Ammar Bilal ist selbst etwas erstaunt. Welche Wendungen sein Leben bis hierher genommen hat – das hat er oft kaum steuern können. Irgendwann aber nach der Flucht aus Syrien nahm er seine Zukunft mit aller Kraft in die Hand: Bilal wird in Bremen zum Unternehmer. "Das hätte ich nie im Leben gedacht", sagt er zu seinem Weg. Ja, klar, da sei er stolz.
Immer wieder musste Bilal dabei von vorne anfangen. "Keiner will seine Heimat verlassen", sagt er. In Syrien sei es aber dann so schlimm gewesen, dass er sich doch auf den Weg machte – ganz allein. Ihm war klar: Ich will keine Waffe in die Hand nehmen und in den Krieg hineingezogen werden.
Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien: Bilal hat eine Odyssee hinter sich. Lange hat er kein Ziel vor Augen. Und immer wieder muss er Angst haben: Wie soll es weitergehen? Was ist mit meiner Familie in Syrien? Wo kann ich in Frieden leben?
Über Österreich kommt Bilal vor zehn Jahren nach Deutschland. Jemand hat ihm gesagt: Du musst so lange gehen, bis du an der Autobahn das Schild mit den Sternen darauf siehst: Bundesrepublik Deutschland. "Und dann bin ich einfach gelaufen", erinnert er sich. Bilal schafft es über die Grenze. Zum allerersten Mal freut er sich, Polizisten zu sehen, selbst wenn die ihn zunächst festnehmen.
Heute ist Bilal in Sicherheit – und hat sich viel aufgebaut. In Bremen ist sein Arbeitsplatz der Malerbetrieb von Peter Bollhagen. Für Bilal scheint es eine Berufung zu sein. "Ich liebe den Geruch von Lack", erzählt er. "Das ist da Beste." Sein Vater habe in Syrien ebenfalls als Maler gearbeitet. Bilal begleitete den Papa als Kind oft zu Baustellen. In seiner Familie gebe es überhaupt viele Handwerker.
Bilal arbeitet nun in Bremen nicht nur im Beruf seines Vaters, sondern wird sich damit auch wie dieser selbstständig machen. In diesem Jahr wird er in den Betrieb von Bollhagen einsteigen. So ist es geplant. 28 Jahre ist Bilal alt. Schon bald nach Abschluss der Ausbildung dachte er: Ich will noch mehr machen. Gerade steckt Bilal mitten in der Meisterprüfung.
Peter Bollhagen freut sich über die Entwicklung seines Mitarbeiters. Der Unternehmenschef will sich langsam in den Ruhestand verabschieden. Dass Bilal übernehmen wird? "Das ist für die Firma eine tolle Perspektive", sagt er. Einen Partner gibt es bereits, der zusammen mit Bilal das Geschäft lenken wird. "Ich bin richtig glücklich darüber", sagt Bollhagen. Andere Handwerksbetrieb hätten keine Nachfolger.
Zuwanderung sei für die Wirtschaft in Deutschland entscheidend. "Wir brauchen das. Punkt", sagt Bollhagen überzeugt. In seinem Betrieb arbeiteten Menschen aus verschiedenen Nationen. Das sei für ihn selbstverständlich. Sein allererstes Interesse sei, gute Arbeit mit seiner Firma abzuliefern. Und dafür sei die Unterstützung wichtig – und existenziell: "Sonst können wir den Laden dichtmachen."
Bilal und Bollhagen – die beiden mögen sich. Das wird im Gespräch schnell klar. Bilal hat es in Bremen erst auch bei Mercedes versucht. Doch die Arbeit dort habe ihm nicht so gefallen. Er meldete sich bei Bollhagen. Und bald stand fest: Das passt. Bollhagen war mit seinem Mann auch auf Bilals Hochzeit. Trotz aller Scherze und Nähe: Die beiden siezen sich. "Ich kann Sie nicht duzen!", sagt Bilal zu Bollhagen.
Weitere Landsleute im Meisterkurs
In seinem Meisterkurs sind noch zwei andere Syrer. "Wir haben zusammen schon die Ausbildung gemacht", sagt er. "Die wollen in Deutschland auch was schaffen." Viele andere im Kurs haben derweil aufgegeben: Acht von fünfzehn seien noch dabei. Es ist eine Herausforderung, für den Titel zur Schule zu gehen und zu büffeln – neben der eigentlichen Arbeit im Betrieb. "Es ist echt hart!" Bilal will sich hier etwas aufbauen. Das motiviert ihn.
Was Bilal auf der Flucht mitgemacht hat, hat ihn spürbar geprägt. Er erinnert sich an die Menschen, die ihm geholfen haben, aber auch an die, die ihn betrogen und schlecht behandelt haben. Gerade in der Türkei sei es als Kurde nicht leicht für ihn gewesen. Er habe schrecklich Momente erlebt. Als er über das Meer nach Griechenland geflohen sei, sei ihr Schiff plötzlich in einen Sturm geraten. Andere kleinere Boote mit Geflüchteten in der Nähe hätten es nicht geschafft. Er habe die Menschen im Meer ertrinken sehen. Auch Kinder.
Immer wieder ist Bilals Familie zerrissen, erzählt er. Als die Bedrohung in Syrien immer größer wird, flieht die Familie aus ihrem Zuhause in einem Dorf bei Aleppo: In ihrer Straße war zwei Häuser weiter eine Bombe eingeschlagen. Seine Eltern wollten damals trotzdem im Land bleiben: "Doch es ist immer schlimmer geworden." Bilal macht sich schließlich allein davon – ohne seinen Eltern oder Großeltern eine Nachricht zu hinterlassen. Sein Ziel: Istanbul. Dort lebte ein Cousin.
Bilal versucht später viele Jahre, seine Eltern zu überzeugen, Syrien zu verlassen, was vor allem sein Vater nicht wollte. Heute leben die beiden in den Niederlanden. Eine Schwester ist mit ihrer Familie aber noch in Syrien. Irgendwann will Bilal sie besuchen – aber nicht wieder ins Land zurückkehren. Deutschland sei seine zweite Heimat. "Hier habe ich mein Leben aufgebaut", sagt er.
In Delmenhorst lebt er mit seiner Frau, die auch aus Syrien kommt. Die beiden haben einen Antrag auf Staatsangehörigkeit gestellt. Von einigen weiß er, dass sich das Warten Jahre ziehen kann. Der deutsche Pass ist ihm aber wichtig. Damit könnten sie auch anders reisen. Vielleicht nach Chicago? Dort ist seine Frau geboren.
Derzeit ist an Auszeiten aber noch gar nicht zu denken: Im Sommer ist dann endlich die Meisterprüfung fertig. "Im Oktober kommen die Ergebnisse. Ich hoffe, dass ich bestanden habe", sagt Ammar Bilal.