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Ein starkes Team Warum das Gesundheitszentrum LIGA für Gröpelingen so wichtig ist

Das Lokale Integrierte Gesundheitszentrum für Alle hat nicht zufällig seinen Sitz in Gröpelingen. Zu Besuch in einer Einrichtung, die in diesem Stadtteil genau richtig ist.
05.08.2024, 05:00 Uhr
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Warum das Gesundheitszentrum LIGA für Gröpelingen so wichtig ist
Von Marc Hagedorn

Eigentlich ist der junge Mann an dieser Adresse falsch. Er hat einen Zahlungsbescheid der SWB bekommen und nun mehrere Fragen dazu. Die soll ihm Christina Kisner jetzt beantworten. Kisner arbeitet schließlich in einer Beratungsstelle. Aber für solche Fragen ist sie nicht zuständig. Gesundheit ist ihr Thema. Sie schickt den Mann trotzdem nicht sofort weg, sondern kommt mit ihm ins Gespräch. Anfangs geht es um Gröpelingen, den Stadtteil, in dem der Mann wohnt und in dem Kisner arbeitet. Aber sehr schnell geht es um etwas ganz anderes.

Er sei aus Syrien, erzählt der Mann. Geflohen vor dem Krieg. In Bremen sei er in Sicherheit. Aber glücklich sei er nicht. Immer wenn er bestimmte Redewendungen höre, erinnere ihn das an den Krieg zu Hause. Er habe ein schlechtes Gewissen, erzählt er weiter, weil er wisse, dass es seiner Familie noch viel schlechter gehe als ihm. Kisner merkt sehr schnell, dass der Mann bei ihr doch an der richtigen Adresse ist. „Du kannst hier sein, aber die Seele kann trotzdem krank sein“, sagt sie ihm. Und dann vermittelt sie dem Mann einen Termin für eine psychologische Beratung. Und weil er in Gröpelingen noch keinen Hausarzt hat, vereinbart sie auch hier einen Termin.

Christina Kisner gehört zum fünfköpfigen Team des Lokalen Integrierten Gesundheitszentrums für Alle, kurz LIGA, in Gröpelingen. Der Verein unterstützt Menschen dabei, für ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden Sorge zu tragen. Der Verein hilft in rechtlichen und behördlichen Fragen, auch auf Arabisch, Türkisch oder Russisch. Etwa dem Mann, dem 16 Zähne unter Narkose gezogen werden sollen. 1300 Euro soll er, Kunde des Jobcenters, zu der Operation dazu zahlen. Wie soll das gehen? Die LIGA-Mitarbeiter schalten sich ein, kontaktieren die Krankenkasse. Es stellt sich heraus, dass die Kasse sich vertan hat. Der Mann muss nichts zuzahlen.

Der Verein, in dem unter anderem das Diako Krankenhaus, die AOK, Awo und Caritas Mitglieder sind, hat seinen Sitz nicht zufällig in diesem Stadtteil. In der Nachbarschaft der Lindenhofstraße 18 begrüßt die Leuchtreklame der Geschäfte ihre Kunden mehrsprachig. „Herzlich Willkommen“, „Hoş geldiniz“, „Welcome“ steht über der Tür zu den Schuldner-Beratern. In der Mall of Hookah gibt es Shishas und Shisha-Zubehör. Das Lezzet-Dönerhaus wirbt mit der Döner-Pita für 3,50 Euro, jeden Dienstag.

Deutschland hat weltweit eine vergleichsweise sehr gute Gesundheitsversorgung. Aber das gilt nicht für alle Menschen, die in Deutschland leben, gleichermaßen. Es gibt „Barrieren für ein gesundes Leben“ heißt es in dem 20-seitigen Gesundheitskonzept von LIGA, zum Beispiel materielle, kulturelle, sprachliche Barrieren. In Gröpelingen gibt es sehr viele solcher Barrieren.

Mehr als die Hälfte der Menschen, die hier leben, hat eine Migrationsgeschichte. Nur gut jeder Zweite hat eine sozialversicherungspflichtige Arbeit. Der Anteil der Arbeitslosen und Langzeitarbeitslosen ist bremenweit in Gröpelingen am höchsten. Jeder vierte Erwachsene ist überschuldet, mehr als die Hälfte der Kinder wächst in Haushalten auf, die auf Sozialleistungen angewiesen sind. „Besonders zugespitzt zeigt sich der Zusammenhang zwischen Armut und Gesundheit bei der durchschnittlichen Lebenserwartung“, heißt es im Papier des LIGA, das vom Bremer Gesundheitsressort finanziert wird. Männer und Frauen sterben in Gröpelingen früher als in gut situierten Stadtteilen. Das macht etwas mit den Menschen.

Stephan Smilowski kümmert sich im LIGA um die Sozialrechtsberatung. Ein schwieriges Feld. Zu ihm kommen Menschen, die Schreiben und Bescheide von den Behörden nicht verstehen. „Übersetzer für Amtsdeutsch“ nennt er sich scherzhaft. Mit dem Sozialgesetzbuch kennt sich der gelernte Sozialversicherungsangestellte aus. „Hören Sie sich diese Passage aus dem Sozialgesetzbuch mal an“, sagt er und liest laut vor: „Betrifft die Nichtigkeit nur einen Teil des Verwaltungsaktes, ist er im Ganzen nichtig, wenn der nichtige Teil so wesentlich ist, dass die Behörde den Verwaltungsakt ohne den nichtigen Teil nicht erlassen hätte.“ Alles klar? Oder anders ausgedrückt: Wie soll jemand das verstehen, dessen Muttersprache nicht Deutsch ist? Und es geht auch andersherum: „Wie heißt Kurfürstenallee auf Arabisch?“ Vermeintliche Kleinigkeiten – ein Wort, ein Brief, eine Adresse – erweisen sich als hohe Hürden.

Zehn Beratungsangebote bündelt LIGA unter einem Dach. Dafür arbeitet ein dichtes Netzwerk im Stadtteil zusammen. Nur ein paar Beispiele: Im LIGA gibt es an drei Tagen in der Woche eine offene Gesundheitsberatung in mehreren Sprachen. LIGA hilft beim Ausfüllen von Gesundheitsanträgen. Der Pflegestützpunkt Land Bremen berät zum Thema Pflege und Versorgung. Der Sportverein Tura gibt Tipps für mehr Bewegung im Alltag. Einmal in der Woche hat die Bremer Krebsgesellschaft Sprechstunde im LIGA.

Und das Angebot, das steht zwei Jahre nach dem Start jetzt schon fest, wird weiter wachsen. „Es ist sehr dynamisch, was sich hier entwickelt“, sagt Geschäftsführerin Sonja Schenk. Im Juli hatte zum ersten Mal ein Vital-Café für Menschen über 65 geöffnet. Jetzt im August geht Tipp Tapp, ein Angebot des Gesundheitsamtes für junge Familien, an den Start. Und die Idee für eine „Wilde Küche“ mit Tipps zur gesunden Ernährung existiert auch schon. Am Freitag ist erst einmal Tag der Offenen Tür.

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