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"Jugendrevolte und Reform 1960 bis 1975“ „Wir wollten uns positionieren“

Joachim Bellgart berichtet über seine Zeit als Schülerzeitungsmacher am Gymnasium an der Kurt-Schumacher-Allee. Jugendliche gestalten Ausstellung mit.
18.02.2018, 08:25 Uhr
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Von Matthias Holthaus

„Bloß keinen Personenkult war ein Motto von uns“, erzählt Joachim Bellgart, der während seiner Zeit am Gymnasium an der Kurt-Schumacher-Allee Ende der 1960er-Jahre mehrere Ausgaben der Schülerzeitung „Kreisel“ mitgestaltet hat. Über diese Zeit berichtete er heutigen Schülerinnen und Schülern der Oberschule an der Kurt-Schumacher-Allee. Sie sind an der Ausstellung „Traue keinem über 30! - Jugendrevolte und Reform 1960 bis 1975“ beteiligt, die das Schulmuseum vom 1. Juni bis zum 1. Juli in der Unteren Rathaushalle zeigt. Und arbeiten selbst an Schülerzeitungen mit.

Drei Redakteure, ein Kassenwart und ein beratender Lehrer bildeten Ende der Sechziger Jahre laut Bellgart einen „konspirativen Haufen“. Dabei sei die Zeit der „Außerparlamentarischen Opposition“ (APO) erst einmal an den Schülerinnen und Schülern des Gymnasiums in der Vahr vorbeigegangen: „Das war ruhig hier, es gab vielleicht mal ein paar vorsichtige Fragen zu Vietnam im Unterricht“, erinnert er sich. „Wir wollten uns aber irgendwie positionieren und daher haben wir bei der Schülerzeitung mitgemacht.“ Was bei den jungen Redakteuren im Kopf rumgewabert sei, hätten sie auch zu Papier bringen und die Leute hätten das auch lesen wollen. „Das hat die Politisierung natürlich befeuert.“ Die Wände des Redaktionsbüros hatten sie mit Plakaten der „Aktion Demokratischer Fortschritt“ (ADF) beklebt, die der DKP nahestand, eigentlich seien sie aber liberal gewesen: „Wir haben an Artikeln alles genommen, was kam, da hatten wir keine Linie.“ Und auch die Schülerschaft sei einigermaßen unpolitisch gewesen, erzählt Bellgart: „Es gab zwar eine Stimmung gegen den Vietnam-Krieg, aber sonst war da eher wenig. Es war sehr, sehr ruhig in dieser Schule.“

Und auch zu Hause bei Joachim Bellgart war politische Betätigung nicht gern gesehen: „Wenn etwas Größeres wie eine Demo anstand, gab es von der Seite meiner Eltern immer Hausarrest. Da war ich brav bis zum Abitur. Erst im Studium konnte ich das rauslassen und mich politisch betätigen.“ Bis zum Abitur hat das Schülerzeitungs-Quartett drei große und eine kleine Nummer des „Kreisels“ mit einer Auflage von 600 bis 700 Exemplaren fertiggestellt, die erste Ausgabe erschien im Herbst 1969. „Da war gerade Wahlkampf und wir haben alle Parteien, die zur Wahl standen, interviewt: ADF, SPD, FDP, CDU und sogar die NPD.“ Ganz grundgesetzkonform seien sie da gewesen: „Jeder, der kandidierte, sollte auch eine Stimme haben.“

So ganz ohne Ärger ging die Arbeit der vier Redakteure aber dann doch nicht vonstatten. „Zu Weihnachten brachten wir ein Titelbild, das wohl religiöse Gefühle verletzte“, erzählt er. Das Bild zeigte die Jungfrau Maria, die anstelle des Jesuskindes einen verhungernden Inder im Arm hielt: „Das Lehrerkollegium und die Eltern haben protestiert, und mein Vater hatte Befürchtungen, dass da noch was Schlimmes kommt. Gleichzeitig war er aber auch ein wenig stolz.“

Die schulischen Leistungen Joachim Bellgarts boten hingegen keinen Anlass zur Freude: „Während meiner Schülerzeitungszeit hat sich mein Notendurchschnitt um 0,8 verschlechtert, weil es wohl einigen nicht gefiel, was ich geschrieben habe.“ Nicht gefallen hat eine Aktion auch den Besuchern des Domgottesdienstes an Heiligabend im Jahr 1969: „Da sind wir zur Messe rein mit 40 Leuten und bis zum Ostchor durchmarschiert, um über Vietnam zu diskutieren.“ Der Pastor habe dann einfach sein Mikrofon lauter gestellt.

Sein politisches „Erweckungserlebnis“ habe er dann jedoch danach gehabt, erzählt Bellgart: „Als wir zurückgegangen sind, habe ich zwei Mal unabhängig voneinander von Gottesdienstbesuchern gehört, dass man anscheinend vergessen hätte, uns zu vergasen. Das war für mich ein wichtiger Impetus.“

Joachim Bellgart erzählte dann noch von seinem weiteren Werdegang: Nach seiner Zeit am Gymnasium an der Kurt-Schumacher-Alle hat er Politik und Englisch auf Lehramt studiert, doch mit dieser Fächerkombination keine Chance auf eine Anstellung als Lehrer gehabt. Bellgart schulte um auf EDV und unterrichtete später Englisch in der Berufsschule. Irgendwann habe er sich überlegt, was er gerne mache: „Dann bin ich Stadtführer geworden.“

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