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Interview mit DRK-Chef Henning Dageförde "Wir können bei Anträgen nicht helfen"

Die Demonstrationen der Flüchtlinge in Schwanewede haben für Schlagzeilen gesorgt. Patricia Brandt sprach mit Henning Dageförde, dem Kreisgeschäftsführer des DRK Wesermünde, der die Notunterkunft betreibt.
03.12.2015, 00:00 Uhr
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Von Patricia Brandt

Die Demonstrationen der Flüchtlinge in Schwanewede haben für Schlagzeilen gesorgt. Patricia Brandt sprach mit Henning Dageförde, dem Kreisgeschäftsführer des DRK Wesermünde, der die Notunterkunft betreibt.

Herr Dageförde, in den sozialen Medien wird seit Tagen kontrovers über die Demonstrationen der Flüchtlinge in Schwanewede diskutiert. Was regt Sie mehr auf: Protestierende Flüchtlinge oder Menschen, die mit Unverständnis auf die Demonstrationen der Flüchtlinge in Schwanewede reagieren?

Henning Dageförde: Es ärgert mich nicht, dass die Menschen demonstrieren. Wenn man die Berichte über die Demonstration am Wochenanfang liest, denkt man die Umstände in der Lützow-Kaserne seien unhaltbar. Die Flüchtlinge beschweren sich zum Teil darüber, dass sie in Sieben-Bett-Zimmern untergebracht sind. Ich sage Ihnen, es gibt in der Kaserne auch Vier-Bett-Zimmer und es gibt auch Zehn-Bett-Zimmer. Und wenn wir in Kürze 2000 statt wie bisher 1200 Flüchtlinge haben, wird die Situation nicht besser werden. Es lässt sich gar nicht anders darstellen – wir sind eine Notunterkunft, die es eigentlich gar nicht geben dürfte. Aber es ist immer noch besser, in der ehemaligen Lützow-Kaserne untergebracht zu sein, als in einem Zelt oder einer Turnhalle. Das sagen wir den Flüchtlingen. Und wir haben ihnen auch gesagt, dass sie mit ihrer Demo auf dem Schwaneweder Marktplatz das Gegenteil von dem erreichen könnten, was sie erreichen wollen.

Wenn es in der Lützow-Kaserne schöner ist als im Bayernzelt, warum gehen dann ausgerechnet die Flüchtlinge aus Schwanewede auf die Straße?

Weil die Situation, in der sich die Flüchtlinge befinden, unbefriedigend ist. Wir haben Menschen in der Notunterkunft, die seit Mitte September hier sind, und es ist völlig unklar, wann sie ihren Asylantrag stellen können. Gleichzeitig nehmen sie die politische Diskussion darüber wahr, dass der Familiennachzug begrenzt werden soll. Da fliehen Menschen aus Syrien, um ihre Familien nachzuholen, und stellen dann in Deutschland fest, dass das eventuell bald nicht mehr geht.

Um die Flüchtlinge zu registrieren, haben Sie bislang bunte Armbänder an die Frauen und Männer ausgegeben. Die Linke in Bremen hält Armbänder zur Kennzeichnung von Geflüchteten für stigmatisierend. Sofia Leonidakis, flüchtlingspolitische Sprecherin der Linksfraktion, nennt es unsensibel, geschmacklos und ein Rassismus förderndes Signal, wenn Flüchtlinge offiziell markiert werden.

Wir haben 1200 Menschen, bald 2000 Menschen bei uns, die in der Kaserne wohnen und drei Mahlzeiten am Tag bekommen. Wir haben eine Kleiderkammer und eine Ausgabestelle für Sachgüter. Es wäre schön gewesen, wenn mir mal jemand gesagt hätte, wie man es besser machen soll. Hochwasser kann das DRK im Schlaf. Es gab aber leider kein Handbuch, in dem steht: Wie baue ich ein Dorf mit 1000 Bewohnern in acht Tagen auf. Die Armbänder sind eine pragmatische Lösung gewesen. Darauf waren Name, Zimmernummer und Schwanewede als Ort vermerkt. Inzwischen haben wir auf ein Scheckkartensystem mit Barcode und Foto umgestellt. Ich kann trotzdem nicht verstehen, wie man angesichts der existenziellen Ängste der Menschen über Armbänder diskutieren kann.

Sie haben sehr strikte Eingangskontrollen am Kasernentor. Stimmt es, dass Flüchtlinge daran gehindert werden, das Gelände zu verlassen?

Nein, jeder, der möchte, kann die Kaserne verlassen. Es gibt auch einzelne Bewohner, die entscheiden, dass sie überhaupt nicht bei uns bleiben wollen.

>> Patricia Brandt über Flüchtlingsproteste <<

Es sind Klagen über eine mangelnde ärztliche Versorgung zu hören gewesen.

Uns fehlt tatsächlich ein zweiter Arzt. Es ist aber sehr schwer, Personal zu bekommen. Erstens können wir keine großen finanziellen Anreize bieten, zweitens können wir nur befristete Arbeitsverträge anbieten. Trotzdem bieten wir den Flüchtlingen einen 24-stündigen medizinischen Dienst an. Auch dem Mann, der sich darüber beschwert hat, dass er keine Physiotherapie bekommt, versuchen wir zu helfen.

Einige Flüchtlinge haben sich darüber beschwert, dass Sicherheitskräfte in den Frauentrakt eingedrungen sind. Was haben Sie dagegen unternommen?

Wir haben ein Sicherheitsunternehmen beauftragt, das sich um die Schulung der Mitarbeiter kümmert. Es gibt die klare Ansage, dass so etwas nicht passieren darf. Die Menschen kommen aus einem anderen Kulturkreis und die Sicherheitskräfte wissen, dass sie da nicht einfach so wie in einer Jugendherberge ins Zimmer reinspringen dürfen. Es ist völlig klar, dass angeklopft werden muss, wenn man ins Zimmer muss.

Warum müssen die Sicherheitskräfte überhaupt in die Zimmer?

Viele Familien haben den Wunsch, im Zimmer zu kochen. Es ist nachvollziehbar, dass das nicht geht. Wir haben 300 Zimmer, fast wie in einem Hotelbetrieb. Sie kommen in Zimmer, da gibt es neben dem Fernseher auch eine Herdplatte, auf der gekocht wird. Das können wir nicht erlauben. Aus Sicherheitsgründen nicht. Und: Wo soll das Geschirr abgespült werden? Wo verbleiben die restlichen Lebensmittel?

Apropos: Ich habe von Beschwerden über das Essen gehört. Es soll zum Beispiel versehentlich Schweinegelatine an muslimische Flüchtlinge ausgegeben worden sein. Stimmt das?

Ich habe das auch auf Facebook gelesen. Als DRK-Geschäftsführer bekomme ich täglich Post von Firmen, die mir Container anbieten, nicht brennbare Mülleimer und mir sagen wollen, wie ich eine GmbH gründe. Es gibt aber nicht einen einzigen Caterer, der sich angeboten hätte: Wir können arabisch kochen. Es ist uns ein geleehaltiger Pudding durchgerutscht, ja, aber wir haben sofort reagiert und das Problem abgestellt. Wir reichen jetzt Obst zum Nachtisch. Nur wer nichts tut und vor dem Fernseher sitzt, macht keine Fehler. Wir bemühen uns nach Kräften, aber dies ist eine Notunterkunft.

Wachsen Ihnen die Probleme über den Kopf?

Mache ich den Eindruck? (lacht) Ich habe schlaflose Nächte gehabt. Vor allem am Anfang. Wir haben angefangen mit nichts. Und Weihnachten wohnen doppelt so viele Menschen in der Lützow-Kaserne wie in meinem Heimatort Uthlede. Mit allen Problemen, die jeder Einzelne mitbringt. Jeder hat sein persönliches Schicksal. Man müsste eigentlich jeden Einzelnen umarmen und trösten, aber das können wir nicht leisten. Die Menschen bekommen drei Mahlzeiten am Tag, soziale Angebote und Kinderbetreuung und zwar ohne, dass wir das jahrelang geübt oder vorbereitet haben.

Wann erwarten Sie eine Mitteilung aus dem Ministerium, dass Sie 4000 Betten bereitstellen sollen?

Auf uns wurde beträchtlicher Druck ausgeübt, auf 2000 Flüchtlinge aufzustocken. Mehr als 2000 geht nicht. Selbst die Unterbringung von 2000 ist schon ein hehres Ziel.

Was wollen Sie jetzt zum Wohle der Bewohner tun?

Wir können beim Asylverfahren nicht helfen. Wir wissen nicht, wann die Flüchtlinge ihren Asylantrag stellen können. Wir sind nur der Puffer zwischen den Menschen, die kommen, und den Kommunen, auf die sie verteilt werden. Und wir haben keine Möglichkeit, die Dinge zu beschleunigen. Um die Verteilung der Flüchtlinge auf die Kommunen kümmern sich Bund und Länder. Zeitweise war nur ein BAMF-Mitarbeiter (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Anm. der Red.) für 1200 Flüchtlinge da. Ich mache keinem Vorwürfe. Mein Eindruck ist: Alle, die mit der Flüchtlingsfrage befasst sind, kommen an ihre Grenzen.

Dann rechnen Sie mit weiteren Demonstrationen der Flüchtlinge oder was passiert als Nächstes?

Ich möchte mir nicht ausmalen, was passiert, wenn die Menschen, die seit September bei uns sind, bis Januar keinen Asylantrag stellen können. Freitagnacht waren es 60 Menschen, die demonstriert haben, am Montag waren es 200 Demonstranten und alle haben fotografiert und gefilmt. Ich nehme an, dass die Bilder der Demo bei Facebook zu sehen waren. Die Flüchtlinge haben auch eine Petition an die Migrationsbeauftragte des Landes, Doris Schröder-Köpf, gerichtet. Demonstrieren ist ihr gutes Recht. Aber ich rechne auch mit Unverständnis der Bevölkerung. Denn es gibt auch Stimmen, die sagen, die Flüchtlinge haben ein Dach über dem Kopf, Essen und ein Leben in Frieden. Also, was soll der Protest?

Im Oktober hat eine selbst ernannte Bürgerwehr von sich Reden gemacht, die angeblich zum Schutz der Bürger rund um die Kaserne unterwegs war. Ist die Bürgerwehr noch aktiv?

Ich habe nichts mehr von ihr gehört.

Haben Sie Angst vor Anschlägen?

Nein, wir arbeiten eng mit der Polizei zusammen. Ich gehe davon aus, dass – wenn es eine Bedrohung gäbe – wir darüber Informationen bekommen würden.

Zur Person: Henning Dageförde (47) Diplom-Theologe und Diplom-Kaufmann, ist als Kreisgeschäftsführer des Deutschen Roten Kreuzes Wesermünde Betreiber der Flüchtlingsnotunterkunft in Schwanewede. Er lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Uthlede.

◼ Wir hätten gern auch in der Lützow-Kaserne fotografiert. Das untersagt die Landesaufnahmebehörde jedoch. Der Pressesprecher des DRK Bremervörde, teilte mit, er habe wegen unserer Anfrage (Fototermin in der Flüchtlingsnotunterkunft Schwanewede) mit der Landesaufnahmebehörde telefoniert. Das Ergebnis: Es gelte weiterhin, dass Aufnahmen sämtlicher Innenbereiche „zum Schutz der Menschen und des Rückzugsraumes, zu dem auch die Gemeinschaftsräume (beispielsweise Kantine) gehören“, nicht möglich seien. Theoretisch bestünde alternativ die Möglichkeit, eine Aufnahme aus dem Innenbereich eines zwar schon eingerichteten, aber noch nicht bezogenen Gebäudes zu machen.

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