Der Kellner empfiehlt das Tagesgericht, Omas Kohlroulade mit Specksoße und Salzkartoffeln für 9,50 Euro. Das Essen kommt, als noch keine zehn Minuten vergangen sind. Bei Kreuz-Meyer in Seckenhausen geht das ruckzuck, jedenfalls dann, wenn der Gast sich für eines der beiden Angebote entscheidet, die am Eingang an der Tafel stehen. Die Gerichte sind vorbereitet, das erste Mal nach vielen Wochen, dass die Küche wegen Corona nicht kalt bleiben muss.
Mecklenburg-Vorpommern war am vergangenen Wochenende noch das einzige Bundesland, in dem die Auflagen für Gastronomiebetriebe gelockert wurden. Am Montag sind Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen gefolgt. Jetzt dürfen auch dort die Restaurants nach der Zwangspause neu an den Start gehen, wenngleich bei Weitem nicht alle Gastronomen von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. In Mecklenburg-Vorpommern war es nach Schätzung des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes nur rund ein Drittel. Die vielen Auflagen, die Ungewissheit, ob überhaupt jemand kommt, die Kosten der Betriebsaufnahme – vielen ist das nicht geheuer, sie warten noch ab.
„Rechnen kann sich das nicht“
Diedrich Meyer hat sich anders entschieden, obwohl ihm klar ist: „Rechnen kann sich das nicht.“ Nein, rechnen kann sich das nicht, wenn nach 13 Uhr nur noch ein Kunde in der Gaststube sitzt und die gar nicht mal üble Kohlroulade verspeist. Eine einsame Mahlzeit, doch immerhin lässt sich so zwischendurch bequem mit dem Wirt schnacken. Gibt ja viel, über das unter diesen besonderen Umständen zu reden ist.
Meyer, 65 Jahre alt, ist Chef des Familienbetriebs, den es an dieser Stelle mit Unterbrechungen seit 1838 gibt. So viele Meyers damals in Seckenhausen, da musste man sie irgendwie unterscheiden. Kreuz-Meyer deshalb, weil das Lokal mit angeschlossenem Hotel seit jeher direkt an einer Kreuzung liegt, heute verbindet sie die B 51 mit der B 322.
Die Gäste auf den Zimmern sind in der Regel Geschäftsreisende, also war es kein großes Malheur, als das Land verfügte, dass wegen der Pandemie keine Touristen mehr aufgenommen werden dürfen. „Wir haben viel Industrie in der Gegend, große Unternehmen, das ist unser Vorteil“, sagt Meyer. Die Hotelgäste sind der Grund, erklärt er, weswegen das Restaurant wieder in Betrieb genommen wurde: „Ich wollte ihnen nicht länger sagen müssen, dass sie außer Frühstück bei uns nichts zu essen bekommen können.“
Gut möglich deshalb, dass am Abend ein paar Tische mehr besetzt sein werden als zur Mittagszeit. Acht Kunden waren es bisher, zählt der Wirt vor. Sie seien ungewöhnlich früh gekommen, vor zwölf schon, und längst wieder weg. Stammgäste aus den Betrieben in der Nähe und zwei Rentner. Sie hätten sich gefreut, endlich wieder! Mit zweien rechnet Meyer noch, „die sind normalerweise von Montag bis Donnerstag jeden Tag da“. Doch er kann aus dem Fenster schauen, solange er will, die beiden Männer bleiben weg. „Müssen sich wohl erst wieder dran gewöhnen.“
Am Eingang ein Schild mit der Bitte, die Hände zu desinfizieren. Das Gel dafür steht auf dem Tisch. Eintritt nur mit Maske, wer keine hat, bekommt eine gestellt. Am Platz im Gastraum darf sie abgesetzt werden, logisch. Beim Gang zur Toilette ist die Maske wieder Pflicht. Mit seinen Tischen hat Meyer Halma gespielt, hat sie hin- und hergeschoben, bis es passte, und die Abstände stimmten, zwei Meter, aber genau! Der Zollstock liegt stets bereit. Einige Tische wurden vom Feld genommen, andere für den Gebrauch gesperrt. Der Wirt notiert die Namen der Gäste, ihre Ankunftszeit, und wann sie wieder gehen. Serviert wird mit der Maske vor dem Gesicht, Handschuhe trägt der Kellner keine. Ein kleiner Plausch? Ist möglich, nur irgendwie auch wieder nicht, ein komisches Gefühl. Die Kohlroulade kommt kommentarlos.
Meyer hat sich gefreut, als die Meldung kam, dass es wieder losgehen kann. Er hat sich danach aber auch geärgert. „Der Weil prescht vor und hat nichts fertig“, schimpft der Wirt über Niedersachsens Ministerpräsidenten. Erst am Sonnabend, viel zu spät, sei die endgültige Fassung der Verordnung veröffentlicht worden. „Vorher wurde viel erzählt, was nicht stimmte, das verwirrt doch nur.“
Beispiel Tischdecken: Erlaubt oder nicht, da gingen die Meinungen auseinander. Jetzt darf man sie benutzen, entgegen der ausdrücklichen Empfehlung des Gaststättenverbandes. Meyer behilft sich mit Sets aus Stoff und steckt sie nach Gebrauch in die Waschmaschine. Schwierig auch die Vorgabe, dass Menschen aus maximal zwei Haushalten an einem Tisch sitzen dürfen: „Das können vier sein, acht oder 16, und wer will die Angaben der Gäste kontrollieren?“
Das Hauptgeschäft bei Kreuz-Meyer waren immer schon die Feierlichkeiten, Familienfeste vor allem oder Kaffeetafeln aus traurigem Anlass. „Für Freitag habe ich eine Beerdigungsgesellschaft aus Oberneuland angenommen“, erzählt Meyer. Oberneuland in Bremen, wo die Gastronomie voraussichtlich erst in einer Woche wieder öffnen darf. Auch so ein Punkt. Durcheinander.
Meyer will vorsichtig sein. „Wir halten den Ball flach“, sagt er. Die 15 Angestellten bleiben bis auf den Kellner, der am Montag bedient, in Kurzarbeit. In der Küche stehen seine Frau und der Neffe. Der Wirt hat die Speisekarte reduziert und die Öffnungszeiten gekappt. Betrieb ist vorerst nur zwischen 11 und 14.30 Uhr sowie 18 und 21 Uhr. „Die Frage ist ja, ob die Stammkunden irgendwann alle wieder da sind.“ An diesem Montag sind sie es noch nicht.