Frau Ströbele, Sie werden nächstes Jahr für die Arbeitgeberseite die Verhandlungen über den neuen Tarifvertrag in der Metall- und Elektroindustrie führen. Haben Sie schon einen Schlachtplan?
Lena Ströbele: Ich würde da nicht von einem Schlachtplan sprechen, aber wir haben uns schon warmgelaufen und unsere Standpunkte geklärt. Die werden wir mit aller Klarheit und Beharrlichkeit vertreten. Mein Anliegen ist es, die Zukunft des Metall- und Elektrostandorts Norddeutschland mitzugestalten.
Wie schwierig werden denn die kommenden Verhandlungen? Konjunkturell sieht es nicht so gut aus – anders als noch 2018, als die beiden Tarifparteien zuletzt zusammensaßen.
Das stimmt. Die Frage ist daher, ob das alle verstanden haben. Wenn ich mir die Arbeitnehmerseite anschaue, bezweifle ich, dass das schon überall angekommen ist – auch wenn es erste Stimmen gibt. Anstatt an der Lohnschraube zu drehen, sollten wir gemeinsam weiterdenken und Standortsicherung betreiben. Wir müssen international weiter wettbewerbsfähig bleiben. Das geht nur, indem wir in Themen wie Arbeit 4.0 und die Digitalisierung investieren und auch den Flächentarifvertrag modernisieren und weiterentwickeln. Das wird aber nicht einfach.
4,3 Prozent mehr Lohn wie bei der vergangenen Tarifrunde wird es also nicht noch mal geben?
Sicher nicht. Das war eigentlich schon beim letzten Mal nicht drin, aber wir mussten einen Kompromiss finden. Wenn wir nur über Zahlen sprechen, haben wir die falsche Diskussion. Künftige Investitionen sollten nicht in eine Lohnerhöhung gehen, sondern in Wissen, Infrastruktur und Mitarbeiterqualifizierung. 2018 haben wir auch einen wichtigen Schritt in Richtung Flexibilisierung gemacht. Das müssen wir weiter angehen. Etliche Umfragen zeigen, dass es Arbeitnehmern nicht unbedingt um mehr Geld geht. Sie wollen zum Beispiel viel lieber flexibler arbeiten – manche weniger, manche aber auch mehr als 35 Stunden.
Seit Anfang des Jahres können Beschäftigte der Metall- und Elektroindustrie einen Teil des zusätzlichen Geldes in Zeit umwandeln und bis zu acht freie Tage bekommen. Wie sind bislang die Erfahrungen damit?
Das wird zunehmend genutzt, und grundsätzlich finde ich das gut. Flexibilisierung wird gefordert und ist notwendig. Die können wir gerne ausweiten – es muss für die Betriebe aber handhabbar bleiben. Sie können jemanden nicht für acht Tage im Jahr ersetzen. Das müssen sie über andere Arbeitszeitmodelle ausgleichen. Da entsteht ein Spannungsfeld. Es gab Betriebe, die ihre Personalabteilung erheblich verstärken mussten, um die Flexibilisierung administrativ abzuwickeln. Das liegt daran, dass wir das Thema nicht neu gedacht, sondern Bestehendes einfach nur erweitert haben. Da müssen wir mutiger werden. Die Arbeit muss ja trotzdem gemacht werden.
Wie sind Ihre Erfahrungen bei Lürssen? Wollen Ihre Beschäftigten lieber Zeit oder das Geld?
Das ist ganz unterschiedlich. Einige wandeln das Geld in freie Zeit um und sind damit sehr happy. Wir können das noch ausgleichen, müssen die Entwicklung aber natürlich beobachten. Würden mehr Mitarbeiter das nutzen, hätten wir ein Problem.
Können flexible Arbeitszeiten auch den Betrieben nutzen?
Ja, sicherlich. Die Rahmenbedingungen können wir aber nur gemeinsam schaffen: mit den Arbeitnehmern zusammen.
Was wäre noch so ein gemeinsames Projekt?
Auch bei der Digitalisierung müssen wir zusammenarbeiten. Durch sie fallen zwar Tätigkeiten weg, aber nicht unbedingt Arbeitsplätze. Dafür entstehen neue Aufgaben, entwickeln sich Berufsbilder weiter. Die Digitalisierung ist nötig, um etwa Homeoffice anzubieten oder schonende Arbeitsplätze in der Fertigung. Natürlich braucht es da Betriebsräte und Gewerkschaften. Aber beide Seiten müssen sich von dem lösen, was bislang gültig war, und neu denken. Das wird ein längerer Prozess werden.
In Ostdeutschland gilt bislang noch eine 38-Stunden-Woche – anders als im Westen, wo tariflich 35 Stunden vereinbart sind. Das soll sich ändern. Die Diskussionen treffen auch Lürssen mit seinem Standort in Wolgast. Wie steht Ihr Unternehmen dazu?
In unserer Branche ist Planungssicherheit ein großes Thema. Unsere Projekte gehen über einen relativ langen Zeitraum und sind durchkalkuliert. Da können Sie nicht von jetzt auf gleich die Wochenarbeitszeit ändern und zusätzliche Kosten draufsatteln. Das geht nur mit einem strukturierten Prozess über Jahre, ansonsten gefährden wir Arbeitsplätze. Das kann auch nicht im Sinne der Beschäftigten vor Ort sein.
Droht Ihnen in der nächsten Verhandlungsrunde ein Streik?
Der steht wohl immer im Raum. Wie ein Ritual gehört das irgendwie dazu. Das respektieren wir, aber es ist vor allem bei Ein-Tages-Streiks so schädlich wie überflüssig.
Bis Sonnabend findet noch der Gewerkschaftstag der IG Metall statt. Wie schätzen Sie Ihren Verhandlungspartner bislang ein?
IG-Metall-Chef Hofmann hat nach seiner Wiederwahl mit nur 71 Prozent der Delegiertenstimmen erklärt, dass die Gewerkschaft wisse, vor welchem Veränderungsbedarf sie stehe. Ich hoffe, dass das die IG Metaller zum Weiterdenken bewegt: Wer Industrie 4.0 in Deutschland mit einem attraktiven Flächentarifvertrag gestalten will, der muss moderne Arbeit 4.0 organisieren – ohne starre Korsetts des 19. Jahrhunderts, aber mit den flexiblen, handhabbaren Strukturen von morgen. Nur das sichert Deutschland auch den Wohlstand 4.0 im 21. Jahrhundert.
Was können Sie aus Ihren bisherigen Verhandlungen ableiten: Worauf kommt es bei Tarifgesprächen an?
Man muss sich verstehen, auch wenn man nicht einer Meinung ist. Das wird oft verwechselt, ist aber nicht das Gleiche. Dafür muss man sich in die Position des anderen reinversetzen. Natürlich ist das nicht ganz einfach, wenn man unterschiedliche Ziele hat. Es ist aber eine wichtige Voraussetzung, um gemeinsam eine Lösung zu finden.
Wie wichtig ist es bei Tarifverhandlungen, dass man einen Draht zueinander hat?
Wir sitzen so viel und so nah beieinander, da ist es natürlich schöner, wenn man sich versteht. Sympathie hilft.
Und wie halten Sie sich bei diesen Marathonsitzungen wach?
Ich finde relevant, was wir machen. Der Tarifabschluss liegt mir so sehr am Herzen, dass ich auch nicht so schnell müde werde, darum zu kämpfen. Und mein Vorgänger Thomas Lambusch hat sicherlich auch noch den ein oder anderen Tipp für mich.
Das Interview führten Philipp Jaklin und Stefan Lakeband.
Lena Ströbele ist Geschäftsführerin bei der Lürssen-Werft und für die Bereiche Personal, Marketing und Kommunikation verantwortlich. Die 36-Jährige wurde in Freiburg geboren. Nächstes Jahr wird sie für die Arbeitgeberseite in der Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie verhandeln.