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Unterwegs mit "Abfallermittlern" Spurensuche nach den Verantwortlichen

Obwohl die Stadt versucht, gegen das andauernde Müllproblem in der Stadt vorzugehen, wird es nicht besser. Ein Gang an der Seite der "Abfallermittler" zeigt, das das Thema komplexer ist, als es scheint.
05.10.2021, 22:12 Uhr
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Spurensuche nach den Verantwortlichen
Von Patricia Friedek

Es gibt diese Probleme, für die es augenscheinlich eine einfache Lösung gibt. Bei denen Menschen sich fragen, warum es so sein muss, wenn es doch anders geht. Der Müll und der Dreck in der Stadt gehört zu diesen Themen.

Der Hauptbahnhof zählt zu den Hotspots, über dessen Sauberkeit sich Bremerinnen und Bremer häufig  echauffieren. Aber auch im Viertel, in Gröpelingen oder der Vahr fragt sich manch einer, wo die Stadtreinigung bleibt, wenn man sie braucht. "Meine Eltern wohnen in Gröpelingen und beschweren sich seit Jahren über den Müll, der an jeder Ecke zu finden ist! Es passiert aber nichts, stattdessen wird es immer schlimmer", schrieb die Facebook-Nutzerin Anna Schmosby als Antwort auf einen Aufruf des WESER-KURIER zu vermüllten Orten in Bremen. Ein Gang an der Seite von Christian Molde und Martin Grabau durch die Straßen von Gröpelingen zeigt, dass das Problem komplexer ist, als es scheinen mag. Intern haben Molde und Grabau bei der Bremer Stadtreinigung die Bezeichnung "Abfallermittler" inne, sie sind also ein bisschen so etwas wie die Mülldedektive von Bremen. Sie gehen der Frage auf den Grund, wer illegal seinen Müll in der Stadt entsorgt, klären auf und beraten.

Die Bremer Stadtreinigung (DBS) bezeichnet illegale Müllablagerungen als großes Problem, das nicht kleiner wird. Wie der WESER-KURIER bereits berichtete, hat sich die Zahl in den vergangenen Jahren, ungefähr seit 2014, verdreifacht. Dem Empfinden nach hat die Stadtreinigung im Jahr 2020 etwa 8000 illegal abgelegte Müllhaufen beseitigt. Die Kosten für diesen Aufwand belaufen sich pro Jahr auf etwa eine Million Euro. Und das, obwohl die Stadt mehr öffentliche Abfallbehälter aufgestellt hat, von 3541 im Jahr 2019 auf 3765 Anfang 2021 hat sie die Zahl erhöht. Und obwohl die DBS immer weiter Menschen berät und über legale Möglichkeiten der Müllentsorgung informiert; seit Kurzem verteilt sie Flyer, auf denen in verschiedenen Sprachen erklärt, wie das Müllsystem funktioniert, welche Abfallgebühren wann anfallen.

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Für die Abfallermittler steht an jenem Donnerstagvormittag ein Routineeinsatz an. Sie arbeiten auf Abruf – beschwert sich ein Bürger oder eine Bürgerin bei der Stadtreinigung oder bekommen sie anderweitig einen Hinweis, fahren sie an den betreffenden Ort und machen sich auf die Suche nach Verursacherinnen und Verursachern. Die Bromberger Straße in Gröpelingen gehört zu jenen Brennpunkten in Bremen, an denen sich jede Woche Müll türmt, der nicht dorthin gehört. Deshalb besuchen die Abfallermittler den Ort regelmäßig. Das Wort Brennpunkt kann man in diesem Fall vielleicht sogar wörtlich nehmen: Zwei Facebook-Nutzerinnen berichten davon, dass an der Bromberger Straße des Öfteren Nachts die Mülltonnen brennen würden.

Auch an diesem Tag stehen neben den Restmülltonnen Kartons mit Elektroschrott, hat jemand Säcke daneben gestellt, die eigentlich in die Tonnen hineingehören, stehen leere Amazon-Pakete auf dem Grünstreifen. Die beiden Männer ziehen blaue Einweg-Handschuhe an und beginnen damit, die Restmüllsäcke aufzureißen. Das Ziel: Schnipsel oder Briefumschläge mit Adressen und Telefonnummern zu finden, um aufzuspüren, wer für den Dreck verantwortlich ist. Jemand muss sich hier die Mühe gemacht haben, die Adressträger zu zerreißen. "Das hält uns nicht ab", sagt Grabau, vom Ehrgeiz gepackt. Es dauert nur ein paar Minuten, dann werden die Männer fündig. Eine Adresse, die sie auch ein paar Meter entfernt auf einem weiteren Müllhaufen ausgraben.

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Die Corona-Pandemie ist laut DBS wenn überhaupt ein Teilaspekt für den Anstieg der illegalen Müllablagerungen. "Wir registrieren leider immer mehr, dass bei einigen Menschen das Bewusstsein für einen nachhaltigen und korrekten Umgang mit der Abfallentsorgung schwindet", sagt Torben Kapp, Sprecher der DBS. Während sich ein großer Teil der Gesellschaft zunehmend um die Umwelt kümmere und auf Abfallvermeidung und korrekte Trennung achte, gebe es bei manchen Menschen einen gegenläufigen Trend.

Molde und Grabau haben dafür weitere Erklärungen – ein großes Problem sei die Sprachbarriere. "Manchmal sind es acht bis zehn verschiedene Nationalitäten, die wir antreffen." Und ihnen sei bewusst: Das Bremer Entsorgungssystem ist kompliziert. Auch Entrümplungsunternehmen, "von denen es leider einige wenige schwarze Schafe gibt, die Sperrmüll und Co. ganz bewusst in der Umwelt entsorgen", machen es der Stadtreinigung schwer. Doch klar, häufig sei auch einfach Faulheit der Grund dafür, dass Menschen ihren Müll nicht ordentlich entsorgen, sagt Kapp. Und auch beim Rundgang wird deutlich: Wenn es um Privatgelände geht, wenn Vermieter zum Beispiel zu kleine oder nicht genügend Mülltonnen bestellt haben, kann die Stadtreinigung wenig machen. Manchmal brauche es aber auch Zeit, bis eine Meldung bis zur Stadtreinigung durchdringt oder die Zuständigkeit geklärt ist – für die Beseitigung des Mülls an Seen, Flüssen, Deichen und Kanälen ist zum Beispiel der der Bremische Deichverband zuständig.

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Für die Abfallermittler beginnt die Hauptarbeit. Sie suchen das Haus auf; schauen auf den Klingelschildern nach dem Namen, den sie im Müll gefunden haben. Und tatsächlich: Es macht jemand auf. Es ist eine Frau, die behauptet, sie habe den Sperrmüll gerufen, der habe aber nicht alles mitgenommen. Für Molde und Grabau eine Standard-Ausrede. Die Frau ist jedoch sichtlich erschrocken über den Besuch der beiden Männer in der schwarzen Kleidung. Kurz darauf kommt ihr Sohn dazu, und hat offenbar genauso wenig mit einem Besuch gerechnet – er kommt gerade halb nackt aus der Dusche. Er versucht kurz, sich zu rechtfertigen. Erfolglos. Die Abfallermittler fordern ihn auf, mit hinunterzukommen und den Müll einzusammeln. Der Jugendliche zeigt ziemlich bald Reue und entschuldigt sich, zieht sich schnell an und kommt mit hinunter.

"Das ist der Idealfall", erklärt Christian Molde. Denn genau das ist das Ziel der Arbeit der Abfallermittler: Zu vermeiden, dass Menschen bestraft werden, die es nicht besser wissen. Bis zu 3000 Euro kann es kosten, seinen Müll illegal zu entsorgen. Etwa einmal die Woche komme es vor, dass Molde und Grabau eine Anzeige wegen Ordnungswidrigkeit erstatten müssen, wenn sich die Ertappten querstellen. Immerhin: 250 der illegal abgestellten Abfälle haben Verursacherinnen oder  Verursacher 2020 nach einem Gespräch mit den Abfallermittlern wieder eingesammelt. Und eins ist relativ sicher: Der junge Mann und seine Mutter werden sich beim nächsten mal ein zweites Mal überlegen, ob sie ihren Müll einfach an der Straße abstellen.

Zur Sache

Mängelmelder der Stadtreinigung

"Der Sperrmüllhaufen liegt hier seit einer Woche und wächst ständig an" - solche Beschwerden fließen beim sogenannten Mängelmelder der Stadt ein. 5000 davon gehen im Jahr bei der DBS ein. Bremerinnen und Bremer können dort unter anderem vermerken, wenn sie Müll entdecken, wo er nicht hingehört. Auf einer Karte werden dann die gemeldeten Mängel in der Stadt angezeigt, entweder mit einem roten Symbol für "ungeprüft" oder mit einem grünen für "gelöst". Im Jahr 2020 gingen laut Torben Kapp etwa 200 000 Meldungen beim Kundencenter der DBS ein, 8400 davon drehten sich um illegale Müllhaufen. Die Stadtreinigung bevorzugt es laut Kapp allerdings, wenn Beschwerden direkt als Anruf oder als E-Mail mit Bildern geschickt werden: info@dbs.bremen.de

Info

Der WESER-KURIER ist auf der Suche nach vermüllten Orten in Bremen. Sie kennen einen Fleck, an dem sich der Müll ständig häuft? Schicken Sie uns eine E-Mail an lokales@weser-kurier.de

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