Das ungeschulte Auge sieht an dieser Stelle nur, dass die Paul-Singer-Straße ziemlich breit ist. Fahrbahn, Parkstreifen, Bürgersteig, bestimmt 25 Meter sind es von einer Häuserseite bis zur anderen. Alle 20 bis 25 Meter wächst ein Baum vor den dreistöckigen Wohnblöcken. Autos fahren hier, Busse, Lkw. Eine Straße wie viele in Bremen.
Wenn Iris Bryson und Michael Koch die Paul-Singer-Straße in der Vahr betrachten, sehen sie etwas anderes. Sie sehen Bäume, die nicht so hoch und schön wachsen, wie sie eigentlich könnten. Sie sehen versiegelte Flächen überall. Grün wird es hier an vielen Stellen am Boden nur dort, wo Unkraut sich zwischen den Ritzen der Pflastersteine seinen Weg bahnt.
Bryson und Koch könnten sich die Paul-Singer-Straße auch ganz anders vorstellen. Das hängt vor allem mit ihrem Beruf zusammen. Bryson und Koch arbeiten für die Umweltsenatorin. Koch ist Referatsleiter für qualitative Wasserwirtschaft, Bryson ist Projektkoordinatorin im Referat Grünordnung. Der WESER-KURIER hat sich an diesem Tag mit ihnen und weiteren Experten zu einer Tour durch die Stadt verabredet. An fünf Stationen wollen die Fachleute zeigen, wo Bremen sich verändert, verändern will und verändern muss, weil das Klima sich verändert.
Bremen ist vor wenigen Wochen sehr gelobt worden. Bei einem Online-Forum der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) zur Stadtentwicklung mit 400 Ingenieuren, Architekten und Umweltexperten nannte DBU-Chef Alexander Bonde Bremen „einen Vorreiter“ in Sachen Starkregenvorsorge. „Der Klimawandel ist Realität“, sagte Bonde, „eine Klimaanpassung unserer Städte ist unerlässlich.“ In Bremen habe man das vergleichsweise früh erkannt.
Nicht zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle
Das KLAS-Projekt. So nennt sich die Klima-Anpassungsstrategie der Stadt Bremen, gefördert von der DBU, und gestartet vor zehn Jahren. Die zubetonierte Paul-Singer-Straße könnte, so eine Idee, eine „Blue-Green-Street“ werden. Sie könnte Blue, also Wasser, mit Green, dem Grün, zusammenführen. Referatsleiter Koch drückt es so aus: „Im Prinzip haben wir genug Wasser, gerade bei Starkregen, aber wir haben es nicht zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle.“
Anstatt das Regenwasser ungenutzt in die womöglich auch noch überlastete Kanalisation abzuleiten, soll es lieber zwischengespeichert und zur Bewässerung der Bäume genutzt werden. Iris Bryson hat gleich mehrere Pläne und Skizzen dabei, um zu verdeutlichen, wie die Wasserspeicherung aussehen könnte. Bilder von Bäumen, die in Mulden stehen, in Tiefbeeten oder in Rigolen, Letzteres sind unterirdische Speicher. „Prinzip Schwammstadt“ nennt Koch den Ansatz. Die Stadt soll das Wasser wie ein Schwamm aufsaugen.
Welche Maßnahmen genau am Ende für welche Straße die richtigen sind, wird zurzeit noch erforscht. Die Hafen-City-Universität Hamburg macht das, und Bremen ist seit gut eineinhalb Jahren als eine von sechs Modellstädten dabei. Auch für die Kurt-Schumacher-Allee und die Adolf-Reichwein-Straße werden blau-grüne Ideen entwickelt. Es könnte zusätzliche Bäume geben, Parkplätze, die in Grünflächen integriert werden, dazu eine schmalere Fahrbahn und einen besseren Radweg.
Ortswechsel: der Borchersweg unterhalb des Osterdeichs. Diese Straße ist ganz anders als die Paul-Singer-Straße. Der Borchersweg ist schmal, richtig eng. Wenn sich hier zwei Autos begegnen, haben sie ein Problem, aneinander vorbeizukommen. Hier wartet Katharina Thielking von Hansewasser. Auch sie hat Pläne dabei. Sie zeigen, wie an diesem Ort das Wasser abläuft, wenn es regnet, wo es sich sammelt und für die Häuser in der Straße gefährlich werden könnte.
Wie eine Badewanne
Wie ein kleiner Strom fließt der Niederschlag oben vom Osterdeich um die Kurve direkt in den Borchersweg hinein. Früher konnte der Borchersweg volllaufen wie eine Badewanne. Als vor knapp zwei Jahren der Kanal unterhalb der Straße erneuert und vergrößert wurde, änderte sich auch das Straßenprofil. Damals hatte die Straße ihren höchsten Punkt in der Mitte, das Wasser lief nach rechts und links Richtung Hauseingänge. Jetzt hat die Straße ein V-Profil mit einer Rinne in der Mitte samt neuer Gullis. „Das sieht vielleicht nicht spektakulär aus“, sagt Thielking, „aber es wirkt.“
Auf die Macht der kleineren Veränderungen können auch Hauseigentümer setzen. Marius Hillemeyer demonstriert das an der dritten Station. Hillemeyer ist Bauleiter beim Garten- und Landschaftsbauer Kreye. Ein elegantes Wohnhaus an der Schwachhauser Heerstraße. Was an diesem Objekt direkt auffällt: Wo es nur möglich war, hat der Gartenbauer etwas gepflanzt.
Die Parkfläche besteht aus Rasengittersteinen, durch die es grün wächst. Entlang der Tiefgargeneinfahrt sind Blumenkästen aufgereiht, sogar für etwas größere Gehölze ist Platz. Blumenkästen säumen auch die Terrasse, das Dach des Hauses ist begrünt. Das Regenwasser verschwindet hier nicht in der Kanalisation, sondern wird zur Bewässerung der Vegetation genutzt. „Das ist ein Trend“, sagt Hillemeyer. Wer es sich leisten kann, wer sich auskennt, und wem es wichtig ist, der setzt privat und im Kleinen um, was die Stadt gern im Großen hätte: einen intelligenten Umgang mit der Ressource Regenwasser.
Station vier, die Münchener Straße in Findorff. „Wenn an der Paul-Singer-Straße Blue-Green-Street 2.0 umgesetzt wird, war die Münchener Straße die Variante 1.0“, sagt Koch. Als die Straße vor mehr als fünf Jahren erneuert wurde, veränderte sich ihr Erscheinungsbild. Es wurden Bäume gepflanzt, Parkstreifen erneuert und so abschüssig angelegt, dass das Wasser Richtung Bäume abfließen kann.
Die Finanzierung ist ein Problem
Damals habe man an der Münchener Straße erstmals angefangen, das Prinzip Schwammstadt mitzudenken, sagt Koch, in dem Fall die Zuleitung des Wassers an die Bäume statt in den Kanal. Beim Umbau des Borchersweges seien Prinzipien der Starkregen-Vorsorge in die Planung eingeflossen, und nur so gehe es, sagt Koch. Denn bei allem Stolz, dass Ansätze einer wassersensiblen Stadtentwicklung in Bremen umgesetzt werden, die Finanzierung ist ein Problem, „einen Topf für die Schwammstadt Bremen gibt es nicht“, sagt Koch. Deshalb müssen die Ideen dort umgesetzt werden, wo sowieso umgebaut oder komplett neu gebaut wird.
Neu gebaut wurde vor fünf Jahren der Sitz von Hansewasser in der Überseestadt, der fünften und letzten Station auf der Tour durch Bremen. Hier erklären Jens Wurthmann vom Hausherrn und Julian Meenen vom Bremer Garten- und Landschaftsbauer Peppler, welche Ideen am Bürokomplex umgesetzt wurden. Hansewasser verschenkt kein Regenwasser an die Kanalisation, sondern fängt es über ein aufwendiges System aus unterirdischen Zisternen und Schächten und oberirdisch über Grünflächen und einen Teich auf.
Oben auf dem Firmengebäude wachsen Mauerpfeffer und Fetthenne. Sie geben dem Bau ein grünes Dach, das nicht nur als Wasserspeicher dient, sondern im Sommer auch die darunterliegenden Räume kühlt. Denn nicht nur Starkregen stellt die Städte vor Herausforderungen, auch die Hitze wirkt im urbanen Raum extrem. Aber das ist wieder ein eigenes Thema.