Manchmal, wenn er wütend ist, kochen bei ihm die Emotionen über, erzählt ein Junge aus der Gecko-Gruppe: "Dann reiße ich Zeitungen klein", sagt der Zehnjährige. Er fügt hinzu: "Aber das mit den Zeitungen brauche ich jetzt eigentlich nicht mehr." Denn meistens kann er jetzt anders mit seiner Wut umgehen: Zum Beispiel geht er kurz aus dem Raum, beruhigt sich und macht dann wieder im Unterricht mit. Der Zehnjährige nimmt an einem Förderprogramm für verhaltensauffällige Kinder teil, das es an der Grundschule Andernacher Straße in Tenever gibt.
Die Gecko-Gruppe ist das, was Fachleute eine "temporäre Lerngruppe" nennen. Solche Lerngruppen gibt es bislang an einzelnen Bremer Schulen, das System soll ausgeweitet werden. Viermal pro Woche werden Kinder mit auffälligem Verhalten an der Grundschule in Tenever aus ihren Klassen genommen und für jeweils anderthalb Stunden in einer Kleingruppe gefördert.
Stundenweise ins Mathe-Labor
Dass die Kinder ihre Klasse zeitweise verlassen, sei hier nichts ungewöhnliches, sagt Schulleiterin Isolde Moerk: Viele Schüler gingen ohnehin stundenweise ins Mathe-Labor, zur Sprachwerkstatt oder zum Logopäden. Und an der Grundschule Andernacher Straße sind alle Gruppen nach Tieren benannt. Es gibt auch die Gazellen- oder die Löwenklasse.
In der Gecko-Gruppe arbeiten die Sonderpädagogin Sina Krupp und die Sozialpädagogin Nadja Kreuchauf nach einem festen System mit den Kindern. Dazu gehören ein gemeinsames Frühstück, klar geregelte Abläufe, Zeit für kreatives Gestalten und konzentriertes Lernen. Im Zentrum steht hier aber nicht das Pauken, sondern das soziale Verhalten, sagt Nadja Kreuchauf. Sie stellt klar: "Es gibt diesen Begriff 'Systemsprenger', aber den benutzen wir hier nicht. Nicht das Kind muss an das System angepasst werden, sondern das System ans Kind."
In Bremen gibt es eine spezielle Förderschule für Kinder mit sozial-emotionalem Förderbedarf, die Fritz-Gansberg-Schule. Das Modell der temporären Lerngruppen soll dazu eine Alternative bieten. Die Kinder können dabei an ihrer normalen Schule bleiben. Wenn ein Kind sich auffällig und aggressiv verhalte, sei es nicht sofort ein Fall für eine Förderschule, sagen Kreuchauf und Krupp. Mit dem System der temporären Lerngruppen können man viel bewirken.
Ein Ausflug als Belohnung
In der Gecko-Gruppe gibt jede Menge Anreize für die Kinder, gut mitzumachen: "Wir machen hier auch Wetten, zum Beispiel: Wetten, dass ich es schaffe, eine Woche lang leise und pünktlich aus der Pause wieder hier in den Raum zu kommen?", erzählt der Zehnjährige aus der Gruppe. Für persönliche Erfolge gibt es verschiedene Belohnungssysteme. Hat ein Kind etwas gut gemacht, kommt eine Kichererbse in ein gemeinsames Glas der Gruppe. Ist es voll, dann können die Kinder sich eine besondere Aktivität aussuchen: Zusammen einen Film schauen oder einen Ausflug an den See zum Beispiel. Zudem wird das individuelle Verhalten belohnt: Ein Kind, das besonders vieles gut macht, bekommt den "Pokal der Woche" – ein Grund, darauf stolz zu sein, was es geschafft hat.
Manche der Kinder haben in ihrer Klasse zuvor mit Stühlen oder Tischen geworfen, erzählt Nadja Kreuchauf: "Wir haben hier auch traumatisierte Kinder, und in emotionalen Situationen werden enorme Kräfte mobilisiert." Sina Krupp schildert, was das für Lehrer bedeutet: "Man ist dann natürlich überfordert, es ist gefährlich, man hat als Lehrerin einfach nicht genug Hände."

Schulleiterin Isolde Mörk setzt sich für das Modell der temporären Lerngruppen ein. Gern würde sie mehr Kinder auf diese Weise fördern.
Die Gecko-Gruppe besteht aus drei Kindern und zwei Erwachsenen. Sie soll auch eine kleine Auszeit für die Kinder bieten. Aber selbst in der Kleingruppe gibt es manchmal Situationen, die eskalieren, so Kreuchauf: "Dann weiß man, warum man hier zu zweit ist."
Konzentration im Schülerbüro
Für die Möglichkeit zu ruhigem Arbeiten sorgt im Gecko-Raum auch die Einrichtung. Einerseits gibt es große gemeinsame Tische im Zentrum. Andererseits sind die Arbeitsplätze der drei Kinder so weit voneinander entfernt wie möglich. Jedes Kind hat seinen Tisch in einer Ecke des Raumes, der zusätzlich durch ein Regal abgeschirmt und mit einer Linie auf dem Boden markiert ist: "Das sind unsere Schüler-Büros", sagt Krupp. Während viele Kinder hier im Stadtteil zuhause keinen eigenen Schreibtisch haben, können sie in der Gecko-Gruppe lernen, dass ihr Arbeitsplatz ein ruhiger Ort ist, der von anderen erst dann betreten werden soll, wenn das Kind einverstanden ist.
Die beiden Pädagoginnen sind überzeugt vom System der Lerngruppen. "Die Probleme sind nicht weg, es sind lange Wege, aber vieles verbessert sich", sagt Kreuchauf. Das betont auch Alexandra Hartwig, die seitens des Zentrums für unterstützende Pädagogik (Zup) für die Koordination der Inklusion an der Grundschule zuständig ist: "Das ist auf jeden Fall das System, das wir für die Inklusion stark ausbauen sollten, weil es gute Erfolge zeigt", sagt die Zup-Leitung. "Es gibt weniger Konflikte in den Klassen, und die Kinder lernen, anders mit Konflikten umzugehen."
Schulleiterin Mörk würde gern mehr Kindern die Förderung bieten: "Wir könnten mehr Plätze gebrauchen, das hier ist nur die Spitze des Eisbergs", sagt sie. Klar ist aber auch: Dafür braucht man Räume und Fachpersonal. Und beides gibt es schon jetzt an vielen Schulen nicht genug.