Die Zahl der Verkehrstoten wird im Jahr 2023 voraussichtlich um 40 auf etwa 2750 gesunken sein. So lautet die bundesweite Prognose des Statistischen Bundesamtes aus der Adventszeit. In Bremen waren 2022 neun Menschen bei Verkehrsunfällen ums Leben gekommen. Wenn es einen positiven Trend der Unfallstatistik geben sollte – die Kategorie der Elektroroller dürfte davon ausgenommen bleiben. Die Vermutung gilt gerade in Bremen, wo schon vor einem Jahr laut Online-Vergleichsportal Check 24 fast ein Viertel mehr versicherte private E-Tretroller unterwegs waren als im deutschen Durchschnitt. Auch wenn sie nicht rollen, sind sie oftmals ein Unfallrisiko.
Zudem sind die gewerblichen Leih-Roller laut aktuellem „Jahresrückblick“ des – neben Bolt – seit diesem Jahr in Bremen vertretenen Betreibers Lime weiter auf dem Vormarsch. Demnach „wurden 2023 bei 134 Millionen Fahrten weltweit 270 Millionen Kilometer zurückgelegt, mehr als 19 Millionen Fahrten davon in Deutschland“, teilt das nach eigenen Angaben „weltweit größte Unternehmen für geteilte Mikromobilität“ mit. Große Zahlen, mit denen geschäftliche Erfolge gefeiert werden sollen. Demnach betreibt Lime bundesweit 55.000 E-Scooter und E-Bikes in rund 50 Städten, eine Steigerungsrate lässt sich dem Bericht nicht entnehmen. In Bremen sind mit Stand von September 1250 Lime- und 800 Bolt-Roller auf den Straßen.
Im Jahr 2022 kamen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes bei 8260 Unfällen mit Elektrorollern Menschen zu Schaden. Elf von ihnen starben, im Jahr zuvor waren es fünf Tote. Bundesweit bedeutete das einen Anstieg der Unfälle um 49 Prozent. In Bremen ereigneten sich 111 Unfälle mit Verletzten oder schwerwiegendem Sachschaden, zehn Personen wurden schwer verletzt. In Niedersachsen waren es 843 vergleichbare Unglücksfälle. Als Ursachen benennen die Statistiker überall das Gleiche: In 18,6 Prozent der Fälle wurden vorschriftswidrig Gehwege oder Fahrbahnen benutzt, in 18 Prozent der Fälle war der Fahrer oder die Fahrerin alkoholisiert und in 7,2 Prozent zu schnell unterwegs. Durch „unachtsam abgestellte“ E-Roller verursachte Unfälle sind nicht mitberücksichtigt. Insgesamt waren in jenem Jahr nach Angaben des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) 764.000 Elektroroller registriert.
Diese Zahl dürfte dem Trend entsprechend weiter gewachsen sein. Auch wenn die Mehrheit der Erwachsenen Elektroroller offenbar eher negativ beurteilt. Das war zumindest das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov vom Herbst. Demnach sahen 51 Prozent der Befragten die E-Fahrzeuge eher oder sehr negativ. 61 Prozent waren der Ansicht, seit der straßenverkehrsrechtlichen Zulassung der Roller 2019 habe sich die Verkehrssicherheit insgesamt verschlechtert.
Die bloße Anzahl der E-Scooter ist für Siegfried Brockmann aber ohnehin nicht aussagekräftig. „Wir kennen weder die Fahrleistung der privaten noch der Leihroller – die ja eine sehr viel höhere Frequenz aufweisen müssen“, sagt der Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV). Die absoluten Unfallzahlen also sagen Brockmann nichts ohne die gefahrenen Kilometer. „Dass Leih-Scooter wesentlich mehr Unfälle verursachen als private, sind reine Versicherungsdaten. Ohne Bezugsgröße wissen wir nicht, wie wertvoll die Information ist.“
Die „Rheinische Post“ berichtet von 1166 E-Roller-Unfällen während des ersten Halbjahres 2023 in Nordrhein-Westfalen, im gesamten Vorjahr waren es 2477. Das niedersächsische Innenministerium geht für 2023 von einer Steigerung im unteren zweistelligen Prozentbereich aus. Die Polizei in Bremen hat „keine Auffälligkeiten“ hinsichtlich der Unfallzahlen festgestellt. Hier sorgen eher liederlich geparkte Roller für Ärger: Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband klagt aktuell auch in Bremen, um feste Abstellflächen für Elektroroller zu erreichen. Auch der Landesbehindertenbeauftragte Arne Frankenstein steht hinter dieser Forderung. Derzeit funktioniert die Ausleihe nach dem Free-Floating-Prinzip, demzufolge Roller – mit Einschränkungen – einfach irgendwo abgestellt werden können. Die Seniorenvertretung der Stadt fordert Klarheit über das Haftungsrisiko bei Scooter-Unfällen. Anlass ist der Fall eines blinden Bremers, der über umgekippte Roller gestürzt war und sich schwer verletzt hatte. Das Oberlandesgericht Bremen versagte ihm einen Schmerzensgeldanspruch.
Für die Pariser Bevölkerung ist die Schmerzschwelle längst überschritten: Im Frühjahr hat eine Bürgerbefragung in Frankreichs Hauptstadt das Aus für 15.000 Leihroller nach sich gezogen. In Italien wurden wiederum im Sommer eine Helmpflicht und erhöhte Bußgelder für Roller-Vergehen angekündigt. Schleswig-Holsteins Verkehrsminister reagierte im Herbst auf stark steigende E-Scooter-Unfallzahlen und startete eine Präventionskampagne. Und in Hannover wird daran gearbeitet, 50 Parkflächen für Elektroroller auszuweisen, um dem Gehwegparken ein Ende zu setzen. Ein ähnliches Pilotprojekt in der Bremer Neustadt ist ebenfalls seit Längerem geplant.