Als sich Illy von Welawitsch wieder ein bisschen gesammelt hatte, schritt sie zur Tat. Nun zieren mehrere Din-A-4-Zettel den verwaisten Bereich unmittelbar vor ihrem Wohn- und Dekogeschäft Illy's Livingroom an der Straße Vor dem Steintor neben dem Schauburg-Kino – dort, wo bis Dienstag noch ihre Auslagen gestanden hatten. "So sieht es aus, wenn das Ordnungsamt dir verbietet, vor deinem Geschäft zu dekorieren", lautet die Protestbotschaft, die sie auch in den sozialen Netzwerken verbreitete. Ein Zeichen wolle sie damit setzen, sagt die Einzelhändlerin und freut sich über den vielfachen Zuspruch. "So wandelt sich Wut in positive Energie um."
Wütend wurde die 53-Jährige nach einem Besuch des Ordnungsamts. Drei Mitarbeiter – zwei Frauen und ein Mann – verlangten am Dienstag, die Genehmigung für ihre Auslagen auf dem Bürgersteig zu sehen. Für Illy von Welawitsch eine ziemliche Überraschung. "Da steht unsere Deko seit zehn Jahren", sagt sie. "Noch nie hat sich jemand beschwert, noch nie wollte jemand eine Genehmigung sehen." Schon aus rein praktischen Gründen kann sie die Ansage des Ordnungsamts nur schwer nachvollziehen. "Bis zur Straße sind es 5,10 Meter – meine Deko kommt aber nur auf maximal einen Meter."
Was sie noch weit mehr aufbrachte, war der ihrer Darstellung nach barsche Ton und die drohende Körpersprache der Besucher vom Ordnungsamt. Vor den Kunden sei sie vorgeführt worden, als habe sie ein Verbrechen begangen. "Man sagte mir, ich könnte froh sein, dass ich keine Anzeige bekomme." Vergebens habe sie sich nach der Rechtsgrundlage erkundigt, vor Ort habe man ihr keine Auskunft geben können. "Das können Sie googeln", habe es geheißen. Auch mehrere Anrufe beim Ordnungsamt seien ergebnislos verlaufen. "Ich hatte drei verschiedene Ansprechpartner, jeder sagte was anderes." Auf einen Kompromiss – etwa, den Antrag nachzureichen – habe sich das Ordnungsamt nicht einlassen wollen. "Es gab keine Kooperation und kein Verständnis", sagt Illy von Welawitsch.
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Die Behörde räumt Gesprächsbedarf ein. Bei der Routinekontrolle des Ordnungsdienstes sei es "zu einem Missverständnis" gekommen, sagt Karen Stroink, Sprecherin des Innenressorts. Die Warenauslage vor dem Geschäft sei zu streng bewertet worden. Denn: Grundsätzlich würden Aufsteller, Warenauslagen, Tische, Stühle und Blumenkübel in einem Bereich von einem Meter vor dem Geschäft geduldet. Allerdings nur unter einer Voraussetzung: Es müssten noch mindestens 1,5 Meter Gehwegbreite für die Passanten übrig sein. Weil das bei Illy's Livingroom der Fall ist, dürfte Illy von Welawitsch kaum etwas zu befürchten haben. "Das Ordnungsamt hat bereits Kontakt aufgenommen mit der Betroffenen, um noch in dieser Woche direkt vor Ort die Angelegenheit mit ihr zu klären", sagt Stroink.
Rein rechtlich gesehen ist die Lage eindeutig. "Der Gebrauch der Straße über den Gemeingebrauch hinaus (Sondernutzung) bedarf der Erlaubnis", gibt Paragraf 18 des Bremischen Landesstraßengesetzes vor. Verzichtet die Behörde in einem Ein-Meter-Bereich vor den Geschäften auf die Umsetzung geltenden Rechts, duldet sie ein Gewohnheitsrecht. Anders die Situation jenseits der Ein-Meter-Marke. Alles darüber hinaus falle im öffentlichen Straßenraum unter Sondernutzung und müsse genehmigt werden, so Stroink. "Im Vordergrund stehen dabei die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs."
Behörde macht im Internet keine klaren Vorgaben
Allerdings kommuniziert die Behörde ihre Haltung nicht. Durchforstet man wie empfohlen das Internet, stößt man im Serviceportal der Stadt Bremen auf Vorgaben zur Beantragung der dauerhaften Sondernutzung von Verkehrsflächen. Darin heißt es, bei Warenauslagen, Körben oder Tischen, die abends weggeräumt würden, liege keine dauerhafte Sondernutzung vor. Zur praktizierten Duldung im Ein-Meter-Bereich fällt jedoch kein Wort. Vielmehr erwecken die Vorgaben den Anschein, als sei auch jede tageweise Sondernutzung eine genehmigungspflichtige Sondernutzung. Ein Antragsformular gibt es nicht, man muss einen formlosen Antrag abfassen und einen Lageplan einreichen.
Die Corona-Pandemie habe dem Einzelhandel schon genug zugesetzt, sagt Illy von Welawitsch. Umso frustrierender ihre jüngsten Behördenerfahrungen. Wobei sie nicht nur das "Halbwissen" der drei Behördenvertreter geißelt. "Man versucht das Viertel schön zu machen und so was kommt dabei raus", lautet ihr Fazit. Dass etliche Geschäftsleute mit ihren Auslagen einen Beitrag zur Gestaltung des Straßenbilds leisten, betont auch Karsten Nowak, Geschäftsführer des Bereichs Einzelhandel bei der Handelskammer. "Manchmal ist es ein schwieriges Unterfangen, wenn Verwaltungsrealität auf die Realität da draußen trifft", sagt er. Im Fall von Illy's Livingroom sei es offenbar zu einem "unglücklichen Dialog" gekommen.
Ähnlich äußert sich Jan König, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Nordwest. "Nach Corona sollte eigentlich wieder Normalität eingekehrt sein im Umgang miteinander." Das fehlende Antragsformular sieht er kritisch. "Das ist eine Hürde, ein Formular würde zur Vereinfachung beitragen." Die Handelskammer plädiert für mehr Informationsarbeit im Vorfeld. "Ich hätte mir gewünscht, dass das Ordnungsamt gemeinsam mit uns darauf aufmerksam macht, welche formalen Vorgaben es gibt", sagt Nowak. Sein Appell angesichts des aktuellen Falls: ein Vertreter des Ordnungsamts solle bei einem Treffen der Werbegemeinschaften erscheinen. "Im Dialog ließe sich gegenseitiges Verständnis wecken."