„Ich saß mit Pfarrer Baumgard bei einer Tasse Kaffee zusammen, wir sprachen über die Geflüchteten und beklagte mich über die unmögliche Situation und er antwortete, dass ich dann doch etwas dagegen machen soll“, erinnert sich Sybille Vollmer an den Jahresanfang 2015 und sie nahm ihn beim Wort. Wozu das Gespräch führte? Zum heutigen Verein „Ökumenische Starthilfe“ und demnächst zur Verleihung des Verdienstkreuzes am Bande. Das wird Bürgermeister Andreas Bovenschulte ihr am 7. August verleihen. Die erste Ehrung ist es allerdings nicht für die 78-Jährige. „Ich war schon einmal im Rathaus“, sagt die Vegesackerin und zeigt eine eingerahmte Urkunde aus dem Jahre 1989. Damals war ihr der Bremer Förderpreis für Jugendarbeit von Henning Scherf verliehen worden. „Übergewichtige Mädchen – eine Herausforderung für die Jugendarbeit“ lautete damals der Titel ihres zweijährigen Projektes in der Nordbremer Integrationshilfe.
Mit der Verleihung an Sybille Vollmer geht im August zum 18. Mal seit der digitalen Erfassung 2003 ein Verdienstorden nach Bremen-Nord. Bisher wurden acht Vegesacker, sieben Burglesumer und zwei Blumenthaler geehrt. Zuletzt hat Lothar Remme, Ehrenpräsident des ASB Landesverbandes Bremen, 2021 diesen Orden verliehen bekommen und nun darf auch Sybille Vollmer die Schatulle mit dem Orden aus Emaille, Metall und Stoffband in Empfang nehmen.
Transporter bereitet Sorgen
„Was wollen die denn? Ich musste den Brief drei Mal lesen, um ihn zu verstehen und war ziemlich fassungslos am Pfingstsonnabend“, erinnert sich Sybille Vollmer lachend als sie berichtet, wie sie von der Ehrung erfuhr. Inzwischen weiß sie auch, dass Felix Richter-Hebel sie für die Auszeichnung vorgeschlagen hat. Er habe ihr irgendwann einmal gesagt, dass man sie mit ihrem Engagement eigentlich für eine solche Ehrung nominieren müsse. Sie habe jedoch abgewunken und nie erwartet, dass man ihre Arbeit für Geflüchtete so honoriere.
„Die ökumenische Starthilfe leistet mit überaus hohem Engagement sehr wertvolle Arbeit für geflüchtete Menschen, insbesondere in der komplexen Phase des Umzugs aus einer Übergangswohneinrichtung in eine eigene Mietwohnung“, heißt es in der Begründung für die Ehrung und weiter „Sie ist die ´Seele der Initiative`, sorgt für tragfähige Kontakte und Kooperationen, für die gute Koordinierung der Aufgaben, besonders aber auch für ein offenes Klima, in dem sich immer wieder neue Ehrenamtliche – auch ehemals Geflüchtete – gerne engagieren“.
Aus einem anfänglichen Quartett von Ehrenamtlichen sind heute 41 geworden und Geflüchtete helfen auch regelmäßig mit. „Wenn ich den Sprinter fahre und Möbel hole, dann meistens mit Amjad Atiya“, sagt Sybille Vollmer. Ohne ihn hätte sie längst aufgegeben, meint sie, aber zum Glück sei er immer zur Stelle, wenn es kritisch werde. Allerdings wird Amjad nicht helfen können beim kritischen Zustand des Sprinters. 230.000 Kilometer habe er bereits gelaufen und es sei fragwürdig, ob er noch einmal durch den TÜV kommt. Die Anschaffung des Fahrzeuges war damals von den Kirchengemeinden, den Ortsämtern und Mercedes gesponsort worden. „Ein neuer Sprinter wäre ein Traum“, wünscht sich die pensionierte Jugendgerichtshelferin.
Lachen muss die 78-Jährige, wenn sie an die verschiedenen Räumlichkeiten der Starthilfe zurückdenkt. Zuerst seien es 40 m2 in einem leeren Haus in Grohn gewesen. „Einen Winter haben wir dort verbracht und mussten Putzwasser mitbringen und für Toilettengänge zur Kirchengemeinde hochlaufen“, so Vollmer. Danach kam eine Lagerhalle der Firma Nehlsen. Wieder ohne Heizung, Wasser und Toilette, dafür aber mit 150 m2. Heute sind es 500 m2 Lagerfläche und dazu noch einmal ein gleichgroßer Keller für all die Spenden, die der Verein annimmt. Sybille Vollmer findet den jetzigen Laden in der Lerchenstraße „traumhaft“ und ist dankbar für die Unterstützung von Vonovia, die die Räumlichkeiten zur Verfügung stellt.
Man trifft sie dort zu den Öffnungszeiten montags und mittwochs am Empfang an. Sybille Vollmer kontrolliert Ausweise, registriert die Geflüchteten, weist ihnen Zeiten zu, in denen sie im Laden stöbern können. Mit anderen Worten: Sie sorgt für geordnete Abläufe in den Räumlichkeiten, kennzeichnet Möbel, die Besucher sich ausgesucht haben und regelt die Anlieferung bei großen Stücken. Außerhalb der Öffnungszeiten trommelt sie Helfer zusammen, organisiert Abholungen, begutachtet Fotos von Angeboten, bei ihr laufen die Fäden zusammen. „Nur Zuhause zu sitzen und mich mit mir selber zu beschäftigen, das wäre nichts für mich! Es macht mich zufrieden, dass ich mit dem Verein helfen kann.“, erklärte die Vegesackerin, Mutter von vier Kindern und Oma von sieben Enkelkindern. Ganz pragmatisch fasst sie ihre ökumenische Starthilfe zusammen: „Wir helfen den Geflüchteten, machen uns selber damit eine Freude und niemand, der bei uns mithilft, ist einsam.“ Und wie Freude in der Starthilfe aussehen kann, durfte sie jüngst wieder erleben. Ein Geflüchteter sei so dankbar über das Angebot im Laden gewesen, dass er sie spontan auf die Stirn geküsst habe. „Anders konnte er seine Freude noch nicht ausdrücken und die anderen um ihn herum haben sich kaputtgelacht“, erzählt Sybille Vollmer eine besondere Begebenheit von vielen.