwas ließe sich nur durch Medienbildung verhindern.
Im vergangenen Jahr wurde das Projekt von Blickwechsel und Stadtbibliothek Bremen mit dem Dieter-Baacke-Preis ausgezeichnet. Den verleihen die Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur sowie das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend an beispielhafte Projekte der Bildungs-, Sozial- und Kulturarbeit. "Mit dem Preisgeld sowie weiteren Mitteln der Stadtbibliothek werden wir eine Publikation herausgeben", berichtet Su. Die soll in den nächsten Monaten veröffentlicht werden und Pädagoginnen und Pädagogen die Möglichkeit geben, Medienbildung in ihren Berufsalltag zu integrieren.