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Blue 15 und Green 7 EU erlässt Pigmentverbot: Gibt es bald keine bunten Tattoos mehr?

Bunte Tattoos könnten bald selten werden: Die EU verbietet aus Sicherheitsgründen die Pigmente für Blau und Grün und diverse Zusatzstoffe. Die Studios müssen Farben im Wert von mehreren tausend Euro wegwerfen.
14.11.2021, 12:25 Uhr
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EU erlässt Pigmentverbot: Gibt es bald keine bunten Tattoos mehr?
Von Katia Backhaus

Tattoos erzählen Geschichten, halten sie auf dem Körper fest. Von der Liebe, von Reisen, von Freundschaft und manchmal auch von einer dummen Idee in jungen Jahren. Auch Tätowierer haben Geschichten zu erzählen, Walter Lackner zum Beispiel. Von der Zeit, als Tattoos noch als "asi" galten, dann als Teil der Untergrundkultur. Als Farben noch selbst gemischt wurden, mit Pigmenten. Nur im Ganzkörperanzug, in einem komplett mit Plastikfolie ausgekleideten Raum, sei das möglich gewesen, sagt Lackner, und trotz aller Vorsichtsmaßnahmen habe man noch Wochen später die Pigmentpartikel irgendwo am Körper finden können, so fein sei das Pulver gewesen. Auch die Nadeln habe man früher selbst gelötet, heute gebe es all das zu kaufen. Luxus, findet er.

Mit den Jahren kamen immer mehr Regulierungen für die Branche, für Tätowiermaschinen, für Nadeln, und nun wieder eine: für die Farben. Dass das jemanden wie Lackner, seit mehr als drei Jahrzehnten Tätowierer und Mitarbeiter bei "Tattoo Dave" in der Bremer Humboldtstraße, aufregt, ist keine große Überraschung. "Man fühlt sich schon verarscht", sagt er. Acht Monate lang hätten die Studios wegen der Pandemie schließen müssen, und nun das. Etwa zwei Drittel aller auf dem Markt erhältlichen Farben, schätzt er, müssen verschwinden. Allein bei "Tattoo Dave" müssten sie Flaschen im Wert von mehreren tausend Euro entsorgen. 

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Keine Risikoeinschätzung für Pigmente Blue 15 und Green 7 möglich

Im Fokus stehen die Pigmente Blue 15 und Green 7, die ab Anfang 2023 EU-weit in Tattoofarben verboten sind. Hinzu kommen jedoch etwa 4000 weitere Inhaltsstoffe, unter anderem Konservierungsstoffe, die bereits ab Anfang Januar 2022 nicht mehr verwendet werden dürfen. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung der Europäischen Chemikalienagentur, deren Empfehlungen das Europäische Parlament und der Rat gefolgt sind. Das deutsche Bundesamt für Risikobewertung (BfR) erklärt, es habe zwar Fortschritten bei der Erkennung von Gesundheitsrisiken durch Tätowierungen gegeben, doch weiterhin seien viele Fragen offen, etwa, wie sich die Abbauprodukte der Farben im Körper verhalten.

2020 hatte die Behörde erklärt, aufgrund der unvollständigen Datenlage sei eine gesundheitliche Risikoeinschätzung für die Anwendung der Pigmente Blue 15 und Green 7 in Tätowiermitteln nicht möglich. Im Oktober stellte das BfR dann Mindestanforderungen an Tätowiermittel und Prüfmethoden für Hersteller vor. 

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Pigmentverbot ist ein "herber Schlag" für Tattoo-Studios

Gitta Connemann ist seit 2015 stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, zuständig für gesundheitlichen Verbraucherschutz. Sie beschäftige sich schon seit Langem mit Tattoos, erklärt Connemann. Das vom BfR entwickelte Prüfverfahren sei ein großer Schritt nach vorne. Es müsse klar sein, dass das, was unter die Haut, ins Blut und Lymphgefäßsystem gehe, sicher sei. Zugleich sagt Connemann: "Ich sehe die Probleme für die Tätowierer und ihre Kunden. Sie wünschen sich Farbtattoos. Und was wären diese ohne grüne und blaue Tinten?" Ein "herber Schlag" sei das Pigmentverbot, "auch, weil die Industrie bisher keine sichere Alternative gefunden hat".

Zumindest nicht auf den ersten Blick. Auf den Seiten der Online-Shops für Tätowierbedarf ist überall ein Warnhinweis zu lesen: "Der Verkauf (und die Benutzung) dieser Farbe ist innerhalb der Europäischen Union ab dem 4. Januar 2022 untersagt." Nur an einer Stelle im Internet heißt es anders: "Die Tattoofarben sind in Bezug auf Pigment-Bestandteile und Herstellung absolut konform mit der deutschen und der EU-Gesetzgebung." Die Marke, zu der diese Webseite gehört, ist wohl auf jedem deutschen Schreibtisch vertreten: Edding.

Wird Edding jetzt Tattoofarben-Monopolist?

Mit Stiften werde sich das Unternehmen bald nicht mehr finanzieren können, erklärt Pressesprecher Gregor Hintz. Vor Jahren, bei einem Innovationsabend mit Pizza und Bier, sei deshalb der Gedanke an Tattoofarben aufgekommen. Eine siebenstellige Summe investierte das Unternehmen in diese Idee. Produziert wird inzwischen in Bautzen, gestochen in Hamburg – im eigenen Studio.

Dass die Filzstiftfirma der Gesetzgebung voraus ist, habe nicht mit Kungelei, sondern mit Weitsicht zu tun, sagt Hintz: "Diese Novelle im Bereich Tattoo war schon sehr viele Jahre zuvor bekannt." Wird Edding jetzt Tattoofarben-Monopolist? Hintz verneint. Zurzeit produziere das Unternehmen nur für den Eigenbedarf, denke aber darüber nach, in den Marktvertrieb zu gehen. Außerdem rechne er damit, dass auch andere Hersteller an neuen Farben arbeiteten.

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Kunden mit Wunsch nach farbigem Tattoo haben Vorrang 

Darauf setzt Patricia Lins. Sie betreibt "Die Tattoo-Praxis" an der Hamburger Straße und hofft, dass "dieser Albtraum" nicht wahr wird, die Tattoowelt nicht schwarz bleibt. "Einige Hersteller haben angekündigt, dass sie sich darum kümmern." Trotzdem: Wer ein farbiges Tattoo will, hat bei Lins gerade Vorrang, die Nachfrage sei groß. Termine für das neue Jahr verabrede sie gerade noch gar nicht, sagt sie. Zum Albtraum der Tätowiererin gehört auch die faktische Illegalisierung der Branche, die dann gar nicht mehr kontrolliert werde. "Tattoostudios werden nicht aufhören, sondern in den Untergrund gehen", sagt sie. Der Markt sei zu groß geworden, um zu verschwinden. "Wir reden nicht über eine kleine Nische, das ist kein Randprodukt mehr." Von der Brustwarzenrekonstruktion bis zum kleinen Stern am Knöchel: Studien zufolge haben zwischen zwölf und 20 Prozent der Deutschen ein Tattoo.

Und selbst, wenn es bald neue Farben geben sollte, wären nicht alle Probleme auf einen Schlag gelöst. Wie lassen sie sich verarbeiten, wie lange halten sie, sind Farbton und Brillanz vergleichbar? "Man braucht am Anfang natürlich Versuchskaninchen", sagt Lins. "Und die Frage ist ja, ob es überhaupt möglich ist, bis 2023 Ersatz für Grün und Blau zu finden." Lackner von "Tattoo Dave" ist davon überzeugt, dass die Suche danach eigentlich überflüssig ist: "Wir haben nicht die letzten 50, 60, 70 Jahre die Leute vergiftet."

Zur Sache

Die Branche wehrt sich

Mit einer Petition versuchen Tätowiererinnen und Tätowierer seit vergangenem Jahr, gegen die neue EU-Verordnung vorzugehen. Nach einer ersten Anhörung entschied der EU-Petitionsausschuss, die Eingabe 1072/2020 für weitere Unterschriften geöffnet zu lassen – aktuell sind es mehr als 126.000. Die Initiatoren Erich Mähnert und Michael Dirks argumentieren unter anderem mit finanziellen Einbußen für Nachbarbranchen: "Die wirtschaftlichen Schäden durch die Abwanderung ins EU-Drittland betreffen also nicht nur die Tattoobranche, sondern auch einen Teil der Kosmetikindustrie (Permanent Make-Up) und die medizinischen Tätowierungen wie die Brustwarzenrekonstruktion."

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