Der Bezug von Grundsicherung im Alter hat auch in Bremen zugenommen. Zudem brechen mit dem Ausstieg aus dem Berufsleben Routinen und soziale Kontakte weg, sodass viele Menschen ab 60 ihre Aktivitäten einschränken und weniger soziale Kontakte haben. Um die finanzielle Absicherung im Alter zu stärken und dem Alleinsein vorzubeugen, setzt die Arbeiterwohlfahrt (Awo) Bremen jetzt ein neues, mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds gefördertes Beratungsprojekt des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend um. Personen kurz vorm oder im Ruhestand können das Angebot ab sofort kostenlos nutzen.
"Wir möchten dabei helfen, dass Menschen einen erfüllten Ruhestand haben", bringt Awo-Mitarbeiter Lukas Matzner das Ziel des neuen zweigleisigen EFS-Förderprogramms auf den Punkt, das bis September 2022 befristet ist. Die Leitung liegt in Händen von Bruno Steinmann, der bei der Awo bereits das Bildungsangebot "Universität der dritten Generation" verantwortet.
Die beiden Projektstränge "Gut beraten im Ruhestand" (Gubera) und "Gemeinsam aktiv im Alter" (Gia) sind nach seiner Auskunft bewusst als sehr niedrigschwellige Angebote konzipiert. Möglichst viele Bremer an der Schwelle zum Rentenalter oder im Ruhestand sollen kostenlos über das komplexe Thema der sozialen Absicherung und die Möglichkeiten zur aktiven Freizeitgestaltung vor Ort aufgeklärt werden. Die beiden eingestellten Projektmitarbeiter übernähmen praktisch eine Lotsenfunktion, sagt Bruno Steinmann. Sie würden durch das Aufzeigen eines "Potpourris an Möglichkeiten" Hilfe zur Selbsthilfe leisten. Für ihn eine "moderne Form der Nachbarschaftshilfe".
Im Alter finanziell abgesichert
Der studierte Sozialwissenschaftler Lukas Matzner ist für Gubera zuständig. "Das Rentensystem und die soziale Absicherung im Alter sind komplex, wir wollen Informations- und Wissensdefizite abbauen", sagt er und verweist auf das gestiegene Altersarmutsrisiko. "Dazu kommt eine hohe Zahl an Leistungsberechtigten, die diese aber nicht beanspruchen – aus Unwissenheit oder auch aus Scham", weiß Matzner.
"Wir nehmen uns Zeit, wollen ein offenes Ohr für die Menschen haben, ihnen zuhören und nehmen ihre Anliegen ernst", erklärt er auch im Namen seiner Kollegin Jana Schütze, die über den Projektstrang Gia die Kultur- und Freizeitbegleitung fördern möchte. In Einzelgesprächen wollen beide den angehenden und Bestandsrentnern Ängste und Sorgen nehmen und "als Brückenbauer" zu Behörden, Institutionen, spezifischen Beratungsangeboten oder auch Senioren mit gleichen Freizeitinteressen aktiv werden. Weil beide Projektstränge ineinandergreifen können, arbeiten sie eng zusammen.
Um die Hemmschwelle zur Wahrnehmung der Angebote so niedrig wie möglich zu halten, baut die Awo auf vorhandene Strukturen auf. Für Gubera hat Lukas Matzner als erste Anlaufstelle ein Büro im Waller Dienstleistungszentrum bezogen. Damit ist er im Bremer Westen gut erreichbar, wo die prekäre Situation besonders Ältere betrifft. Die Gespräche über einen Unterstützungs- und Beratungsbedarf zu Leistungsansprüchen in den individuellen Lebensphasen und -situationen sind laut Matzner als Einstieg in das (überlebens-)wichtige Thema Finanzen gedacht.
Kultur gemeinsam erleben
Der Ruhestand eröffnet gleichzeitig neue Möglichkeiten. In den Stadtteilen gibt es viele Kultur-, Sport, Bildungs- und Gesundheitsangebote, um teilweise auch kostengünstig bei gesellschaftlichen Aktivitäten dabei zu sein. Diese positive Perspektive formuliert Jana Schütze für den Projektstrang (Gia) und fasst ihn unter dem Leitmotiv "Kultur gemeinsam erleben" zusammen.
Niemand sollte sich von dem Begriff Kultur abschrecken lassen, betont die 31-jährige Kulturwissenschaftlerin, die Management in Nonprofit-Organisationen studiert. Sie möchte vielmehr Ältere für gemeinsame Aktivitäten zusammenbringen, die durch das Wegbrechen sozialer beruflicher Kontakte, finanziell veränderte Lebenslagen, aber auch Todesfälle von geliebten Menschen und zunehmende körperliche Gebrechen ins Alleinsein und soziale Isolation abdriften.
Jana Schütze bietet sich als Ansprechpartnerin für Menschen ab 60 an, die Spaß an Veranstaltungen wie etwa Theater- oder Konzertbesuche haben und diese Freizeitaktivitäten nicht allein unternehmen möchten. Deshalb können sich ältere Bremer, die sich Gesellschaft wünschen und vielleicht auch Unterstützung für den An- und Abfahrtsweg benötigen, bei ihr melden. Ebenso Menschen, "die kurz vor der Rente stehen, sich neu strukturieren und eine neue erfüllende Aufgabe finden wollen", umreißt Schütze als zweite Zielgruppe Personen, die sich ehrenamtlich als Kultur- und Freizeitbegleiter für Gleichgesinnte engagieren möchten.
Die "Gia"-Koordinatorin versteht sich als Vermittlerin. Sie möchte ein Netzwerk aufbauen, um Tandems für gemeinsame Aktivitäten zu bilden. Sie werden individuell aufeinander abgestimmt, damit beide Seiten davon profitieren und sich möglichst regelmäßige Treffen daraus entwickeln. "Jeder sollte sich von seiner Seite aus wohlfühlen und Freude an den gemeinsamen Aktivitäten haben", stellt Schütze heraus und sieht sich als Anschubhilfe. Sie hofft, dass aus einem ersten Telefonat und regelmäßigem Kontakt eine Vertrautheit und im Idealfall eine Freundschaft erwächst. "Ich hoffe, dass die Leute sich trauen, aufeinander zuzugehen", wünscht sich die Gia-Beauftragte, die gern vielfältige Freizeitaktivitäten aufzeigen, aber nichts vorgeben möchte und perspektivisch Kooperationen mit Kultureinrichtungen für Ermäßigungen für die Tandems anstrebt.