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Abschied vom Denkmal Wirt der Bremer Wallmühle gibt auf - Corona war nur das i-Tüpfelchen

Wallmühlen-Wirt Jörg Stenzel packt nach 25 Jahren seine Sachen und verkauft - dafür gibt es viele Gründe.
11.11.2022, 05:00 Uhr
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Wirt der Bremer Wallmühle gibt auf - Corona war nur das i-Tüpfelchen
Von Justus Randt

Ohne Wind geht nichts. Das galt lange Zeit auch für die rund 200 Jahre Herdentorswallmühle, eines der Wahrzeichen Bremens. Das vergangene Vierteljahrhundert über hat der Bremer Gastronom Jörg Stenzel sein Restaurant Kaffee-Mühle in dem Baudenkmal betrieben – bis die Turbulenzen überhandnahmen. Zum November hat er, wie berichtet, zugemacht. Stenzel ist optimistisch, schnell einen Nachfolger zu finden, der seine Firma kauft und in den Pachtvertrag mit der Stadt Bremen, der Mühleneigentümerin, eintritt. "Am Ende", sagt der Neustädter Jung, der heute in Borgfeld wohnt, "hat Corona den Ausschlag gegeben. Die Kollegen in der Gastronomie sind eigentlich alle fix und fertig von dem Stress."

Linda und Jacky aus Taiwans Hauptstadt Taipeh machen es an diesem Tag wie ungezählte Touristen zuvor: Sie zücken das Handy, um sich vor der Wallmühle zu fotografieren. Tags zuvor war das junge Paar in Köln. Die nächste Station ist Hamburg. Und Bremen mittendrin – ohne Kaffee in der Mühle. Die Flügel des imposanten Galerieholländers drehen sich schon seit zwei Jahren nicht mehr, Immobilien Bremen listet diverse anstehende Reparaturen auf. Bleiben die Tausenden von Tulpen in den Wallanlagen, die im Frühling das Mühlenmotiv aufpeppen. "Die Zwiebeln sind schon gesetzt", sagt Jörg Stenzel. "Der Wall ist der Wall. Die Mühle wird weiter als Mittelpunkt da sein.“

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Für den Gast arbeiten und Spaß dabei haben, das ist es, was der Wirt sich gewünscht hat. "Aber die Luft wurde immer enger." Stenzel meint "das ewige Auf- und wieder Zumachen", den Personalmangel, der in den vergangenen zwei Jahren zugenommen habe, und Krankheitsausfälle. "Das führt zu Existenzängsten, geht an die Substanz." Lieferengpässe und steigende Kosten hätten den letzten Impuls gegeben, sagt der Hotelbetriebswirt. Dabei sei schon vor der Pandemie einiges schwieriger geworden: "Über uns ist ein Dokumentations-Tsunami hereingebrochen. Arbeitsschutz, Arbeitszeit- und Hygieneverordnungen, das ist alles  wichtig, macht aber viel Arbeit. Erste-Hilfe-Kurse, Feuerlöschkurse und, und, und. Es ist immer mehr geworden. In einem kleinen Betrieb ist das schwierig."

Bis kurz nach dem Krieg mahlte die Müllerfamilie Erling noch Korn in der Wallmühle. Später hatte eine Fahrschule dort ihre Räume. Bis Jörg Stenzel vor 27 Jahren den Zuschlag als Pächter von der Stadt erhielt, die das Bauwerk wieder herrichtete. Damals entstanden die Anbauten, in denen sich heute unter anderem die Küche befindet. Die Müllerwohnung im zweiten und dritten Stockwerk wurde bald zu klein für den Wirt. Nachdem er geheiratet hatte und Vater zweier Kinder geworden war, zog er um. "Wir brauchten sowieso den Platz als Büro- und Lagerraum."

Und nun ist Schluss. "So richtig kann ich es immer noch nicht glauben, dass ich zumache. Aber ich konnte das nicht mehr wuppen", sagt Jörg Stenzel. Er hielte es für eine gute Idee, wenn es für Geschäftsleute einen Ansprechpartner als Vermittler zu den Behörden gäbe, "nach dem Modell des Kontaktbereichsbeamten bei der Polizei". Für behinderte Gäste sei es durch die neue Verkehrsführung schwierig geworden, die Mühle zu erreichen. "Wegen der Bauarbeiten konnte ich zeitweilig meine eigene Auffahrt nicht nutzen, da musste ich mich dann selbst drum kümmern."

Der Wall ist für ihn mit vielen Erinnerungen verbunden. Als Kind habe er im Schatten der Windmühlenflügel Karpfen, Schleien und Rotfedern im Stadtgraben geangelt, erzählt er. Eine Brücke, die vom Hillmannplatz hinüberführt in die Innenstadt, "das wäre etwas Verbindendes". Etwa so wie die Friedensfahnen, die an der Mühle in den Nationalfarben der Ukraine im Wind flattern, die samt Taube mit Ölzweig im Schnabel auf Fotos von Linda, Jacky und Tausenden anderer Wall-Touristen in alle Welt verbreitet werden. Und sie wehen, bis Jörg Stenzel seine Sachen gepackt hat.

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