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Gebürtige Ukrainerin berichtet "Ich habe Angst, dass ich meine Familie nicht mehr wiedersehe"

Sie lebt in Bremen, doch ihre ganze Familie lebt in dem Land, in dem nun Krieg geführt wird. Eine gebürtige Ukrainerin berichtet, was sie denkt und fühlt. Und was sie tun will, um ihrer Familie zu helfen.
25.02.2022, 05:12 Uhr
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Von Jean-Pierre Fellmer

"Ich habe Angst, dass ich meine Familie nicht mehr wiedersehe." Das sagt Tanya am Donnerstagabend, ihr echter Name ist der Redaktion bekannt. Die gebürtige Ukrainerin ist 43 Jahre alt, lebt in Bremen und fürchtet um das Leben ihrer Familie, Freunde und Bekannten in ihrem Heimatland.

Am Mittwochabend habe sie noch mit ihrem Lebenspartner Thomas Hendrik Adick (46) gesprochen, was wäre wenn. "Als mir Thomas am Donnerstagmorgen die Nachrichten berichtet hat, war ich überrascht." Trotzdem ist sie zur Arbeit gefahren. 75 Minuten braucht sie dorthin, "die ganze Zeit habe ich geheult", sagt sie. Auf dem Weg höre sie gerne ukrainisches Radio, den Sender "Radio Lviv" aus der Stadt im Westen des Landes. So auch am Donnerstagmorgen. "Man denkt sich, das ist nicht wahr", sagt Tanya. Gruselig sei es gewesen, als die Moderatorin im weinerlichen Ton gesagt habe, dass sie nicht wisse, wie sie an diesem Tag moderieren soll. "Heute nur Musik und Nachrichten", waren laut Tanya ihre Worte.

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Auf der halben Strecke des Weges hat die 43-Jährige eine Kollegin angerufen und sie gebeten, sie abzuholen, sie könne alleine nicht weiter. Tanya arbeitet an einer Förderschule, die Arbeit habe sie ein wenig abgelenkt. Doch zu Hause ging es weiter. Seit 20 Jahren lebt sie in Deutschland, seit fünf Jahren in Bremen – aber alle Verwandten leben in der Ukraine. "Ich habe in der Ukraine einen großen Familienkreis, überall verteilt im Land." Sie tausche sich mit ihrer Familie aus, bekomme viele Bilder und Videos geschickt. "Der Eindruck ist ein ganz anderer als in den deutschen Nachrichten: Man sieht, wie es brennt. Dass es Realität ist."

Es ist ein Gefühl der absoluten Machtlosigkeit, das in mir herrscht.
Thomas Hendrik Adick

Fassungslos, bestürzt und sauer ist Tanyas Lebensgefährte Thomas Hendrik Adick, wie er sagt. "Es ist ein Gefühl der absoluten Machtlosigkeit, das in mir herrscht." Oft denke er an die Bilder seiner vergangenen Besuche. Adick ist technischer Leiter bei bremenRAcing, veranstaltet Läufe in Bremen. In Kiew sei er 2018 beim Marathon dabei gewesen und erst im vergangenen Herbst habe er noch die Ukraine besucht. Wie sich die Menschen dort aktuell fühlen müssen, was alles zerstört werden könnte – diese Gedanken bereiteten ihm ein mulmiges Gefühl.

Am Mittwoch habe Tanya noch nicht darüber sprechen können, am Donnerstagabend sieht es anders aus. "Vielleicht, weil ich heute nur geweint habe", sagt sie. Nun habe sie sich etwas beruhigt und könne die Situation gefasster betrachten. "Ihr Bruder will das Land nicht verlassen, er will kämpfen", sagt die 43-Jährige. Seine Frau wolle bei ihm bleiben. Aber was ist mit Tanyas Mutter und ihrer Nichte? Sie sagt, ihr sei bewusst, dass sie an der Situation nichts ändern kann. Doch sie hat ihren Schulleiter schon informiert, dass sie im Ernstfall spontan Urlaub nehmen muss. Denn wenn ihre Familie aus der Ukraine fliehen will, will sie ihr entgegenkommen. Um sie an der Grenze empfangen, ihr den Weg zu ebnen.

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