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Tattoo-Farben "Die Verbotsbegründung ist rein spekulativ“

Gewisse Farben für bunte Tätowierungen werden demnächst von der EU verboten. In der Szene sorgt das für Unverständnis - auch, weil das ein weitere Probleme nach sich ziehen könnte.
10.12.2021, 05:00 Uhr
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Von Christian Pfeiff

Die Welt der Tätowierungen ist vielseitig und bunt: Vom einstigen sozialen Stigma haben sich die bunten Bildchen auf der Haut längst bis in den Mainstream als Kunstform und Individualitätsausdruck etabliert. Zumindest mit der Farbenfreude könnte jedoch bald Schluss sein: Eine Verordnung der Europäischen Union verbietet infolge einer Änderung der EU-Chemikalienverordnung REACH bereits ab Januar 2022 die Verwendung zahlreicher Tattoofarben, die gewisse Chemikalien wie beispielsweise Methanol, Metalle oder polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe beinhalten.

Ab Januar 2023 wird nach Ablauf einer einjährigen Karenzzeit schließlich auch die Verwendung der Farbpigmente „Blue 15“ und „Green 7“ verboten, welche elementare Bestandteile zahlreicher Mischtöne darstellen – laut Expertenschätzung etwa 65% aller derzeit auf dem Markt befindlichen Tattoofarben. „Eigentlich sind laut dem aktuellen Stand nur noch schwarz, weiß und Grautöne erlaubt, wenn die Verbote in Kraft getreten sind“, erklärt Cüneyt Neuschäfer von „Outside Tattoo und Piercing“.

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Gänzlich überraschend kommen die Verbote für die Tattooszene nicht: Bereits seit Vorjahresbeginn kursierten zahlreiche Meldungen über ein drohendes Farbverbot auf Grundlage einer Empfehlung der europäischen Chemikalienagentur ECHA. Bei den wenigen verbliebenen Tattoostudios des Bremer Nordens stößt diese Entscheidung auf einhelliges Unverständnis, „zumal sie lediglich infolge eines Verdachts ohne jegliche konkreten Beweise erfolgt“, kritisiert Frank Ahrens, der sein Studio „Killroy Tattoo“ vor zwei Jahren nach Vegesack verlegte.

Farb-Tattoos werden überleben

Mehr als 20.000 Tätowierungen habe er im Laufe seiner 35-jährigen Berufskarriere gestochen, schätzt Ahrens: „Dabei habe ich nur bei zwei Personen kurzzeitige allergische Hautreaktionen erlebt, die wenig später rückstandsfrei abgeheilt sind – und selbst diese wären nicht zweifelsfrei auf die verwendeten Farben zurück zu führen.“

Ein generelles Ende farbiger Tattoos befürchtet Ahrens nicht – wohl jedoch ein zumindest temporäres Abgleiten dieser in die Illegalität: „Dadurch, dass diese Verordnung nur Europa betrifft, die Farben weltweit jedoch weiterhin erhältlich sind, ist zu befürchten, dass viele farbige Tattoos künftig nicht mehr in professionellen Studios, sondern unter fragwürdigen Bedingungen hinter verschlossenen Türen in irgendwelchen Hinterzimmern entstehen, während sich der seriöse Studiobetrieb am besten schon ab kommenden Januar vorerst nur in schwarz-weiß abspielen darf“ - denn trotz der eingeräumten Karenzzeit bis Januar 2023 wird Studiobetreibern empfohlen, nach Möglichkeit schon ab dem 04. Januar gänzlich auf die Verwendung entsprechender Farbtöne zu verzichten.

Auch Cüneyt Neuschäfer kann das kommende Farbverbot nicht nachvollziehen: „Ich habe in meiner zehnjährigen Tätigkeit in verschiedenen Studios noch nie gehört, dass jemand durch ein Farbtattoo Hautkrebs bekommen hätte, auch nicht von Kollegen oder von meinem Vater, der ebenfalls bereits Tätowierer war. Wenn ein Produkt erwiesenermaßen gesundheitsschädlich ist bin ich natürlich dafür, dass es schnellstmöglich vom Markt genommen wird; nach meiner Kenntnis ist die Verbotsbegründung jedoch spekulativ.“

Mangel an Alternativen

Trotz der langfristigen Verbotsankündigung mangelt es auf dem Markt bislang an möglichen Alternativfarben: „Laut meiner Kenntnis ist bislang nur eine einzige amerikanische Firma in der Lage, rund 75 Prozent der gängigen Farbpalette ohne Verwendung der künftig verbotenen Inhaltsstoffe herzustellen“, so Ahrens.

Was deren Qualität betrifft, äussert der Betreiber des Tattoostudios „Jimmy'z“, der seinen bürgerlichen Namen nicht veröffentlicht wissen möchte, potentielle Bedenken: „Wir Studiobetreiber wissen derzeit nicht, was kommt. Die aktuell verwendeten Farben sind bereits jahrzehntelang erprobt und bewährt, lassen uns somit die Qualität unserer Arbeit garantieren. Bei möglichen kommenden Alternativen lässt sich derzeit weder universelle Hautverträglichkeit noch langjährige Farbechtheit verlässlich abschätzen – und ob diese nicht irgendwann zukünftig ebenfalls als potentiell krebserregend eingestuft werden.“

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Zudem sei in naher Zukunft mit einer merklichen Verteuerung legaler Farbtattoos zu rechnen, da die Farbhersteller ihre aktuellen Entwicklungskosten mit einpreisen würden. Neben dem Farbverbot könnte auch dieser Umstand potentielle Interessenten zu „irgendwelchen dubiosen Kellertätowierern“ führen, fürchtet der Studiobetreiber.

Sollten in den kommenden Monaten keine genehmigungsfähigen Farbalternativen auf dem Markt angeboten werden, droht ein Ende legaler Farbtattoos entsprechend allerspätestens im Januar 2023 – und dürfte legale Tattoostudiobetreiber vor noch größere Probleme stellen, als diese ohnehin derzeit haben. So beschloss Rene Isenberg-Wagenaar bereits im Februar, sein Studio „Dark and Light“ nach zwölf Jahren zu schließen. „Das ganze Hin und Her während des Lockdowns hat mich bereits an einen Punkt geführt, an dem sich der Studiobetrieb nicht mehr rechnete.“ Seine Leidenschaft als professioneller Tätowierer möchte er dennoch weiterhin nachgehen und kann das kommende Farbverbot ebenfalls nicht nachvollziehen: „Wenn diese Farben tatsächlich krebserregend sind, warum hat man sie nicht schon vor zehn oder zwanzig Jahren verboten?“

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