Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Bürgerdialog in Alter Werft "Audienz beim Kanzler": So erlebte ein Bremer den Dialog mit Scholz

Zu den Gästen beim Kanzlergespräch in der Alten Werft auf der Überseeinsel gehörte am Montagabend auch Hans-Jürgen Hofmann. Der 69-Jährige hatte sich eine spezielle Frage ausgedacht.
19.08.2024, 21:07 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Von Frank Hethey

Das Kanzlergespräch begann ohne die geringste Verzögerung: Pünktlich um 18.30 Uhr betrat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Montagabend den Saal der Alten Werft auf der Überseeinsel – und grüßte mit dem ortsüblichen "Moin". In zwei Vierreihen saßen sich die Teilnehmer gegenüber, in der Mitte blieb eine ovale Fläche frei – die Manege des Kanzlers. "Da tigert er dann hin und her", sagte einer aus seinem Umfeld.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte zum Bürgerdialog geladen. Seit zwei Jahren tourt der 66-Jährige durch die Bundesländer und stellt sich den Fragen der Bürger. Zuletzt war er im Juli in Saarbrücken zu Gast. Bremen ist seine vorletzte Station, zum Abschluss dürfte es nach Berlin gehen – die Bundeshauptstadt fehlt noch auf der Liste. Bis zu 160 Bürger und Bürgerinnen dürfen jeweils teilnehmen und anderthalb Stunden lang ihre Fragen stellen, irgendwelche Vorgaben gibt es nicht. Allerdings melden sich immer mehr Interessierte als zugelassen sind, für das Bremer Kanzlergespräch waren es rund 2000. Deshalb werden die Teilnehmer ausgelost.

Zu denjenigen, die Losglück hatten, gehört Hans-Jürgen Hofmann. Er habe eine "Audienz beim Kanzler", sagt er mit ironischem Unterton. Der 69-Jährige bezeichnet sich selbst als "Privatier". Den Begriff "Ruhestand" kann er nicht so recht mit der eigenen Person in Verbindung bringen. Unterrichtet er doch gerade Deutsch als Fremdsprache in der Volkshochschule. Das passt zu seiner Ausbildung: Hofmann hat Deutsch und Sozialwissenschaften studiert. "Aber ich habe nicht als Lehrer gearbeitet", sagt er. Stattdessen machte Hofmann sich als Einzelhändler im Möbelbereich selbstständig. Vor drei Jahren ließ er es gut sein und heiratete in zweiter Ehe.

In die Veranstaltung ist Hofmann mit "eher geringen Erwartungen" gegangen. Ob er wirklich zu Wort kommen würde, wagte er nicht zu hoffen. Seine Skepsis ist für ihn das Ergebnis eines schlichten Rechenexempels. "Bei 150 Bürgern und einer Dauer von 90 Minuten bleiben für Frage und Antwort genau 36 Sekunden", sagt er. Vorausgesetzt natürlich, dass jeder Teilnehmer überhaupt Gelegenheit bekommt, eine Frage an Scholz zu richten. Dass die Teilnehmer über den genauen Ablauf bis zur letzten Minute im Unklaren gelassen wurden, ärgert Hofmann ein bisschen. "Das Verfahren ist nicht transparent", sagt er über das Kanzlergespräch. Als Fundamentalkritik will er seine Bewertung nicht verstanden wissen. "Der Mann hat sicherlich gute Absichten."

Etliche Teilnehmer hatten sich akribisch vorbereitet und ihre Fragen auf Zetteln notiert. Die Pflege beschäftigte die Besucher ebenso wie der wachsende Zuspruch für die Rechten oder anhaltende Einbruchskriminalität. Bei ausländischen Straftätern vertrat Scholz eine Null-Toleranz-Strategie. "Bei Kriminellen ohne deutsche Staatsbürgerschaft sehe ich keinen Grund, weshalb sie nach Verbüßung ihrer Strafe im Land bleiben sollten."

Scholz bekam es auch mit einer kritischen Nachfrage zum Thema Beamtenpensionen zu tun. Seine Antwort: Preußen sei mit dem Berufsbeamtentum einen anderen Weg gegangen als andere Staaten. "Wir können nicht einfach aussteigen aus diesem System." Er wolle aber für Gerechtigkeit sorgen, effektive Rentenkürzungen werde es mit ihm nicht geben. Im Zusammenhang mit populistischen Elitegedanken sagte Scholz: "Ich kann Leute, die sich für etwas Besseres halten, nicht ab."

Zu dieser Sorte zählt Hofmann gewiss nicht. Beim Kanzlergespräch wollte er eigentlich das Dauerstreitthema Erbschaftssteuer zur Sprache bringen. Hofmann empfindet es als Gefahr für den Zusammenhalt der Gesellschaft, dass in Deutschland das Vermögen so ungleich verteilt ist. "Heute besitzt ein Prozent der Bevölkerung die Hälfte des Vermögens", sagt er. Oder, wie die neueste Studie der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) ergeben hat: Fast ein Viertel des deutschen Finanzvermögens liegt in der Hand von 3300 Superreichen Tendenz steigend. Weltweit steht Deutschland damit laut Global Wealth Report auf dem dritten Platz. Die meisten Superreichen gibt es in den USA, danach folgt China.

Pro Jahr werden in Deutschland etwa 400 Milliarden Euro vererbt. Auf 55 Milliarden Euro wird laut Handelsblatt eine Erbschaftssteuer erhoben, diese Einnahmen liegen mithin über den geltenden Freibeträgen. An den Fiskus gehen am Ende rund zehn Milliarden Euro. Hofmann wollte wissen, was Scholz daran zu ändern gedenkt. Die Frage konnte er aber dann doch nicht loswerden. "Darauf hätte es wahrscheinlich sowieso nur eine butterweiche Antwort gegeben", sagt der 69-Jährige. Dabei gibt es in seinen Augen dringenden Handlungsbedarf. Schon vor 40 Jahren sei vor der Spaltung der Gesellschaft gewarnt worden. "Und es ist Jahr für Jahr nur immer schlimmer geworden."

Lesen Sie auch

Gleichwohl fällt Hofmanns Fazit überwiegend positiv aus. Er sei überrascht gewesen von der Vielzahl der Fragen. Und davon, wie präzise und professionell Scholz sie beantwortet habe. Auf die Vermögenssteuer kam der Kanzler auch noch zu sprechen. Die sei nie abgeschafft worden, nur die Bemessungsgrundlage habe sich geändert. Notwendig sei jetzt ein neues Gesetz. "Dafür brauchen wir eine Mehrheit im Bundesrat. Aber ob wir die kriegen, weiß ich nicht. Ginge es nach meiner Partei, wäre das Problem schon gelöst."

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)