Bremen zählt genauso viele Senatorinnen wie Senatoren. Zufall ist das nicht, SPD und Grüne haben sich bewusst darum bemüht. Und sie sind damit in der Welt nicht allein. Als der kanadische Premier vor gut drei Jahren gefragt wurde, warum sein Kabinett paritätisch besetzt sei, fiel seine berühmte Antwort knapp aus: „Weil wir 2015 haben.“ Inzwischen haben wir das Jahr 2019, und die Gleichberechtigung von Mann und Frau setzt sich immer stärker in Politik und Wirtschaft durch. Die Handelskammer Bremen hat mit der neuen Präses Janina Marahrens-Hashagen gerade erstmals eine Frau an ihre Spitze gewählt.
Während also Bremen überwiegend in 2019 angekommen ist, stemmt sich die Eiswette von 1829 gegen den Zeitgeist. „Wir sind ein Herrenclub, machen diesen Gendergaga nicht mit. Selbst der Papst würde nicht eingeladen, wenn er eine Frau wäre“, lässt sich Eiswett-Präsident Patrick Wendisch von “Bild„ zitieren. Den Anstoß der Debatte bot die Absage von Carsten Sieling und die danach ausgebliebene Einladung an Karoline Linnert. „Die Herren der Eiswette legen allergrößten Wert auf Etikette. Das Protokoll spielt dann aber plötzlich keine Rolle mehr, wenn – oh Schreck – die offizielle Vertretung des Bremer Bürgermeisters nun mal die Bremer Bürgermeisterin ist“, spottete die Finanzsenatorin auf Facebook.
Nun ist es aber so, dass das sogenannte Protokoll für staatliche Abläufe gilt und es sich eben gerade nicht um einen solchen handelt. Wenn aber das Eiswettfest die private Party eines Herrenclubs ist, warum sollte der jemanden einladen müssen? Und die vier Senatoren sind zum Teil schon viele Jahre gerne dabei gewesen, etwa Innensenator Ulrich Mäurer, der nun wegen des Eklats kurzfristig absagte. Ihm dürfte nie entgangen sein, dass keine Frauen an den Tischen sitzen. Sich jetzt überrascht und verärgert zu zeigen, ist dann doch zu billig. Keine Frage, das Eiswettfest mit den 800 Männern im Smoking ist ein Anachronismus, der nicht in die Zeit passt. Aber es ist nicht der einzige und sicher nicht der bedeutendste Anachronismus Bremens. Und ein Anrecht auf eine Einladung kann es nicht geben.
Freie Entscheidung
Bremen sollte gnädiger mit seinen Traditionen und auch mit jenen Herren umgehen, die erneut fast eine halbe Million Euro für die Seenotrettung gesammelt haben. Männer und Frauen können viele großartige Veranstaltungen auf die Beine stellen und starke Traditionen begründen – und die allermeisten auch gemeinsam. Aber die Eiswette von 1829, die nicht einmal einen eingetragenen Verein darstellt, muss frei entscheiden können, was sie sein will und mit wem sie am dritten Samstag im Januar feiert.
Etwas anders liegen die Dinge bei dem noch älteren Bremer Brudermahl, der 1545 vom Rat der Stadt Bremen legitimierten Schaffermahlzeit des Hauses Seefahrt, die in knapp drei Wochen zum 475. Mal begangen wird. Zwar werden inzwischen Frauen als Gäste zugelassen (auch wenn diesmal Carsten Sieling keine Frau vorgeschlagen hat), zwar hat mit Angela Merkel auch der erste weibliche Ehrengast gesprochen und gab es mit der inzwischen verstorbenen Barbara Massing auch die erste Kapitänsschafferin. Aber zu den kaufmännischen Schaffern zählt bisher keine Frau, obwohl die Satzung da gar nicht festgelegt ist.
Es wird immer weniger nachzuvollziehen sein, warum Unternehmerinnen nicht zu diesem Kreis zählen sollen. Das gilt erst recht mit Wahl von Janina Marahrens-Hashagen zur Präses. Die Botschaft lautet doch, dass sie Kauffrau genug ist, um an die Spitze der Kammer zu rücken, aber zu wenig, um Schafferin zu sein. Diese Praxis ist mehr als nur ein Anachronismus, weil das Haus Seefahrt eine gesellschaftliche Institution und eben nicht nur ein Herrenclub ist. Hinzu kommt, dass die Schaffermahlzeit in der Oberen Rathaushalle ausgerichtet wird – dem repräsentativsten Raum des Staates in Bremen. Hier gilt das Protokoll.
Bremen tut gut daran, auch in dieser Frage respektvoll miteinander umzugehen. Für den Senat heißt das, nicht alles zertrümmern zu wollen, was der eigenen Weltanschauung und dem Zeitgeist widersprechen mag. Für die Wirtschaft kann das bedeuten, sich nicht so lange gegen behutsame Neuerungen zu sträuben, bis Tradition zu Karneval wird. Die Wette, ob die Weser geiht oder steiht, entbehrt längst jeder Grundlage, weil sie als schnell fließendes, teilweise salzhaltiges Gewässer immer eisfrei ist. Aber es ließen sich interessante Wetten abschließen, wann beim Eiswettfest die erste Frau eingeladen wird. Nochmal 190 Jahre dauert es wohl nicht. Und vielleicht wird es die erste kaufmännische Schafferin sein.