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Steigende Pflegekosten 700 Euro für 18 Quadratmeter

In Pflegeheimen müssen die Bewohner die sogenannten Investitionskosten komplett allein stemmen, weil die Bundesländer ihre Förderung mit der Zeit aufgegben haben. Das entspricht den Kosten für die Kaltmiete.
21.11.2022, 05:00 Uhr
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Von Timo Thalmann

Holger Sauer hat Verständnis für die steigenden Rechnungen das Pflegeheims seines Schwiegervaters. "Die Preise steigen überall, also auch in der Pflege" sagt Sauer, der viele Jahre als Heimfürsprecher tätig war. Auch aktuelle Sondereffekte durch Tarifbindung, Pflegemindestlohn und neue Personalbemessungsgrenzen kann Sauer nachvollziehen. Mehr und besser bezahlte Mitarbeiter kosteten eben zusätzliches Geld.

Kein Verständnis hat Sauer dafür, dass sein an Demenz erkrankter Schwiegervater diese Preissteigerungen allein zahlen muss. Ergebnis: Der Eigenanteil für den Platz in der Pflegeeinrichtung ist in drei Jahren von rund 2000 auf jetzt mehr als 2600 Euro gestiegen. "Mein Schwiegervater hat eine gute Pension, bislang war das kein großes Problem", weiß Sauter. Aber sollten die Pflegekosten weiter steigen, müssten irgendwann Angehörige oder das Sozialamt einspringen. "Keine guten Aussichten", findet Sauer.

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Damit steht er nicht allein. Timm Klöpper, Geschäftsführer der Bremer Convivo-Gruppe, die in ganz Deutschland fast 50 stationäre Pflegeeinrichtungen betreibt – davon acht in Bremen – schätzt, dass der Anteil der Bewohner, die Sozialhilfe erhalten, in den nächsten zwei Jahren von derzeit etwa 15 auf fast 50 Prozent steigen dürfte, wenn sich an der Finanzierung der Pflege nichts grundlegend ändert.

"Deshalb müssen wir da jetzt ran", kommentiert darum Gisela Fröhlich (SPD). Vor allem die sogenannten Investitionskosten in den monatlichen Rechnungen der Pflegeheime sind der 80-Jährigen ein Dorn im Auge. Sie will ins Wahlprogramm der SPD einen Passus bugsieren, dass das Land Bremen diese Investitionskosten übernehmen soll. "Ich spiele dafür derzeit auf allen Klaviaturen", sagt Fröhlich, die ab 1985 zwölf Jahre in der Bürgerschaft saß und vor allem in der Bau- und Verkehrspolitik engagiert war.

Ihr Anliegen ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Seit 1995 die Pflegeversicherung eingeführt wurde, steht im Sozialgesetzbuch, dass die Länder die Investitionskosten mit den Mitteln fördern sollen, die sie durch die Versicherung in der Sozialhilfe einsparen. Tatsächlich haben sich fast alle Länder nach und nach dieser Verpflichtung entzogen. Nur in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein gibt es mit einem speziellen Pflege-Wohngeld für die Bewohner indirekte Zuschüsse für Investitionskosten. Bremen fördert nach der jüngsten Erhebung von 2019 ausschließlich Kurzzeit- und teilstationäre Pflegeplätze mit rund 2,4 Millionen Euro pro Jahr. Als Fröhlich jetzt durch Bekannte in Pflegeeinrichtungen über den Rechnungsposten mit den Investitionen stolperte, fiel ihr das erstmals auf. "Ein Skandal", findet die Sozialdemokratin.

Denn weil die Länder nicht zahlen, müssen das die Bewohner vollständig allein stemmen, ebenso wie die Kosten für Unterkunft und Verpflegung. Die Begrifflichkeiten sorgen regelmäßig für Verwirrung. "Ich wusste erst gar nicht, wofür jeden Monat 700 Euro investiert werden", sagt Sauer. Wie viele andere ging er davon aus, dass im Posten Unterkunft und Verpflegung – gerne auch "Hotelkosten" oder "Kost und Logis" genannt – alles enthalten ist, was zusätzlich zu den Pflegekosten anfällt. Tatsächlich wird damit neben den Mahlzeiten nur abgedeckt, was im normalen Mietverhältnis die verbrauchsabhängigen anteiligen Nebenkosten sind wie etwa Strom, Gas und Wasser. Die Investitionskosten umfassen dagegen alles, was für Anschaffung, Nutzung und den Erhalt von Gebäuden und Anlagen anfällt. Darunter fallen auch Kaufpreise oder die Miete, die der Pflegeheimbetreiber seinerseits für das Gebäude bezahlt. In dieser Logik entsprechen die Investitionskosten der Kaltmiete.

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"Das ist bei 18 Quadratmeter im Einzelzimmer ein üppiger Betrag", findet Sauer. Tatsächlich liegen seine 700 Euro über dem Durchschnitt, der bundesweit laut jüngster Auswertung der AOK zum Stichtag 15. November bei 468 Euro liegt. In Bremen sind die Investitionskosten in der Pflege mit 566 Euro im Schnitt höher. Die tatsächlichen Beträge unterscheiden sich aber von Haus zu Haus.

Klöpper macht aus Betreibersicht eine andere Rechnung auf. "Zum jeweiligen Bewohnerzimmer kommen viele Gemeinschaftsflächen." Dazu zählten Speisesäle, Küchen, Wäschereien, Aufenthaltsräume und Gärten. Das sei mit normalen Mietverhältnissen nicht vergleichbar. "Wir haben in den meisten Häusern rechnerisch um die 55 Quadratmeter je Bewohner", sagt Klöpper. Damit relativiere sich der Bremer Durchschnitt von 566 Euro auf rund zehn Euro Kaltmiete je Quadratmeter, was sich kaum vom freien Wohnungsmarkt unterscheide. "Wir haben eher das Problem, dass die Sozialhilfeträger ihre Kostenübernahmen deckeln." Mehr als 50 Quadratmeter für je 9,50 Euro werde in Bremen nicht anerkannt. Sollte der Anteil derjenigen, die ihren Pflegeplatz nur noch mit Zuschüssen aus der Sozialhilfe bezahlen können, tatsächlich auf die von ihm prognostizierten 50 Prozent steigen, kämen daher auch die Anbieter in eine ziemliche Schieflage. "Das dürfte gemeinnützige Betreiber genauso treffen", meint Klöpper.

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