Bremen will zügig raus aus der Kohle bei der Stromerzeugung – das könnte allerdings auch zu schnell gehen, wenn nicht ausreichend Erdgas als neuer Brennstoff zur Verfügung steht. Genau dieses Szenario ist durch den Krieg in der Ukraine und die damit verbundenen Sanktionen gegen Russland möglich.
Das Steinkohlekraftwerk in Farge soll zwar noch in diesem Jahr vom Netz gehen, doch der Lagerbestand reicht gerade noch bis Ende Mai. Bisher hat die betreibende Onyx Power Group zwei Drittel der benötigten Kohle aus Russland bezogen, jetzt aber wollen die EU-Staaten ein Importverbot verhängen. Für das Kraftwerk in Hastedt ist Kohle bis Mitte Dezember eingelagert beziehungsweise kurzfristig in den USA geordert worden. Danach soll es durch das noch im Bau befindliche Gas-Blockheizkraftwerk ersetzt werden – also doch alles im grünen Bereich?
Das Problem liegt darin, dass Deutschland – und damit auch Bremen – mehr als die Hälfte seines benötigten Erdgases aus Russland bezieht. Mitte März waren die Speicher zu rund 30 Prozent gefüllt – wie auch in den Jahren zuvor, aber da hatte Russland auch noch nicht die gesamte Ukraine überfallen. Die Stadtwerke Bremen (SWB) konnten der Umweltdeputation laut einer Vorlage lediglich mitteilen, dass die Erdgasversorgung "für die letzten Wochen dieses Winters gesichert ist".
Wenn also am Jahresende zu wenig oder gar kein Gas für das neue Blockheizkraftwerk fließt, müsste das alte Kohlekraftwerk im Hafen weiterlaufen – mit Brennstoff aus Australien, Südafrika oder den USA, der dann allerdings teurer als die russische Kohle wäre. Und die vollständige Umstellung der Lieferketten wird nach Einschätzung von Experten mehrere Monate dauern.
Erdgas wiederum wird über europäische Energiebörsen beschafft, bislang auch noch aus Russland. Es gibt längerfristige und kurzfristige Orders, SWB hängt dabei vom Mutterkonzern EWE ab. Mittelfristig setzt man bei der SWB darauf, dass das erste deutsche Flüssiggas-Terminal in Wilhelmshaven schon 2024 betriebsbereit ist. Das würde die Abhängigkeit von russischen Lieferungen deutlich senken.
Engpass auch beim Diesel-Zusatz?
"Das ist sehr wünschenswert aber vor dem Hintergrund der erforderlichen Genehmigungsverfahren auch sehr ambitioniert", findet Dirk Hoffmann, Geschäftsführer der CDU-Bürgerschaftsfraktion. Die hatte sich am 25. März mit einer Großen Anfrage zur Versorgungssicherheit Bremens an den Senat gewandt (wir berichteten). "Klar ist aber auch, dass das dort angelandete Gas in das nationale Netz eingespeist wird und nach den dafür geltenden Regeln an die Verbraucher verteilt wird", gibt Hoffmann zu bedenken.
Maike Schaefer, der zuständigen Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität und Stadtentwicklung (Skums), sind die Herausforderungen bewusst. Auf Initiative der Grünenpolitikerin befasste sich die Umweltdeputation bereits am 16. März damit. In der vertraulichen Vorlage heißt es zur Erdgasversorgung: "In jedem Fall sind Haushaltskunden und wichtige Einrichtungen wie beispielsweise Krankenhäuser gesetzlich besonders geschützt und werden mit hoher Sicherheit versorgt."
Eine "Risikoabfrage" zum Ukraine-Krieg wurde auch bei der Bremer Straßenbahn AG gemacht. Dort geht es um den Diesel-Zusatz Ad-Blue, ohne den die Fahrzeuge von Evobus nicht fahren dürfen. Für die Herstellung von Ad-Blue wiederum wird Erdgas benötigt. Mittel- und langfristig erwartet die BSAG deshalb "ein höheres Risiko bei der Belieferung", zudem sei "mit weiteren Preissteigerungen zu rechnen".
Sicherheit und Geheimhaltung
Auf den detaillierten Fragenkatalog der CDU will der Senat erst am 7. Juni antworten – offiziell wegen der "Vielzahl der angesprochenen Themen". Da gebe es "umfangreichen Abstimmungsbedarf mit den zu beteiligenden Ressorts". Bei Skums prüft man jedoch auch, wie weit die Antworten sicherheitsrelevant sind. Deshalb will man der CDU anbieten, "im kleinen Kreis unter Wahrung der Verschwiegenheit zu antworten". CDU-Fraktionschef Heiko Strohmann hat dieses Angebot noch nicht erhalten, ist aber bereit, hier mit dem Senat "an einem Strang zu ziehen".
Allerdings weist der Oppositionspolitiker dabei auch auf Versäumnisse in Sachen Klimaschutz und alternative Energien hin. Wenn Skums jetzt prüfe, durch Altablagerungen vorbelastete Freiflächen für Fotovoltaik-Anlagen zu nutzen, könne man das "in der Not so machen". Es zeige aber auch, dass bei der Nutzung von Sonnenenergie "14 Jahre lang geschlafen wurde". Die Verwaltung habe den Ausbau verhindert, etwa bei Solarzellen auf Sporthallen: "Da wurden den Vereinen Fesseln angelegt, bis es sich für die nicht mehr rechnete." Offenbar will Skums nun vieles nachholen: Das "wesentliche Potenzial" sieht man in einem gezielten Ausbau von Fotovoltaik-Anlagen auf vorhandenen großen Dachflächen. Das sei "ohne größeren planerischen Vorlauf umsetzbar".
Strohmann wünscht sich das auch für andere Bereiche und kritisiert, dass das Genehmigungsverfahren für eine Windkraftanlage bislang sieben Jahre dauere. "Wir haben alles, aber keine Zeit", sagt er und meint nicht nur den Krieg und dessen Folgen.