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Demokratie Bürgerforen: So sollen mehr Bremer am politischen Geschehen teilnehmen

Bürgerforen sind aus Sicht der Bremer Regierungskoalition eine Chance, auch Menschen an Politik zu beteiligen, die ihr sonst fern bleiben. Wie das Modell funktioniert, was Themen und wo Grenzen sind.
06.02.2022, 16:00 Uhr
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Bürgerforen: So sollen mehr Bremer am politischen Geschehen teilnehmen
Von Nina Willborn

Bremen wagt, in Anlehnung an Willy Brandt formuliert, künftig mehr Demokratie. Oder besser gesagt: noch mehr. Denn wer Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen möchte, hat auch bislang – vom Wahlrecht und aktiver Parteimitgliedschaft mal ganz abgesehen – über die Beiräte, Bürgerinitiativen, Runde Tische oder Petitionen einige Möglichkeiten. Die Praxis aber zeigt, dass diese Mitbestimmungsformate oft eher von bestimmten Bevölkerungsgruppen genutzt werden. Von den höher Gebildeten nämlich, von Weißen, von Älteren und grundsätzlich auch eher von Männern als von Frauen.

Um aber auch Menschen zu erreichen, für die Politik eher ein abstraktes Schlagwort ist, sollen Bürgerforen etabliert werden. Dieses Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag hat die Bürgerschaft vor Kurzem beschlossen. Bürgerforen, anderswo heißen sie Bürgerversammlungen oder -räte, sind international wie national einer der Trends der vergangenen Jahre, wenn es um die Frage der zeitgemäßen Weiterentwicklung von Demokratie geht. Ein Überblick, wie Bürgerforen funktionieren, welche Themen sich eignen, wo ihre Grenzen sind und wie die Bremer Planung lautet.

Wie ein Bürgerforum entsteht

Vereinfacht gesagt folgt das Konzept dem Motto des Berges, der zum Propheten kommt statt umgekehrt. Ziel ist es, dass Bürgerforen die Bevölkerung repräsentativ abbilden, also auch ein beträchtlicher Teil der eher "Politikfernen" sich beteiligt. Erreicht wird dies über eine zufällige Auswahl auf Basis von statistischen Daten. "Die Menschen bekommen ein Schreiben, in dem sie gefragt werden, ob sie sich zum Thema X oder Y beteiligen möchten", sagt Ralph Saxe, Bürgerschaftsabgeordneter der Grünen und Sprecher seiner Fraktion für das Thema Bürgerbeteiligung. Möglich ist auch die noch direktere Ansprache der Kandidaten über Hausbesuche oder persönliche Gespräche am Telefon. Laut dem "Wegweiser Bürgergesellschaft" der Stiftung Mitarbeit nehmen durchschnittlich zwischen fünf und 30 Prozent der Ausgewählten die Einladung an – abhängig ist die Quote auch davon, für wie wichtig für den eigenen Lebensbereich die jeweilige Fragestellung erachtet wird.

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Was die Forumsgröße angeht, zeigen laut Saxe bisherige Erfahrungen, dass je nach Ebene (Bund, Land, Kommune) zwischen 20 und 200 Teilnehmer sinnvoll sind. Ebenfalls sinnvoll können je nach Thema regionale Eingrenzungen der Teilnehmer oder auch altersbezogene sein – etwa, wenn das Forum über eine Fragestellung diskutieren soll, die hauptsächlich jüngere oder ältere Menschen betrifft. Neben den Teilnehmern essenziell ist die fachliche Moderation. "Sie sorgt dafür, dass alle den gleichen Informationsstand haben", sagt Saxe. "Und sie ist dafür verantwortlich, dass auch wirklich jeder gehört wird."

Was ein Bürgerforum erarbeitet

Letztendlich entstehen in Bürgerforen Kompromisse. Am Ende des Diskussionsprozesses, der bei analogen oder digitalen Treffen des gesamten Forums sowie in Kleingruppen zu einzelnen Unterfragen geführt wird, steht eine Art Gutachten. "Es geht vor allem um den Ausgleich der verschiedenen Interessen, über den am Ende vom gesamten Plenum abgestimmt wird", sagt Saxe.

Auf Bremer Ebene sollen die so entstandenen Handlungsempfehlungen der Bürgerschaft zur Beratung vorgelegt werden. "Möglich ist auch, dass daraus dann Volksbegehren entstehen", sagt Saxe. "Aus meiner Sicht sind Bürgergutachten für Abgeordnete ein extrem hohes Gut, weil sie eine repräsentative Meinung der Bevölkerung abbilden." Entsprechend wichtig sei das, was von politischer Seite auf die Foren folgt. "Wenn ich mir ein Meinungsbild abhole, muss ich den Beteiligten auch klar sagen, wie es mit dem Thema weitergeht. Sonst entsteht Frust."

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Wo die Grenzen eines Bürgerforums liegen

Bürgerforen sind keine politisch legitimierten Entscheidungsgremien. "Damit wird nicht an den Elementen der repräsentativen Demokratie gerüttelt", sagt Gesa Wessolowski-Müller, in der Senatskanzlei Koordinatorin der Stelle für Bürgerbeteiligung. "Bürgerforen sind keine Konkurrenz." Saxe formuliert es ähnlich: "Klar ist, dass sie der Bürgerschaft und den Beiräten keine Entscheidungen abnehmen sollen." Entsprechende Skepsis gibt es allerdings wohl in einigen Beiräten, ebenso wird das neue Instrument in einigen Fraktionen kritisch gesehen: bei der FDP zu Beispiel. Sie stimmte im Parlament mit Hinweis auf aus ihrer Sicht bereits ausreichend vorhandene Beteiligungsformate gegen die Einführung der Bürgerforen.

Aus Sicht der Senatskanzlei sind sie dagegen "eine Chance für die Belebung des gesellschaftlichen Diskurses", wie ihr Chef Thomas Ehmke sagte. Ein Experiment also, das übrigens zunächst ohne zusätzliche Gelder läuft, weil es die zwei Koordinierungsstellen, die den Anlauf der Projekte steuern, schon gibt.  Später können je nach Format und Umfang Kosten zum Beispiel für Aufwandsentschädigungen der Teilnehmer hinzukommen.

Welche Themen möglich sind

Das markanteste Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit, bei dem ein Bürgerforum möglicherweise für einen anderen Ausgang der ganzen Geschichte hätte sorgen können, ist die Rennbahn. Grundsätzlich seien Fragestellungen zu Bau- und Verkehrsprojekten auch gut für Bürgerforen geeignet, sagt Gesa Wessolowski-Müller. Im Koalitionsantrag genannt werden als Vorschläge aus dem Bereich Verkehr die Emissionen und ein aus der Sicht vieler Menschen sehr lebensnahes Thema, nämlich die Parksituation in den Stadtteilen.

Auch der Beirat Östliche Vorstadt hat schon öffentliches Interesse an einem Bürgerforum zu einem Streitthema aus seinem Beritt angemeldet: Die Situation rund um Sielwall und Osterdeich, wo im vergangenen Sommer die sehr unterschiedlichen Bedürfnisse von Anwohnern und motorisierten beziehungsweise feierfreudigen Besuchern aufeinander prallten.

Beschlossen ist, dass die Koordinierungsstelle in Zusammenarbeit mit Ressorts und Beiräten drei Themen findet, über die wiederum die Bürgerschaft entscheidet. Vorgegeben sind sechs Monate Planungszeit. "Ich gehe im Moment davon aus, dass wir das schneller schaffen", sagt Wessolowski-Müller.

Info

Abgesehen von den Bürgerforen gibt es eine große Zahl von städtischen Vorhaben, bei denen sich Bremerinnen und Bremer einbringen können. Aktuelle Projekte sind auf der Homepage www.vorhabenliste.bremen.de zusammengefasst.

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