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Arbeitsmarkt in Bremen Arbeitsvermittler aus Leidenschaft

Arbeitsvermittler Thorsten Strauß hilft Arbeitssuchenden mit Leidenschaft und Einsatzbereitschaft zurück in den Beruf zu finden. Bei vielen kommen zur Arbeitslosigkeit auch häufig psychische Probleme hinzu.
01.02.2017, 00:00 Uhr
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Arbeitsvermittler aus Leidenschaft
Von Stefan Lakeband

Arbeitsvermittler Thorsten Strauß hilft Arbeitssuchenden mit Leidenschaft und Einsatzbereitschaft zurück in den Beruf zu finden. Bei vielen kommen zur Arbeitslosigkeit auch häufig psychische Probleme hinzu.

Der erste Erfolg des Tages betritt um 9.35 Uhr das Büro. Sebastian Keller* kommt in den Raum und hat seine Baseballmütze in der Hand. In der Hand und nicht auf dem Kopf. Das war nicht immer so. Thorsten Strauß ist zufrieden. Seine Worte wurden gehört.

Keller und Strauß haben eine harmonische Beziehung. Sie machen kleine Witze, und Strauß, der ältere von beiden, hört sich Kellers Probleme an, gibt ihm Ratschläge. Freunde sind sie aber nicht. Strauß ist Arbeitsvermittler beim Jobcenter, Keller sein Kunde.

77.000 Kunden in Bremen

So heißen hier die Menschen, die länger als ein Jahr arbeitslos sind, von 409 Euro Hartz IV monatlich leben und sich in einer Gesellschaft zurechtfinden müssen, in der Arbeit ein Statussymbol und das monatliche Gehalt mit sozialer Teilhabe gleichzusetzen sind. Keller ist einer von etwa 77.000 Kunden in Bremen. Das soll sich ändern, sagt Keller. Auch Strauß will das. Trotzdem ist das nicht einfach.

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Kellers Leben nach der Schule ist geprägt von Arbeitslosigkeit und Aushilfsarbeiten, Nichtstun und Nebenjobs. Eigentlich wollte er eine Ausbildung zum Koch machen. „Das hat aber nicht geklappt“, sagt er. Stattdessen arbeitet er mal hier, mal da. „Ich musste mich über Wasser halten“, sagt der 33-Jährige, der mittlerweile auch Vater ist.

Besonders häufig arbeitet er im Lager. Das mache ihm Spaß, das habe Zukunft. Über das Jobcenter hat Keller sogar eine Ausbildung zum Fachlageristen gemacht, „um endlich etwas auf Papier zu haben“. Doch das macht es nur etwas leichter.

Initiativbewerbungen für Firmen

Keller steht sich selbst im Weg – das glaubt Strauß. Und das glaubt auch Keller selbst. Ein Beispiel: Keller soll Initiativbewerbungen für Firmen schreiben, bei denen er gerne arbeiten würde. Anstatt sie per Post zu verschicken, soll er sie direkt bei den Unternehmen abgeben.

Keller hat das versucht. Er ist mit dem Bus ins Gewerbegebiet gefahren, hatte den Rucksack voll mit Bewerbungen und konnte doch keine persönlich abgeben. Es war Sonntag, die Firmen hatten natürlich geschlossen. „Ich setze mich selbst unter Druck“, sagt Keller. Und dann passiere eben so etwas.

Dabei hatte er einen genauen Plan, wie es ablaufen sollte. Hat in seinem Kopf tausend Mal geübt: gerade hinstellen, Brust raus. „Ich hab die Umschulung nicht umsonst gemacht“, sagt er. „Ich gebe nicht auf.“ Bislang hat er jedoch noch keine einzige Rückmeldung auf seine Bewerbungen bekommen.

„Arbeitsvermittler im Einsatz“

Auch wenn es nicht immer Erfolge gibt, macht Strauß der Job Spaß. In seinem Schrank im Büro hängt ein T-Shirt: „Arbeitsvermittler im Einsatz“ steht darauf. „Es ist schön, zu sehen, wie sich Menschen entwickeln“, sagt der 36-Jährige. Dass er einmal als Arbeitsvermittler im Bremer Jobcenter landet, war nicht geplant. Der Sozialpädagoge ist Quereinsteiger. Er hat studiert, geheiratet und ist dann umgezogen. So kam er nach Bremen. Die Leidenschaft und Einsatzbereitschaft für seinen Beruf hat Strauß mitgebracht.

Wie ein Einsatz, so fühlt es sich auch manchmal an. Denn viele der Menschen, die zu Strauß kommen, sind in einer misslichen Lage. Zur Arbeitslosigkeit kommen häufig psychische Probleme hinzu. Deswegen muss Strauß entscheiden, wie es mit dem Kunden weitergeht. Steht er dem Arbeitsmarkt zur Verfügung? Oder muss er erst einmal seine eigenen Probleme regeln?

„Manchmal muss man Leuten klarmachen, dass sie sich öfter duschen sollten.“ Häufiger geht es darum, Wunsch und Wirklichkeit abzugleichen. „Nicht immer sind Plan A oder B möglich. Deswegen muss es auch einen Plan C, D, E oder F geben.“

Rausgehen, sich direkt präsentieren

Gibt es den, setzt der Arbeitsvermittler auf eine Methode: Rausgehen, sich direkt präsentieren. Allein auf dem Papier haben viele seiner Kunden schlicht keine Chance. Schlechte Schulabschlüsse, unterbrochene Biografien, keine Ausbildung. Wer als Chef so eine Bewerbung bekommt, schmeißt sie gleich weg.

Wenn die Arbeitslosen aber direkt vor einem stehen, so hofft Strauß, können sie mit ihrer Art überzeugen, zeigen, dass sie motiviert sind. Etwas, das man auf dem Papier nicht sieht. Es geht ums Auffallen, Aus-der-Masse-Herausstechen. So wie eine Kundin, an die sich Strauß gern erinnert. Sie war Köchin und hat ihre Bewerbungen in günstige Bratpfannen geklebt und direkt in Restaurants und Großküchen abgegeben. „Die war wieder richtig schnell in Arbeit.“

Auch Elena Ingerfurth scheitert an ihrem Lebenslauf. Die 35-Jährige hat über das Jobcenter eine Umschulung zur Verkäuferin gemacht und ist häufig verzweifelt. „Bei allen Online-Verfahren habe ich keine Antwort bekommen“, erzählt sie Strauß. Als sie persönlich in die Geschäfte großer Ketten gegangen ist, war die Resonanz besser.

Erste Erfolge

Zumindest ein bisschen. „Ich konnte meine Bewerbungsunterlagen dalassen.“ Die Angestellten in den Filialen wollten sie weiterleiten. Strauß ist glücklich. „Toll, dass Sie losgegangen sind. Aber wissen Sie auch, wen Sie anrufen können, um nachzuhaken?“ Ingerfurth hat vergessen, nachzufragen. Beim nächsten Mal will sie dran denken. „Ich verfolge mein Ziel ja straight.“

Ingerfurth hat anderen Hartz-IV-Empfängern einiges voraus: Sie weiß, was ihr Ziel ist. Viele scheitern daran. Das musste auch Angelika Ziegler feststellen. 16 Jahre lang war sie in derselben Firma, Sachbearbeiterin für den Export. Irgendwann war sie sogar Dienstälteste ihrer Abteilung, glücklich war sie aber nicht mehr.

Vor zehn Jahren hat sie sich dazu entschieden, etwas anderes zu machen, und kämpft seitdem damit, die richtige Stelle zu finden. Immer wieder ist sie arbeitslos. „Da war viel Versuch und Irrtum“, sagt die heute 49-Jährige.

Wegweiser für die Kunden

Aus ihrer Plastikmappe, die sie mit in Strauß‘ Büro gebracht hat, holt sie ein ausgedrucktes Stellenangebot. Waren verpacken im Lager. „Habe ich eine Chance, da ,Nein‘ zu sagen?“, fragt Ziegler. „Das sieht aus wie ein Job. Ich brauche aber einen Beruf.“ Strauß nickt. „Sie sind in einem Umschulungsprozess. Da können Sie das ablehnen.“

Strauß sieht sich als Wegweiser für seine Kunden. Und dazu gehört es auch manchmal, unbequeme Wege einzuschlagen. Leistungen nicht zu gewähren, Fortbildungen nicht zu genehmigen. „Wir müssen uns ans Recht halten“, sagt er. „Für die Kunden ist es etwas Persönliches.“ Mit Ziegler gibt es aber keine Probleme.

Sie möchte in der Immobilienwirtschaft arbeiten. Das hat sie in der Werkakademie festgestellt, ein Programm, bei dem sich Arbeitslose selbst helfen sollen. Drei bis vier Mal pro Woche kommen sie hier für mehrere Stunden zusammen. Es geht vor allem darum, was die Leute können, und nicht darum, was sie nicht können.

Was sind meine Stärken? Was will ich? Dann gehen sie auf Jobsuche: in Zeitungen, im Internet, im Jobportal der Arbeitsagentur. Alles selbstständig und alleine. Falls jemand nicht weiterweiß, gibt es einen Ansprechpartner.

„Ich kann aber nicht drei Unternehmen hintereinander anrufen. Das geht über meine Kräfte“, sagt Ziegler. Nach vielen Jahren Arbeitslosigkeit fehlt ihr der Mut. Strauß will das ändern. „Lassen Sie sich nicht von den Anforderungen in der Stellenausschreibung abschrecken“, sagt er ihr. Kaum ein Bewerber könne alle Voraussetzungen erfüllen.

Über die Jahre hat Strauß gelernt, dass man manchmal ganz vorne anfangen muss. Jeder Mensch hat sein eigenes Tempo, sagt er. „Manchmal bewegen sie sich mit kleinen Schritten. Aber immerhin sind es Schritte.“

*alle Namen geändert

Das Jobcenter Bremen
Das Jobcenter Bremen ist eine Einrichtung der Stadt Bremen und der Agentur für Arbeit Bremen-Bremerhaven. Die sechs Geschäftsstellen sind zuständig für den Stadtbereich und Bremen-Nord. Hinzu kommt die Zentrale Anlaufstelle für Flüchtlinge, die seit November besteht.
Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Mitarbeiter um 45 auf 955 gestiegen. Für 2017 stehen der Einrichtung mehr als 54 Millionen Euro für sogenannten Eingliederungsleistungen zur Verfügung, dazu zählen etwa Weiterbildungen und Umschulungen.
Im vergangenen Jahr hatte es Kritik am Jobcenter gegeben, weil es mehrere Millionen Euro nicht ausgegeben hat. Die Institution begründet das mit dem zusätzlichen Geld, das kurzfristig für die Integration von Geflüchteten bereitgestellt worden sei. Das habe man in der kurzen Zeit nicht verplanen können.
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