Genau vor 50 Jahren gab es im Beirat Neustadt den ersten Streit: Kaum hatte die Bürgerschaft die Mitglieder eingesetzt, zankten sich die Stadtteilpolitiker während ihrer ersten Sitzung um die Frage, wer stellvertretender Beiratssprecher sein darf. Die SPD hatte damals die meisten Sitze und wollte neben dem einstimmig gewählten Sprecher Rolf Noll (SPD) damals einen zweiten SPD-Mann sehen. Die CDU reklamierte jedoch den Posten für ihre Partei als zweitstärkste Kraft.
Die erste Sitzung
Der WESER-KURIER veröffentlichte einen Bericht über die erste Sitzung des Neustädter Beirates am 31. Januar 1972. Sie fand im Sitzungszimmer des Innensenators Helmut Fröhlich statt. "Die Sitzung musste unterbrochen werden und nach längerer Beratung einigte man sich gütlich", ist in dem Artikel von damals zu lesen. Die Lösung: Der von der SPD als Stellvertreter vorgeschlagene Hans Kammer verzichtete auf den Posten. Bodo Jessel (CDU) hingegen nahm das Amt an "und bedankte sich für den demokratischen Geist", hieß es im WESER-KURIER dazu.
Streit und Kompromisse
Von einer historischen Stunde erwartet man ein halbes Jahrhundert später wohl eher feierliche Stimmung statt Posten-Geschachere. Doch hemdsärmeliges Arbeiten gehört bis heute zum Erbgut der ehrenamtlichen Beiratsarbeit. Aber auch dies: Geschlossenheit und Kompromissbereitschaft über Parteigrenzen hinweg zum Wohle des Stadtteils wurden und werden bis auf wenige Ausnahmen großgeschrieben – egal, wer gerade im Land auf der Regierungsbank sitzt.
Das bescheinigt dem ersten und den darauf folgenden Beiräten der Neustadt der erste Ortsamtsleiter der Neustadt und Woltmershausens, Klaus Rosebrock. 20 Jahre lang hat der heute 87-Jährige bis 1992 die Entwicklung der beiden Stadtteile mit gestaltet und die beiden Beiräte bei ihrer Arbeit unterstützt.
Bürger kommen früh zu Wort
Für ihn war die Leitung der ersten Beiratssitzungen ein Schlüsselerlebnis: "Damals ist mit klar geworden, dass eine sehr frühe Bürgerbeteiligung interessante Erkenntnisse bringt", so Rosebrock. Kurzerhand änderte der Beirat seine Geschäftsordnung, sodass Bürger fortan nicht erst am Ende einer Sitzung – nachdem alle Beschlüsse bereits gefasst sind – sondern bereits sehr früh zu den anstehenden Themen zu Wort kommen konnten. Eine Gepflogenheit, die bis heute beibehalten wurde.
Erfolge der Beiratsarbeit
Durchaus nicht alle, aber einige Früchte der Beiratsarbeit sind in den Stadtteilen weithin sichtbar. "Sehr früh in den Blick genommen hatte der Neustädter Beirat beispielsweise die städtebauliche Sanierung von Huckelriede", berichtet Rosebrock. Eine Forderung, die aber erst nach Jahrzehnten 2008 schließlich vom Senat aufgegriffen und umgesetzt worden sei. "Es ist ein Bohren dicker Bretter", sagt Rosebrock. Ein Satz, der auch heute noch auf die Stadtteilpolitik zutrifft, finden die aktuellen Beiratssprecher der beiden Stadtteile.
Der Neustädter Ingo Mose (Grüne) ist seit 23 Jahren als gewähltes Beiratsmitglied mit dabei, zehn Jahre davon als Sprecher. Aus seiner Sicht haben Beiräte nur dann eine Chance, ihre Forderungen durchzusetzen, wenn sie Allianzen schmieden und Mitstreiter in Verwaltung und Landespolitik für die Stadtteilinteressen finden.
Als Beispiele nennt er unter anderem die Mitwirkung des Beirates am Runden Tisch A 281, die Umsetzung des Fahrradmodellquartiers in der Vorderen Neustadt sowie die ideelle und finanzielle Unterstützung der Denkorte-Initiative, die in der Neustadt zur Erinnerung an die Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten und den Zweiten Weltkrieg zahlreiche Gedenkorte eingerichtet hat.
Aber auch ein Stadtteilmanagement würde es ohne den Beirat heute nicht geben, beim Festival Summer Sounds hat der Beirat stets unterstützt und den Weg geebnet, damit der heutige Kaisen-Campus in Huckelriede Form annehmen kann.
Vorurteile beseitigt
Für den ehemaligen Ortsamtsleiter Klaus-Peter Fischer sind die Neustadtswallanlagen Sinnbild für den Einfluss des Beirates. Noch recht verwahrlost sei der Grünzug gewesen, als er 1992 seinen Dienst angetreten habe. "Und erst vor wenigen Jahren war der Ringschluss zu den Wallanlagen auf der rechten Weserseite komplett", erinnert sich Fischer.

Die Aufwertung der Neustadtswallanlagen als Teil des historischen grünen Rings um die Bremer Innenstadt zählt zu den zentralen Errungenschaften des Neustädter Beirates in den vergangenen Jahrzehnten.
Durch ihr Engagement hätten die beiden Beiräte Neustadt und Woltmershausen es geschafft, ein altes Vorurteil zu entkräften – da ist sich Fischer sicher. "Damals hieß es noch 'links der Weser wohnt man nicht', das ist zum Glück Vergangenheit."
Woltmershauser Beirat landet Coup
Ein ganz besonderer, aber zunächst unscheinbarer Coup ist aus der Perspektive der amtierenden Ortsamtsleiterin Annemarie Czichon dem Woltmershauser Beirat gelungen: Als es um den neuen Flächennutzungsplan für Bremen ging, bestand das Stadtteilparlament gegen den Widerstand aus der Baubehörde vor einigen Jahren darauf, das SWB-Gelände und den Standort der ehemaligen Zigarettenfabrik anstatt als Gewerbefläche zu markieren, weiß zu lassen.
"Damit haben wir einen Pflock eingeschlagen und die Planer mussten neu überdenken, was dort möglich ist", sagt Beiratssprecherin Edith Wangenheim (SPD). Die Geburtsstunde des heutigen Tabakquartiers, findet die erfahrene Kommunalpolitikerin, die seit drei Jahrzehnten für den Beirat aktiv ist.
Ohne den Beirat wäre auch die Autobahn 281 deutlich näher an Woltmershausen gebaut worden. "Und wir konnten mit dem Spiel- und Wassergarten den Bürgerwunsch durchsetzen, dass die Menschen einen schönen Zugang zum Weserufer bekommen wollten", so Wangenheim.
Hartnäckigkeit lohnt sich
Es gäbe noch viele Beispiele wie der erfolgreiche Kampf beider Beiräte für mehr Kitaplätze zu nennen, doch sie alle eint eine Gemeinsamkeit, sagt Fischer: "Es ist eine Politik der kleinen Schritte." Nicht jedermann bringe dafür die Geduld auf.
"Ich habe immer die ehrenamtlichen Männer und Frauen bewundert, die an vielen Abenden für die Stadtteilinteressen eingetreten sind und dabei auch auf viel Gegenwind in der Verwaltung gestoßen sind", sagt Fischer rückblickend. Manchmal sei der Frust über die zähen Verhandlungen unter den Beiratsmitgliedern groß gewesen. Und dennoch, sagt Fischer: "An vielen Stellen in den Stadtteilen ist heute zu sehen, dass es sich lohnt."