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Am Mittelwischweg Wie Bremer Kleingärtner sich auf die neue Saison vorbereiten

April und Mai, das sind die Monate, da geht es wieder richtig los: Raus ins Grüne, auf Parzelle. Besuch bei einem Kleingartenverein im Bremer Westen.
19.04.2023, 05:00 Uhr
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Wie Bremer Kleingärtner sich auf die neue Saison vorbereiten
Von Jürgen Hinrichs

"Eins, zwei, drei, vier . . ." – am Ende sind es 15. So viele Lebensbäume als Hecke am Jakob-Lebel-Weg. Genau abgezählt, und auch die Höhe wird notiert: 70 Zentimeter. Eine der beiden Schätzerinnen hat einen Zollstock dabei, der später noch einmal zum Einsatz kommt, um auszumessen, wie hoch der Anteil an Grabeland auf der Parzelle ist. Ein wichtiger Punkt bei der Nutzung. Auf mindestens einem Drittel der Fläche müssen Nutzpflanzen stehen, lautet die Vorschrift. Ein Kleingarten nur zur Zierde ist nicht erlaubt.

Es ist der Tag der Übergabe, ein guter Tag dafür. Bei Sonne pur und angenehmen Temperaturen sieht so ein Flecken Erde per se schon mal ganz passabel aus. Hier und da gibt es im Protokoll zwar ein paar Minuspunkte, wenn das eine Bäumchen für tot erklärt wird – "Mumie", stellen die Schätzerinnen nüchtern fest – und bei zwei anderen der Mangel die schlechte Pflege ist, weil sie längst hätten beschnitten werden müssen. Aber, Gott, so schlimm ist das alles nicht. In der Theorie kostet Geld, was nicht der Ordnung entspricht. Abzüge bei der Bewertung. In der Praxis ist das anders, da ist die Fünf bei den Kleingärtnern, jedenfalls bei denen im Bremer Westen, eine gerade Zahl: Wollen mal nicht so pingelig sein. "Ich sehe das locker", sagt Rolf Heide, Vorsitzender des Gröpelinger Kleingartenvereins "Am Mittelwischweg". Hauptsache, meint er, der Garten ist einigermaßen gepflegt.

Vorsitzender führt Warteliste

April und Mai, das sind die Monate, da geht es wieder richtig los: Raus ins Grüne, auf Parzelle, wo der Rahmen in manchen Dingen durchaus eng gesteckt ist, bei den Ruhezeiten zum Beispiel oder den Hecken, die nicht zu hoch sein dürfen. Nervig manchmal, aber dann ist da eben auch dieses Gefühl, weit weg zu sein, obwohl es vom Zuhause nur wenige Kilometer sind. Dem Alltag entflohen, frische Luft um die Nase, ein Kick von Freiheit. Und Arbeit, viel Arbeit, das wird oft unterschätzt.

Franziska, 24 Jahre alt, hatte die Parzelle am Jakob-Lebel-Weg vor knapp zwei Jahren übernommen. Sie wieder abzugeben, wäre eigentlich nicht infrage gekommen – "wir haben uns hier sehr wohlgefühlt, eine tolle Nachbarschaft". Dann aber der Entschluss, so richtig aufs Land zu ziehen, ganz raus aus der Stadt, mit einem großen Garten direkt am Haus. Die beiden Hunde von Franziska, Bruno und Pummel, wird's freuen. Und jemand anderen auch: "Dass sich diese Chance ergibt, ist ein Traum", sagt Eddy, 64 Jahre alt. Sie ist die Nachfolgerin. Der Clou: Gleich nebenan gärtnert ihre beste Freundin – "das Erste wird sein, den Zaun zu schleifen", kündigt Eddy an. Nun noch die Formalitäten bei der Übergabe – und das Geld: Die Parzelle wird auf 2400 Euro geschätzt.

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Rolf Heide, 76, ist seit einem halben Jahrhundert Mitglied in seinem Verein und seit 27 Jahren der Boss. Es gab Zeiten, da lief es schlecht. Viele ungenutzte Kleingärten, das Problem mit den Kaisenhäusern, mehr Frust als Freude. Das ist vorbei. "Mit Corona ist das Interesse enorm gestiegen", erzählt Heide. Mittlerweile führt er wie die seit jeher extrem beliebten Vereine im Parzellengebiet auf dem Stadtwerder oder im Geteviertel eine Warteliste: "Zurzeit haben wir 45 Bewerbungen." Ein gutes Drittel der 270 Mitglieder seien Migranten, typisch für Gröpelingen. "Wir achten darauf, dass wir das gut mischen." Bunt soll's sein an den Wegen, die nach alten Apfelsorten benannt sind: Jakob Lebel, Cox Orange, Evenapfel, Boikenapfel, Klarapfel.

Am Klarapfelweg leben die Senkpiels, Hans und Angelika, beide über 70. Sie sind zwischen April und Oktober so gut wie ständig im Garten und nutzen eine Laube, die höher ist als erlaubt, fünf Meter statt 3,50 Meter. Ein Problem? Muss der Vereinschef seines Amtes walten? Nein, muss er nicht. Das Gebäude ist ein ehemaliges Kaisenhaus, es war bereits im Bestand so hoch. Blanker Unsinn, es zurückzubauen.

Pflanzen locken ungebetene Gäste an

Bei Senkpiels gibt es Kaffee und Butterkuchen. Sie haben es sich in ihrem Garten in den 20 Jahren, seitdem sie ihn besitzen, bestens eingerichtet. Ein echtes zweites Zuhause, an der Pforte gibt es sogar eine Klingel. Was macht es aus, was ist der Spaß und die Freude daran? "Die Ruhe", sagt Angelika, die sich wie alle im Verein gerne duzen lässt, "und morgens das Zwitschern der Vögel." Die Gemeinschaft, ergänzt sie. Hans ist der Mann, der im Verein beim Pflanzen die Tipps gibt – dass die Ziersträucher zum Beispiel Futter für Bienen und Vögel liefern sollten und solche Obstbäume gesetzt werden, die zur Beschaffenheit des Bodens passen. Er sorgt zusammen mit den Nachbarn auch dafür, dass die Parzellisten im Kreislauf wirtschaften: "Wir sind eine gute Truppe. Hier wird nichts weggeworfen." Den Kompost stellen sie gemeinsam her.

Tulpen pflanzen sie nicht, hat keinen Sinn, "die werden alle abgefressen". Ungebetene Gäste aus dem nahen Blockland, für die das Kleingartengebiet wie ein üppiges Büffet ist. Die Rehe schwimmen durch das Maschinenfleet und bedienen sich. Viel Verbiss an den Rinden, manche Bäume gehen kaputt, wenn sie noch jung sind. Tulpen sind für die Tiere regelrechte Leckerbissen. "Rehe von oben, Wühlmäuse von unten", berichtet Angelika. Erfahrung hat sie klug gemacht. Manches geht im Garten und manches eben nicht.

Im Hochbeet wachsen in den nächsten Monaten Pastinaken, Puffbohnen, Mangold, Möhren, Radieschen und Petersilie heran. Für Anfang oder Mitte Juni rechnen die Senkpiels mit den ersten Kartoffeln, die Sorte heißt Annabelle. "Wir können uns das ganze Jahr über selbst versorgen und müssen nichts dazu kaufen", sagen die beiden. Zum Abschied zeigen sie ihren Duftschneeball, der in Blüte steht. Ein betörender Geruch, "und gut für die Bienen".

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Am selben Weg, nur auf der anderen Seite, haben Rebecca, 34, und Tobias, 35, ihr Reich. Ganz anders, ungewöhnlich – allein das Häuschen. Tobias ist Tischler und hat es vor vier Jahren auf Rügen selbst gebaut. Platz ist in der kleinsten Hütte, sagt man, und hier trifft das zu. Der Innenausbau ist grandios gelungen, alles aus Holz und bis zum letzten Quadratzentimeter genau durchdacht. Es gibt einen Kaminofen, "vom Schornsteinfeger abgenommen", betont Rebecca, eine Dusche mit Gasboiler, ein Kompost-Klo und die Solaranlage auf dem Dach. Alles da, zweckmäßig und gemütlich.

Bei dem Häuschen mit seinen zwölf Quadratmetern handelt es sich um ein sogenanntes Tiny House, aber das hören die Behörden nicht so gerne. "Da gibt es gewisse Befindlichkeiten", sagt Tobias vorsichtig. Gar nicht einfach, die Hütte genehmigt zu bekommen. Sie durfte zum Beispiel nicht beweglich bleiben, musste runter vom Trailer und auf ein Fundament gesetzt werden. Das Tiny House ist per Definition jetzt sicherheitshalber ein Gartenhaus. Auf der Terrasse döst die Hündin Thea in der Sonne. Rebecca und Tobias machen sich wieder ans Werk. Viel zu tun, die Saison hat begonnen.

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