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Verein Nitribitt in Bremen Wie Gewalt gegen Sexarbeiter verhindert werden kann

Prostituierte können sich bei Fragen und Problemen an den Verein Nitribitt in Bremen wenden. Dort vermitteln die Sozialarbeiterinnen unter anderem Maßnahmen für die sichere und gewaltfreie Sexarbeit.
25.11.2022, 17:01 Uhr
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Wie Gewalt gegen Sexarbeiter verhindert werden kann
Von Anja Semonjek

Viele brutale und skurrile Details machten den Ofenmord bundesweit bekannt. Auch eine Tatsache erregte Aufsehen: Die ermordete Frau war eine Prostituierte. Sexarbeit und Gewalt, schlimmstenfalls Mord – in Filmen und anderen Medien wird oftmals ein Zusammenhang betont. Mit der Realität habe das aber wenig zu tun, sagt Sagitta Paul. Sie arbeitet beim Verein Nitribitt, benannt nach Maria Rosalia Auguste Nitribitt (1933–1957), einer deutschen Prostituierten mit Kontakt zu vielen bedeutenden Personen, die ermordet wurde. Der Verein Nitribitt bietet Sexarbeitern in Bremen eine Anlaufstelle. Die gelernte Psychologin und Gesundheitswissenschaftlerin Paul berichtet über die Lebensumstände der ihr bekannten Prostituierten und darüber, wie sie die Frauen und Männer unterstützt.

„Es ist nicht so, dass wir hier ständig Klienten haben, die von Gewalt betroffen sind“, sagt Paul. Seit 15 Jahren arbeitet sie mit Prostituierten zusammen. Diese berichten ihr zwar nicht immer im Detail, was sie erleben. Aus ihren Erfahrungen kann sie jedoch berichten: Sexarbeiter sind nicht unbedingt einer größeren Gefahr ausgesetzt, Opfer von Gewalt zu werden, als andere Menschen. Statistisch gesehen komme bei Frauen am häufigsten partnerschaftliche Gewalt vor. Um diese Form handelt es sich laut Paul auch, wenn ein Mann als Zuhälter seine Freundin zur Sexarbeit zwingt oder manipuliert. Auch wenn dazu noch andere Straftatbestände zählen. So wie es beim „Ofenmörder“ Till Hauke H. und Yvonne P. der Fall war. Anhand der Nacherzählung schätzt Paul die Situation zumindest heute so ein. Derartige Fälle würden im Verein Nitribitt aber zur absoluten Ausnahme gehören. Sexarbeiter in Bremen stehen bei Problemen jeglicher Art durch Anlaufstellen wie den Verein Nitribitt nicht alleine da.

Richtlinien für die sichere Sexarbeit

Damit möglichst viele von den Hilfsangeboten erfahren, suchen Paul und ihre Kollegin gezielt den Kontakt zu den Sexarbeitern. Dabei informieren sie über Sicherheitsmaßnahmen. Ein Tipp lautet: als erstes immer dem Bauchgefühl vertrauen. „Wenn sie sich anfangs unwohl fühlen mit einer Person, sollten sie die persönliche Dienstleistung ablehnen – auch wenn sie dann kein Geld verdienen.“ Außerdem sollten Sexarbeiter keine privaten Kontaktangaben und Informationen rausgeben. Damit das Privatleben außen vor bleibt, sei zudem die Arbeit in der eigenen Wohnung nicht ratsam. Sicherer sei es, mit einer anderen Frau zusammenzuarbeiten oder in einem Haus, wo mehrere in diesem Beruf tätig sind.

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Seit dem Ofenmord im Jahr 2001 hat sich vieles getan, um Menschen in dieser Branche besser vor Gewalt zu schützen. „Etwa ist 2017 das Prostituiertenschutzgesetz in Kraft getreten mit dem Ziel, Kriminalität zu bekämpfen“, sagt Paul. Nun müssen die Prostituierten ihre Tätigkeit in der Behörde anmelden. Durch das Gesetz hörten jedoch viele mit der Arbeit auf, vor allem deutsche Frauen. Somit ist heute überschaubar, wo die Dienstleistung in Bremen angeboten wird. Wobei auch Corona sein Übriges tat: Viele Arbeitsplätze gingen verloren.

Apropos Pandemie: Gerade in dieser Zeit benötigten Prostituierte die Hilfe von Paul und ihrer Kollegin. Wie selten zuvor mussten sie um ihre Existenz bangen, da sie zeitweise nicht arbeiten durften. Auch die Polizei Bremen hat im Zusammenhang mit den coronabedingten Einschränkungen Daten erhoben: In den vergangenen zweieinhalb Jahren wurden 26 Ermittlungsverfahren wegen Menschenhandel und Zwangsprostitution geführt.

Mehrsprachige Unterstützung

Im Verein Nitribitt erhielten die Sexarbeitenden zu dieser Zeit Unterstützung bei Behördengängen, Anträgen, Umstiegsberatungen und Weiterem. Und das in unterschiedlichen Sprachen: „Derzeit arbeiten viele Frauen aus dem EU-Ausland in Bremen“, erläutert Paul. Gerade bei ihnen dürften die Gewaltprävention und Aufklärung nicht zu kurz kommen. „Viele haben in ihren Heimatländern nicht so gute Erfahrungen mit der Polizei gemacht.“ Daher sei viel Vertrauensarbeit vonnöten: Die Frauen sollten verstehen, dass sie einen gewalttätigen Kunden anzeigen können. Viele befürchteten hingegen, dass nach der Anzeige die Gefahr noch größer werde.

Von der körperlichen Gewalt mal abgesehen: Sexarbeiter sollten insgesamt nicht schlechter behandelt werden als andere Menschen, sagt Paul. In der Gesellschaft sei ein Umdenken wichtig, damit Prostituierte nicht diskriminiert werden. Es handle sich um eine ganz persönliche Dienstleistung. Oftmals erlebten einsame Menschen einen Austausch von Zärtlichkeiten. „Es gibt auch nicht die eine Sexarbeiterin, jede ist anders und hat einen anderen Hintergrund.“ Etliche Frauen hätten etwa Kinder in ihrem Heimatland, für die sie sorgen müssten. Häufig sehe das Leben dieser Frauen sogar sehr unspektakulär aus – nur dass sie eben diesen Job haben.


Zudem gibt es laut Paul Verbesserungspotenzial, um Sexarbeitern institutionell mehr Sicherheiten zu garantieren. Das Ziel müsse lauten: Menschen in Not schnell und unbürokratisch helfen. Eine größere Anzahl an Unterkünften, wo auch längere Unterbringungen möglich sind, sei zum Beispiel wichtig.
Verbessern könnte sich die Situation auf der Straße zudem, wenn auch die Polizei vermehrt Präsenz zeigt und sich stets als Ansprechpartner anbietet. Dabei sollten die Beamten besonders auf ausländische Frauen eingehen und betonen: Die Frauen haben in Deutschland Rechte, auch wenn sie anderes gewohnt sind.

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