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Historiker Matthias Heyl im Interview "Valentin ist ein Teil des Unrechtstaates"

Am Sonntag wird 70 Jahre nach Kriegsende der Denkort Bunker Valentin eingeweiht. Darüber spricht der Historiker und Erziehungswissenschaftler Matthias Heyl im Interview.
08.11.2015, 00:00 Uhr
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Der Bau des U-Boot-Bunkers Valentin in Bremen-Farge gilt als der Beleg des Größenwahns der Nationalsozialisten in Deutschlands Norden. Diesen Sonntag wird 70 Jahre nach Kriegsende der Denkort Bunker Valentin eingeweiht. Der Historiker und Erziehungswissenschaftler Matthias Heyl hat den Aufbau der jüngsten deutschen Gedenkstätte im wissenschaftlichen Beirat von Anfang an begleitet. Der Leiter der Pädagogischen Dienste der Gedenkstätte Ravensbrück findet, dass der Ort von Zwangsarbeit und dem Mord an mehr als 1600 Menschen gezeigt werden muss. Volker Kölling sprach mit Heyl.

In der Debatte um die Aufnahme von Flüchtlingen hört man heute offen Leute sagen: Deutschland hat 70 Jahre nach Kriegsende keine besondere historische Verantwortung mehr im Umgang mit Fremden. Wie bewerten Sie das?

Matthias Heyl: Ich glaube, dass man aus der Vergangenheit schon einiges lernen kann – insbesondere aus der Geschichte des Nationalsozialismus. Da ist die Vorstellung eines reinen Volkskörpers, der von allem möglichen Fremden frei gehalten werden müsste. Das kann – so radikal umgesetzt – äußerst tödlich sein für all die, die als Fremde definiert werden. Und viele von denen, die vor den Nazis haben fliehen müssen, standen in der gleichen Situation wie die Flüchtlinge heute: Keiner wollte sie aufnehmen. Die Verantwortung, die Deutschland im Grundgesetz festgelegt hat, ein Asylrecht für politisch Verfolgte zu garantieren, ist deshalb eine absolut notwendige Lehre aus der Geschichte.

Nun kommt mit dem Denkort Bunker Valentin aber im Jahr 2015 zu einer ganzen Reihe von Gedenkstätten bundesweit eine weitere dazu. Warum ist es trotzdem richtig, den Bunker auf diese Weise für die Menschen zu öffnen?

Einerseits glaube ich, dass die Opfer dieses historischen Ortes verdient haben, dass man sich ihrer erinnert. Zum zweiten denke ich, dass es den Kolleginnen und Kollegen der Gedenkstätte gelungen ist, einen wirklich herausfordernden Ort zu schaffen, der auch schnell deutlich werden lässt, wie relevant Geschichte für die Gegenwart ist. Und wir können unsere Gegenwart nur meistern, wenn wir in die Geschichte zurück schauen. Etwas anderes haben wir doch gar nicht, um uns zu orientieren.

Nun haben wir mit dem Bunker aber auch einen Bau vor uns, bei dem immer wieder diskutiert worden ist, ob er vielen nicht zu sehr als Faszinosum gilt. Da gab es ja immer wieder die Warnung, nicht ungewollt die Ingenieurskunst der Nazis zu verherrlichen. Wie kommen Sie aus dieser Geschichte heraus?

Der Bunker zieht seit Jahren Militaria-Begeisterte an und Menschen, die dieser Faszination des Großbauwerks zu erliegen drohen. Ich glaube aber, dass die Ausstellung und der Informationsfrieß, der sich jetzt auf dem Rundgang auch durch das Gebäude und über das Gelände zieht, sehr schnell deutlich macht, unter welchen Umständen dieser Bunker entstanden ist – und welcher Größenwahn dahinter steckte. Wenn man heute zu den Pyramiden nach Ägypten fährt, kann man deren Größe bewundern und macht sich nicht mehr klar, wie sie eigentlich entstanden sind. Dieser Bunker Valentin ist ein Teil des Unrechtstaates des Nationalsozialismus und das wird in der Ausstellung auch ganz schnell deutlich.

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Man lernt in der Ausstellung, dass es rund um den Bunker nicht nur Konzentrationslager, sondern auch ein riesiges Gewerbegebiet gegeben hat. Die Ausflüchte in der Nachkriegszeit in Bremen so nach dem Motto: „Hier war doch nichts los“ oder „Das haben wir gar nicht so mitgekriegt“ können so nicht wahr gewesen sein, oder?

Diese Neigung, sich die Geschichte fremd zu reden, insbesondere auch bei den lokalen Akteuren, findet man an vielen Orten in Deutschland. Manchmal ist es eine Gefahr, wenn man sich allzu sehr auf einige Verbrechensorte konzentriert und glaubt, nur dort habe der Nationalsozialismus stattgefunden. Ich glaube, die Gedenkstätte schafft es auf besondere Weise, auch die Verbindung zu Bremen herzustellen.

Wie erging es Ihnen persönlich, als Sie das erste Mal im Bunker standen?

Ich muss zugeben, dass auch mich die Größe beeindruckt hat. Ich wusste aber aus einer Ausstellung damals schon, wovon dieser Bunker das Ergebnis war: Ich wusste von der Schwerstarbeit und den Opfern. Aber ich erinnere auch die Situation der Schleuse im Bauwerk, die eine gewisse Faszination ausübte. Aber es braucht vielleicht auch diese Brüche. Auch der Ort Ravensbrück, an dem ich arbeite, befindet sich in wunderschönster Natur. Mit diesen Brüchen müssen wir im Leben leben.

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Nun sind in den Denkort rund zwei Millionen Euro an Landes- und Bundesmitteln investiert worden. Warum wird für den Besuch solch einer Einrichtung dann kein Eintritt erhoben?

Ich weiß, dass für diese Orte immer wieder diese Frage aufgeworfen wird. Wir wissen aber, dass diese Orte nicht nur Verbrechensorte im Allgemeinen sind, sondern Orte, an denen Menschen zu Tode gekommen sind. Ich stelle mir das höchst merkwürdig vor, von Angehörigen der Opfer Eintritt nehmen zu wollen. Ich glaube auch, dass sich die öffentliche Hand historisch-politische Bildung unentgeltlich leisten können muss. Ich denke, dass das eine gute Investition ist: Nicht nur in die Bewahrung des Vergangenen, sondern auch für die Zukunft.

Sie sind Historiker, aber auch Erziehungswissenschaftler. Was lernen junge Menschen an diesem Denkort?

Ich höre immer wieder von Jugendlichen, dass der Besuch von historischen Orten ihnen einen ganz anderen Eindruck gegeben hat als das Lernen aus den Schulbüchern. Sie kommen wirklich in die plastische Situation dieser Orte mit ihren Gebäuden und bekommen eine ganz andere Vorstellung. Manche stoßen sogar an die Grenzen dessen, was sie sich vorstellen können angesichts der Schilderungen. Wenn das unterstützt wird hier etwa von Audioguides und Ausstellungen, von aufgezeichneten Zeitzeugeninterviews, dann ist das ein großer Gewinn.

Die Eröffnung des Denkortes wird einer der letzten Termine sein, bei dem noch lebende Zeitzeugen anwesend sein werden. Wie werden die reagieren?

Ich hoffe, dass die Überlebenden sehen, dass das Team der Gedenkstätte sich um eine würdige und Zugänge ermöglichende Form der Information bemüht hat, die auch zeitgemäß ist. Die Ausstellung hat ja verschiedene Ebenen. Sie informiert den eher oberflächlich interessierten Besucher genauso wie den, der mehr wissen will.

Wie finden Sie persönlich, ist es geworden? Sie gehören ja zum Beirat, der den Denkort geplant hat.

Wir haben den Denkort nicht geplant, wir haben die Planungen begleitet. Das Schöne an der Zusammenarbeit war, dass das Team der Gedenkstätte uns mit einer so großen Zielsicherheit Vorschläge für die Gestaltung gemacht hat. Da hat uns vieles ganz schnell überzeugt. Und auch bei der gemeinsamen Arbeit an den Ausstellungstexten haben wir schnell gesehen, mit wie viel Fachverstand dieses Team an das Projekt herangegangen ist. Und gleichzeitig war der Willen da, das auch zu vermitteln.

In Bremen schaut man neugierig darauf, ob man mit der neuen Gedenkstätte nicht vielleicht auch einen neuen Besuchermagneten generiert hat. Es mag makaber klingen: Aber Städtebesuche sind im Tourismus heutzutage mitunter auch durch solche Orte begründet. Was meinen Sie: Wie viele Menschen werden reisen, um den Denkort Bunker Valentin zu sehen?

Erst einmal ist es gar nicht abträglich, solche Orte wie den Bunker auch als touristische Orte zu sehen. Tourismus schließt heute mit ein, dass Bildungsinteressierte und an Historie Interessierte gezielt nach Orten schauen, die interessante Auseinandersetzungen ermöglichen. Zahlenmäßig kann ich dazu aber nichts sagen. Ich kann mir aber vorstellen, dass der Bunker bei angemessener Werbung und Aufnahme in touristische Angebote durchaus ein Magnet werden kann.

Zur Person: Matthias Heyl (50) ist seit 2002 Leiter der Internationalen Jugendbegegnungsstätte Ravensbrück und Leiter der Pädagogischen Dienste der Gedenkstätte des Konzentrationslagers für Frauen. Er gehört dem wissenschaftlichen Beirat „Denkort Bunker Valentin“ an.

Gedenkstätte Bunker Valentin

Die Gedenkstätte im Bunker Valentin wird diesen Sonntag im Beisein von ehemaligen Zwangsarbeitern und geladenen Gästen eröffnet. Der Bunker wurde zwischen 1943 und 1945 errichtet. Auf der Baustelle in Farge mussten zwischen 10 000 und 12 000 Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und Deportierte unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten. Der Bunker ist bis Kriegsende nicht fertig geworden.

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