Herr Kramer, wie hat die Bundesregierung das Land bisher durch die Corona-Pandemie geführt?
Ingo Kramer: Gut bis sehr gut – und das auch in Abstimmung mit der Wirtschaft inklusive der Gewerkschaften. In solchen Situationen zeigt sich auch, dass wir eine Krise gemeinsam bewältigen können. Von den Maßnahmen habe ich das meiste auch bisher mitgetragen und war von Anfang an auch beratend involviert. Im Frühjahr waren die Einschnitte größer als jetzt, was auch angesichts des unbekannten Virus so richtig war. Klar ist: Bis jetzt sind wir im Vergleich zu anderen Ländern gut durch die Krise gekommen.
Nur sind in einigen Branchen die Krisen länger her.
So etwas wie eine Krise ist ein wenig aus der Erinnerung gewichen. Wer aber bereits mehrere Jahrzehnte in seinem Beruf tätig ist, weiß, dass in wiederkehrenden Wellen unerwartete Schwierigkeiten auftreten. Also muss man in guten Zeiten sowohl als Staat als auch als Unternehmen immer etwas für die Sicherheit tun und etwas beiseitelegen. Es gilt der alte Satz: Spare in der Zeit, dann hast Du in der Not.
Und bei der jüngsten Entwicklung tragen Sie nicht alle Entscheidungen mit.
Ich kritisiere nicht das eigentliche Ziel, das lautet: Wir müssen sicherstellen, dass unser Gesundheitssystem und unsere Kliniken nicht überlastetet werden. Man darf sich dabei aber nicht allein auf ein Ziel konzentrieren. Was ich damit sagen will: Wir dürfen nicht nur die Gesundheit im Auge haben, sondern müssen das auch mit anderen bedeutungsvollen Zielen abgleichen, beispielsweise den sozialen Kontakten und der Förderung des Familienzusammenhalts gerade in schwierigen Zeiten, der Erwerbseinkommen und der volkswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, der Bildung und der Kultur.
Das ist nachvollziehbar.
Nun kennt man das Virus heute besser als noch Anfang dieses Jahres. Man hätte bei den neuerlichen Maßnahmen also etwas zielgerichtete Beschlüsse fassen können. Gut ist, dass Schulen und Kitas geöffnet bleiben und ebenso der Handel. Schließlich kann man nichts produzieren, wenn man hinterher nirgends eine Möglichkeit hat, dies auch zu verkaufen. Auch ist es gut, dass man eine Lösung für das ganze Land angestrebt hat. Aber einen Fehler gibt es hier in der Kommunikation: Es darf nicht heißen, dass wir die sozialen Kontakte minimieren. Richtiger wäre zu sagen, dass wir die Kontakte minimieren, die zu großer räumlicher Nähe führen. Und da muss man schauen, wo das stattfindet.
Erläutern Sie das bitte.
Durch mein Amt und eben auch beruflich bin ich ja noch viel in Hotels und Restaurants unterwegs. Da können Sie feststellen, dass dort sehr durchdachte Hygienekonzepte entwickelt wurden. Auf den Hotelzimmern finden Sie noch nicht mal mehr Briefpapier, um die Gefahr von Ansteckungen zu minimieren. Selbst in der Oper sind die Zuschauer durch die Hygienekonzepte bei reduzierten Sitzplätzen derzeit sicherer als woanders. Das man dann aber dort, wo ein extrem minimiertes Risiko besteht, einschränkt, das leuchtet vielen nicht ein. Zu räumlicher Nähe kommt es dann eher in Diskotheken oder in Bars, wo man in drei Reihen direkt und dicht hintereinander steht. Daher muss man das untersagen und derzeit mit einer vorgezogenen Sperrstunde ab 22 oder 23 Uhr leben können. Aber Restaurants rund um die Uhr zu schließen, erscheint nicht sinnvoll. Irgendwann schalten die Menschen bei allen Hiobsbotschaften ab, und man erreicht damit das Gegenteil von dem, was man eigentlich erreichen wollte, nämlich Verständnis für Regierungshandeln.
Bei Hotel und Gastronomie hat der Staat die Möglichkeit, hinein zu regieren.
Wenn der Staat dann aber auch noch vorschreibt, dass man sich nur noch mit zwei Haushalten privat treffen darf, dann wird das schwierig. Wir haben vier Kinder, und weil sich nur zwei Haushalte treffen dürfen, dürfte ich nicht am Sonntag mit allen frühstücken. Wenn ich aber mit ihnen zusammen an einem Projekt in unserer Firma arbeite, dann darf ich das wiederum. Der Staat muss mich als Großvater doch nicht vor meinen Kindern und Enkelkindern schützen. Das kann ich eigentlich selbst. Und wenn mir der Staat das nicht zutraut, dann sollte man den mündigen Bürger abschaffen. Gerade in der momentanen Situation ist doch die Familie für viele das letzte Auffangnetz.
Bei den letzten Hilfspaketen waren nicht nur in Bremen die Länder damit überfordert, die Anträge zu bearbeiten. Wer könnte da den Stellen zusätzlich helfen?
Der Staat war genauso wenig auf diese Situation vorbereitet wie die Bürger und die Unternehmen. Da ist zu schauen, aus welchen Behörden man zusätzlich Mitarbeiter abziehen kann. Und ich finde es legitim, wenn dann sogar, wie hier in Bremen, Mitarbeiter der Handelskammer helfend tätig sind. Der Schritt, dass die Anträge über Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte an die Behörde gehen, ist mit der verständlichen Hoffnung verbunden, dass die Anträge dann eine zuverlässigere Systematik haben. Für kleinere Betriebe ist es vielleicht auch nicht alltäglich, Anträge dieser Art zu stellen.
Wo und wann werden diese Lockdowns irreparable Schäden in der deutschen Wirtschaft hinterlassen?
Das wird davon abhängen, wie der Staat in Zukunft vorgehen wird. Wenn der Staat nun jeden zweiten Monat einen neuen Teil-Lockdown verhängen sollte, führt das ja in der Wirtschaft und in der Bevölkerung zu einer großen Unsicherheit. Dann würden sich viele Unternehmen auch über die direkt betroffenen hinaus mit Personaleinstellungen und Investitionen zurückhalten. Daher sollte dem Staat klar sein: Er muss nach vorn gerichtete, kalkulierbare Maßnahmen beschließen. Der aktuelle Teil-Lockdown war nicht kalkulierbar – erst recht nicht für Gastronomen und Hoteliers. Stattdessen also: Schließung von Örtlichkeiten, die nahe, enge Kontakte befördern; zur Vermeidung alkoholisierter ausgelassener Geselligkeit Sperrstunden vorziehen; zur Entlastung der Gesundheitsämter bessere Nachvollziehbarkeit der Infektionswege durch die Corona-App ermöglichen; Corona-Schnelltests flächendeckend über Apotheken fördern, um die Laborkapazitäten zu schonen.
Was raten Sie Betrieben, die auf einen Azubi verzichten wollen in dieser Situation?
Ich rate jedem Unternehmer, der die Überzeugung hat, dass er 2025 noch am Markt sein wird, genau das Gegenteil zu tun. Wir haben bei uns im Unternehmen die gleiche Anzahl an Azubis geplant wie 2019. Ein Ausbildungsplatz blieb sogar unbesetzt, weil wir niemanden finden konnten. Wenn ein Unternehmer, vielleicht sogar ein Gastronom, sorgenvoll in die Zukunft blickt, kann ich verstehen, wenn er zögert. Ich glaube aber, dass die meisten so viel Optimismus haben, dass sie 2025 auch noch am Markt sein werden. Denen rate ich, so auszubilden wie bisher auch. Denn ansonsten werden sie in fünf Jahren angesichts des demographischen Wandels das Problem haben, überhaupt Mitarbeiter zu finden. Wir sind in Deutschland auf dem Arbeitsmarkt bisher besser durchs Jahr gekommen, als es die Prognosen vom März und April noch prophezeit haben.
Das stimmt.
Ich nehme da gern das Beispiel mit dem Stau auf der Autobahn: Wenn es möglich ist, den zu umfahren, dann macht man das auch. Genauso agiert man als Unternehmer. Da schaut man doch auch, wie man die plötzlich entstandene Situation umfahren kann und reagiert entsprechend – auch wenn die Fahrzeit dadurch trotzdem etwas länger werden könnte. Allmählich entspannt sich dabei die Situation, weil wir gelernt haben, damit umzugehen und neue Wege finden. So sollte aber auch das Zusammenspiel von Politik und Virologen laufen. Allerdings ist das noch nicht ganz der Fall. Immer wiederkehrende Worst-Case Szenarien und Drohungen der Virologen stumpfen ab und führen nicht zu Verständnis und neuen Lösungen.
In Bremen steht eine Ausbildungsabgabe im Raum. Was halten Sie davon?
Das ist grober Unfug. Damit bekommen sie einen Unternehmer, der keine Arbeit für übermorgen in seinem Betrieb hat, nicht dazu, einen Azubi mehr einzustellen. Ebenso helfen Sie damit keiner Firma, die einen Azubi sucht und keinen findet. Im Kern funktioniert das von den Kammern organisierte System der Selbstverwaltung ja gut. Und ich bilde doch eigentlich für meinen eigenen Betrieb aus. Dabei werde ich nicht eifersüchtig, wenn ein anderer Betrieb eben nicht ausbildet. Der Staat soll sich da raushalten. Hier neigt er dazu, die Menschen vor sich selbst zu schützen. Bundesweit haben wir mehr Ausbildungsplätze im Angebot als Bewerber.
Inwiefern fürchten Sie, dass sich durch die Pandemie weitere Unternehmen aus der Tarifbindung verabschieden werden?
Wenn die Gewerkschaften bereit sind mitzugehen, dass nicht jedes Unternehmen mit seinen spezifischen Situationen unters Dach eines großen Flächentarifvertrags passt, und sie da auf die vorliegenden Bedürfnisse eingehen, dann kann über einen längeren Zeitraum das Tarifvertragssystem wieder an Gewicht gewinnen. Möglichkeiten könnten da ein Haustarif sein oder ein Tarifergänzungsvertrag. In den letzten zehn bis 20 Jahren hat die Tarifbindung aber abgenommen.
Sie sprechen es selbst an.
In der Metall- und Elektroindustrie gab es 2004 das sogenannte „Pforzheimer Abkommen“. Ich war damals selbst bei den Gesprächen dabei. Es besagt, dass man unter Mitwirkung der Gewerkschaft vom Tarifvertrag abweichen kann, damit eine Firma nicht aus dem Tarifvertrag austreten muss, wenn neue erforderliche Umstände eintreten. Von der Gewerkschaft wurde das später dahingehend geändert, dass das nur für Unternehmen in existenzieller Not gelte. In Fällen, bei denen der Insolvenzverwalter vor der Tür steht, geht mit Gewerkschaften vieles. Da ist es aber meist schon zu spät. Auf der anderen Seite passt heutzutage nicht jeder metallverarbeitende Betrieb mehr in den gleichen Tarifvertrag, wie ihn ein Weltkonzern abschließt. Gewerkschaften fürchten einen Machtverlust, wenn es keinen einheitlichen Flächentarifvertrag mehr gibt. Diese Sorge kann ich sogar noch nachvollziehen, sie wird aber noch größer, wenn man sich einer Entwicklung verständnislos entgegenstellt. Sicher ist, dass sich die Politik da herauszuhalten hat. Das soll sie denen überlassen, die tagtäglich durch ihre betriebsnahe Arbeit damit zu tun haben.
Was ist denn Ihr Eindruck, inwiefern Arbeitgeber und Gewerkschaften durch diese Corona-Krise enger zusammengerückt sind?
Auf Bundesebene ist das klar der Fall. Oft waren wir als Arbeitgeber mit den Gewerkschaften bei Gesprächen mit den Ministerien in der gleichen Videokonferenz. Ich habe mit dem DGB-Vorsitzenden Rainer Hoffmann fast wöchentlich Kontakt. Das ändert aber nichts daran, dass bei Tarifverhandlungen die Auseinandersetzungen erstmal wieder losgehen. Das ist den unterschiedlichen Interessen geschuldet. Aber in Deutschland haben wir uns einen Weg angewöhnt, wie wir mit unterschiedlichen Interessen umgehen. Und da finden wir auf dem Verhandlungsweg immer zu einer Lösung, was nicht bedeutet, dass das auch konfliktfrei abläuft. Zusätzliche Belastungen sind in schweren Zeiten aber nicht zu verkraften.
Nun stellen Sie Ihr Amt ein Jahr vor Ende der Amtsperiode zur Verfügung. Wann stand bei Ihnen der Entschluss fest?
Der Entschluss meinem Nachfolger eine ausreichende Einarbeitungszeit vor einem Regierungswechsel zu ermöglichen stand eigentlich bereits vor eineinhalb Jahren fest. Vor einem Jahr habe ich mich trotzdem wählen lassen, weil da plötzlich im Raum stand, dass die SPD die Koalition kurz danach im Winter möglicherweise aus eigener Entscheidung verlassen wollte. Dazu ist es nicht gekommen. Nun ist es mir weiter wichtig, dass mein Amtsnachfolger bereits lang genug im Amt sein wird, wenn im kommenden Jahr die Bundesregierung neu gewählt wird. Deshalb stelle ich das Amt nun vorzeitig zur Verfügung.
Wieviel Zeit verlangt einem eigentlich ein solches Amt ab?
Eines ist klar: In den 1990er Jahren hätte ich als kleinerer Mittelständler das Amt so nicht durchführen können, weil es damals noch nicht die heutige Technik gab, die das möglich macht. In Berlin bin ich im Schnitt zwei Tage die Woche vorrangig für persönliche Gespräche. Ansonsten können Sie heute vieles dank Internet und Smartphone erledigen. Selbst wenn ich unterwegs bin, kann ich also heutzutage arbeiten.
Und in Bremerhaven?
In Bremerhaven bin ich dann die restlichen drei Tage der Woche. Am Ende können aber Homeoffice und Videokonferenzen die persönlichen Gespräche nicht ersetzen. In einem Unternehmen funktioniert das im Notlauf dieser Pandemie ganz gut. Aber vieles, was mit Brainstorming zu tun hat, oder gemeinsam an einer Lösung zu suchen, geht dabei verloren. Teamarbeit im Unternehmen setzt Meinungsaustausch voraus – dazu gehört auch, sich zufällig im Flur mit einem Kaffee zu treffen, und spontan über eine Lösung für eine Arbeitsaufgabe zu reden. Sowas klappt nicht per Internet, weshalb Homeoffice meistens kein Dauerzustand sein kann. Wenn ich höre, dass alle Arbeitnehmer für 24 Tage das Recht auf Homeoffice erhalten sollen, kann ich da dem Bundesarbeitsminister nur sagen: Herr Heil, das ist Kappes.
An welche Erlebnisse während Ihrer Amtszeit erinnern Sie sich gern zurück?
Sehr positiv habe ich diesen engen Meinungsaustausch und die Abstimmungen wahrgenommen, den wir von März bis Juni während der ersten Pandemie-Welle mit dem Bundeskanzleramt, Ministerien, Gewerkschaften und Kirchen hatten. Das war ja in einer Zeit, in der keiner sicher war, die richtigen Lösungen zu finden. In der Zeit waren alle Streitigkeiten, die man sonst hat, beiseitegeschoben. Dann erinnere ich mich auch an die Zeit, in der wir zusammen mit dem DGB das Tarifeinheitsgesetz angeschoben haben, damit Unternehmen nicht zwischen konkurrierenden Gewerkschaften verrieben werden. Das ging bis vor das Bundesverfassungsgericht, und der DGB-Vorsitzende und ich sollten dort als Sachverständiger erläutern, wie denn Tarifverhandlungen ablaufen. Das Gesetz hatte danach weiter bestand. Ich habe ja früher in Karlsruhe studiert und hatte aus einem Hörsaal heraus den Blick auf das Verfassungsgericht. Damals hätte ich nicht im Traum gedacht, dass ich dorthin mal als Sachverständiger geladen werde.
Und auf Reisen?
Da erinnere ich mich gern an meine Reisen nach Brüssel und Paris. Auf Podiumsdiskussionen habe ich dort mit dem DGB-Vorsitzenden erklärt, warum denn in Deutschland Tarifverhandlungen mit weniger Gewalt auf der Straße ablaufen, als das in anderen Ländern der Fall ist. Wir erläuterten gemeinsam das Prinzip der Sozialen Marktwirtschaft, das nur mit einer funktionierenden Sozialpartnerschaft lebt.
Wie oft sind Sie in Ihrem Amt an Situationen gestoßen, bei denen das Gegenüber für Argumente nicht empfänglich war?
Einige Male war das so – da habe ich dann wie beim Billardspielen geschaut, wie man das umsteuert. Man muss also über Bande spielen können, um sein Gegenüber in Gespräche dennoch einbeziehen zu können.
An welcher Stelle hätten Sie vielleicht mehr Vehemenz an den Tag legen können?
Aus Journalistensicht ist das ja am liebsten bei jedem Thema so. Ich wüsste schon, was ich sagen müsste, um in die Schlagzeilen zu kommen. Dann hätte ich aber schon alles Pulver verschossen, um auf dem Verhandlungsweg etwas noch in die für uns richtige Richtung zu bewegen. Daher habe ich also oft auf die Schlagzeile verzichtet. Sicher hätte es auch manches unserer Mitglieder gut gefunden, wenn ich manchmal etwas drastischer aufgetreten wäre. Das gibt dann am nächsten Tag beim Lesen der Zeitung vielleicht ein gutes Gefühl in der Magengrube, man konnte also mal auf den Tisch hauen. Aber das einzige, was sich dann bewegt hat, ist die Tischplatte. Da ticke ich also etwas anders.
Was nehmen Sie aus diesen sieben Jahren BDA-Präsident für sich persönlich mit nach Bremerhaven?
Ich nehme mit, dass man mit anderen Menschen immer im Team arbeiten sollte. Und man sollte es nach Möglichkeit auch hinbekommen, mit der anderen Seite, die unterschiedliche Interessen hat, möglichst im Team zu arbeiten. Dazu sollte man als erstes nach den Gemeinsamkeiten suchen und nicht gleich nach den Konflikten – selbst beim ärgsten Widersacher. Die Parallele können Sie bei den Seenotrettern sehen: Dort können Sie nur im Team jemanden aus dem Wasser retten.
Eigentlich widerspricht es ja eher dem hanseatischen Kaufmann, auf Lautsprecher zu machen, wie es allerdings das Amt eines BDA-Präsidenten manchmal erfordert. Wie sehen Sie das?
Klar ist, es müssen alle wissen, wo man steht. Das geht aber ohne persönliche Angriffe, ohne Poltern und ohne, dass ich dem anderen in der Öffentlichkeit die fachliche Kompetenz abspreche. Und bei allen Unterschieden sollten Sie die Gesprächsfäden nicht abreißen lassen.
Was hat sich über die Jahre in Berlin zum Exportschlager aus Bremerhaven entwickelt?
Erklärungen, warum ich das eine für richtig halte und das andere für falsch, habe ich gern mit meinen praktischen Beispielen aus dem täglichen Leben hinterm Deich illustriert. Das hat in manchen Situationen zum Schmunzeln geführt, aber auf der anderen Seite auch für mehr Verständnis gesorgt.
Auch wenn Sie 67 Jahre alt sind, wird das für Sie ja nun nicht die Rente mit 67 bedeuten.
Ich habe weiter einen gut gefüllten Kalender, passe aber auf, dass es nicht zu viel wird. Und meine Frau wird da auch ein Auge drauf haben. Grundsätzlich darf man sich da nicht überschätzen, weil man trotz aller Erfahrung eben doch nicht mehr so leistungsfähig ist wie im Alter von 40 oder 50 Jahren.
Sollte Joe Biden US-Präsident werden, könnte Ihr Nachfolger wieder ein Freihandelsabkommen mit den USA forcieren. Oder ist der Zug da abgefahren?
Natürlich ist es richtig, solch ein Freihandelsabkommen wieder anzugehen. Ich bedaure, dass wir das TTIP-Abkommen damals nicht hinbekommen haben. Nach der Wahl von Trump vor vier Jahren gab es nach meinem Empfinden viele Leute, die froh gewesen wären, wenn wir das TTIP-Abkommen vorher hinbekommen hätten. Darunter gab es so einige, die dem TTIP-Abkommen zuvor noch kritisch gegenüber standen. Jeder Vertrag ist immer ein Kompromiss. In Deutschland haben wir manchmal so eine Grundhaltung, dass Kompromisse ein Mangel an Durchsetzungsfähigkeit sind. Aber der Untergang mit wehender Flagge ist nie eine sinnvolle Lösung.
Das Gespräch führte F. Schwiegershausen.
Ingo Kramer wurde 1953 in Bremerhaven geboren. Seit 2013 ist er Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Mehr als 35 Jahre lang war er Geschäftsführer des Familienunternehmens J. Heinr. Kramer. Der studierte Wirtschaftsingenieur ist verheiratet und hat vier Kinder.