Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Fachkräftebedarf Was ein neuer Personalschlüssel für Pflegeheime in Bremen bedeutet

Bis 2025 sind fast 1400 zusätzliche Pflegehilfskräfte in Bremer Einrichtungen möglich. Das bedeutet eine komplette Neuorganisation des Arbeitsalltags. Unklar ist aber, woher die Arbeitskräfte kommen sollen.
12.04.2022, 16:45 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Was ein neuer Personalschlüssel für Pflegeheime in Bremen bedeutet
Von Timo Thalmann

Stationäre Pflegeheime sollen mehr Personal bekommen. Schon seit Januar vorigen Jahres sind bundesweit 20.000 zusätzliche Stellen für Pflegehilfs- und Assistenzkräfte von der Pflegeversicherung finanziert. Dabei geht es ausschließlich um Beschäftigte mit einer wenigstens einjährigen Ausbildung, nicht um examinierte Fachkräfte. In Zukunft soll es noch mehr zusätzliches Pflegepersonal geben, wenn ab Juli 2023 die erste Stufe für ein neues Verfahren der Personalbemessung eingeführt wird. Das ist durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung bereits verbindlich festgelegt.

Ein weiterer Zuwachs ist ab 2025 vorgesehen, bis zu 100.000 zusätzliche Stellen sind möglich. Das ist aber noch keine beschlossene Sache. Hinter der Entwicklung steckt ein grundsätzlich neues, bundesweit einheitliches Verfahren, mit dem der Fachkräftebedarf in der vollstationären Pflege künftig berechnet wird. Erdacht hat es noch im Auftrag der vorigen Bundesregierung der Bremer Pflegeexperte Heinz Rothgang, Leiter der Abteilung Gesundheit, Pflege und Alterssicherung am Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen.

Was bedeutet das für Bremer Pflegeeinrichtungen?

Die Arbeitsgruppe um Rothgang hat die Auswirkungen für die 94 Pflegeeinrichtungen im Land Bremen ausgerechnet. Wenn die von ihm vorgeschlagene neue Personalbemessung bis 2025 eins zu eins umgesetzt wird, bedeutet das für Bremen fast 1400 neue Vollzeit-Arbeitsstellen gegenüber dem Stand von 2019. Die bereits verbindlich beschlossenen Zuwächse laufen schon jetzt auf mehr als 400 zusätzliche Vollzeitstellen hinaus. Wachsender Personalbedarf entsteht durch die neue Personalbemessung nahezu flächendeckend. Mehr als 90 Prozent der Bremer Pflegeeinrichtungen bräuchten im Schnitt jeweils sechs bis sieben neue Pflegehilfskräfte in Vollzeit beziehungsweise entsprechend mehr, wenn sie in Teilzeit tätig werden.

Lesen Sie auch

Wird das zusätzliche Personal die Qualität der Pflege und die Situation der Bewohner verbessern?

Davon geht Rothgang aus, denn die bisherigen Personalschlüssel wurden durch die Heimgesetze der Länder politisch festgelegt und unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland. Warum zum Beispiel in Niedersachsen eine Pflegekraft rein rechnerisch für 4,3 Pflegebedürftige mit Pflegegrad zwei zuständig ist, in Bremen hingegen für 5,1 hat mit dem tatsächlichen Bedarf der Bewohner nichts zu tun. Dieser Bedarf war aber Ausgangspunkt aller Überlegungen von Rothgang. Seine Forschungsgruppe hat dazu in 62 Pflegeeinrichtungen den Alltag beobachtet und ermittelt, welche Arbeiten in welchem Umfang in der Pflege anfallen. Auf dieser Basis wurde die neue Personalbemessung berechnet. "Damit wurde zum ersten Mal der wirkliche Bedarf der Bewohner zur Grundlage der Personalplanung", sagt Sven Beyer, Vorsitzender der Bremer Landesgruppe des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste (BPA).

Wieso soll es vor allem mehr Pflegehilfskräfte geben?

Auch das ist ein Ergebnis der Untersuchungen des Pflegealltags durch Rothgang, der dabei analysiert hat, für welche Arbeiten, welche Qualifikation benötigt wird. Dabei hat sich gezeigt, dass examinierte Pflegekräfte bislang vielfach mit der Grundpflege befasst sind und etwa beim Anziehen helfen oder Essen anreichen. Zusätzliches Personal soll vor allem diese Tätigkeiten übernehmen und es den Fachkräften ermöglichen, entsprechend ihrer Qualifikation zu arbeiten und sich beispielsweise auf medizinische Pflege zu konzentrieren.

Das bedeutet für die Pflegeheimbetreiber, ihre bisherige Arbeitsorganisation und Dienstpläne unter Umständen komplett umstellen zu müssen. "Änderungen verursachen in der Regel Unsicherheiten, gerade für Menschen, die schon lange in einem bestehenden System arbeiten", sagt dazu Anke van Wahden-Würdemann vom Qualitätsmanagement der Arbeiterwohlfahrt (Awo). Man sehe das aber als Chance, den Pflegealltag neu zu strukturieren. "Darauf werden wir alle Beteiligten vorbereiten, sie schulen und begleiten."

Lesen Sie auch

Woher sollen diese vielen Pflegekräfte herkommen?

"Da wird man alle Register ziehen müssen", sagt Beyer. Die Suche nach Fachkräften außerhalb Deutschlands sei ebenso wichtig, wie die Rückkehr von Mitarbeitern, die aus der Pflege ausgestiegen sind, und entsprechende Ausbildungsangebote. Beyer sieht Betreiber und Pflegeschulen gleichermaßen in der Pflicht, für den Pflegeberuf zu werben. Er setzt auf die einerseits geringe formale Anforderung für die Hilfskräfte, denn für die ein- oder zweijährige Ausbildung genügt ein Hauptschulabschluss. Andererseits verweist er auf die inzwischen auch für diese Beschäftigen relativ guten Gehälter, eine unmittelbare Folge des Mangels.

Van Wahden-Würdemann sieht in der neuen Personalbemessung die Möglichkeit, die bisherige Negativspirale von zu wenig Arbeitskräften und dadurch schlechten Arbeitsbedingungen zu durchbrechen. "Die Attraktivität des Pflegeberufes könnte steigen, wenn mehr Beschäftigte zufriedener sind." Schon jetzt bilde die Awo außerdem Pflegehilfskräfte entsprechend der Vorgaben der neuen Personalbemessung aus. Sowohl Beyer wie auch van Würden-Wührmann sehen zudem Qualifizierungs- und Aufstiegschancen für bislang un- und angelernte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)