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Steigende Preise Wie Menschen mit wenig Geld die Inflation erleben

Die Inflationsrate erreicht Höchstwerte. Was heißt es aber für Menschen mit einem geringen Einkommen, wenn die Preise so wie derzeit in die Höhe schnellen? "Ich habe eine dicke Decke", erzählt ein Betroffener.
28.10.2021, 22:00 Uhr
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Wie Menschen mit wenig Geld die Inflation erleben
Von Lisa Schröder

Die Preise steigen. Heiko Ogorek sieht es bei den Nudeln. 39 Cent habe die günstigste Marke sonst gekostet. Jetzt seien es 65 Cent. Dieser Anstieg bei den Lebensmitteln ist für ihn schlimm. „Wenn es nur die Nudeln wären“, sagt Ogorek. Wer ein normales Einkommen habe, der spüre das vielleicht gar nicht so. Ogorek aber liest Werbeprospekte, um von Angeboten zu erfahren. „Da kann man viel sparen.“

Der Bremer lebt von der Grundsicherung im Alter. Schon seit Jahren kommt er zur Tafel nach Hemelingen – so auch an diesem sonnigen Herbsttag. Der 52-Jährige freut sich, dass es das Hilfsangebot gibt. Die Centbeträge Aufschlag summierten sich. Wie Ogorek trifft es viele Menschen mit kleinem Einkommen besonders, wenn die Inflationsrate derzeit Höchstwerte erreicht, wenn sich plötzlich alles verteuert.

Ogorek hat kein Auto. Die Spritkosten belasten ihn darum nicht. Und auch ein Handy fehlt ihm. Das habe man ihm geklaut, obwohl es alt gewesen sei. Seine Situation sei nicht leicht. Im Gegensatz zu Beziehern von Hartz IV dürfe er nichts dazu verdienen. Er macht sich Gedanken, welchen Einfluss die FDP in der neuen Regierung haben wird. Nach seiner Einschätzung habe die Partei arme Menschen nicht im Blick. Sieht er sich selbst als arm an? „Ja, klar“, sagt Ogorek und wartet weiter auf den Einlass.

Andreas Schröder leitet den Standort der Tafel in Hemelingen. „Das Gesicht der Tafel verändert sich“, sagt er. Es gebe erheblich mehr Altersarmut. Die Tafel reagierte darauf mit Angeboten für Senioren in Kattenturm, der Vahr und bald Huchting. Schröder kennt ein paar Geschichten, die aus seiner Sicht in Deutschland nicht passieren dürften. Eine ältere Dame habe sich etwa zeitweise von Nudeln und Brot ernährt, um das Geld fürs Heizen und die Miete zu sparen. Manchmal sei die Scham zu groß, sich bei der Tafel mit Lebensmitteln einzudecken.

Draußen vor der Tür. Eine Frau erkundigt sich, welche Nummer gerade dran ist. Im Moment dürfen zehn Besucher gleichzeitig zur Ausgabe. Warum sie hier ist? „Weil ich so wenig Rente habe“, sagt die Frau mit der noch leeren Tasche in der Hand. Seit eineinhalb Jahren besucht sie die Tafel und ist über die Hilfe „heilfroh“. Gerade jetzt angesichts der hohen Preise. „Das betrifft uns alle hier“, die Frau schaut auf die wartenden Menschen. „Das fängt ja schon beim Brot an.“

Die Frau möchte ihren Namen und ihr genaues Alter nicht nennen. Über 70 sei sie. Nur bestimmten Menschen dürfe man nämlich erzählen, dass man zur Tafel gehe und „so ein armes Schwein ist“. Durch die Lebensmittel, die sie hier bekomme, Brot, Gemüse, Obst und Fertiggerichte, könne sie sich eine Woche über Wasser halten. Der Vorsitzende der Tafel Uwe Schneider beobachtet neben der wachsenden Altersarmut noch eine Veränderung: „Es kommen zunehmend auch Personen zu uns, die aufgrund der Pandemie von Kurzarbeit oder sonstigen beruflichen Einschränkungen plötzlich auf Unterstützung angewiesen sind.“

Die Vorständin der Verbraucherzentrale Bremen Annabel Oelmann weist auf die doppelte Belastung der Menschen hin: In der Pandemie sei bei vielen wegen Kurzarbeit oder Jobverlust das Einkommen gesunken. Die Ausgaben aber stiegen durch die höheren Preise. In diesem Jahr gebe es bereits jetzt mehr Androhungen von Stromsperren. Die Mitarbeiter der Verbraucherzentrale erlebten viele Menschen in Notlagen – und das nicht selten. „Jeden Tag“, sagt Oelmann.

Einige könnten zum Beispiel die Raten für den Immobilienkredit nicht mehr weiter stemmen. Andere erwägten, ihre alte Lebensversicherung abzutreten. Das sei aber nur kurzfristig eine Lösung. Die Chefin der Verbraucherzentrale appelliert an Betroffene, sich in der Not Hilfe zu suchen, obwohl das schwer sei: „Das ist die stärkste Leistung der Menschen.“

Vasil Pavliashvili arbeitet für die Innere Mission im Projekt „Stark für Familien“ in Huchting. Die gestiegenen Preise sind auch hier ein Thema. Unterstützt werden armutsgefährdete Familien bei Behördengängen, der Anmeldung für die Kita oder Schreiben ans Jobcenter, die SWB oder Gewoba. „Wir stehen auf der Seite dieser Menschen mit Rat und Tat“, sagt Pavliashvili.

Gerade in jüngster Zeit hat der Mitarbeiter von Fällen gehört, in denen das Jobcenter Sanktionen aussprach, weil die Mitwirkung der Empfänger fehlte. „Die Gelder sind sowieso nicht die Welt, wenn sie in dieser Zeit gekürzt werden, geraten die Familien in Panik.“ Momentan sei hier und da zu spüren, dass offenbar das Geld wegen der Preiserhöhungen knapp werde. Die meisten Familien hätten einen Migrationshintergrund. Die Eltern seien oft langzeitarbeitslos. Pavliashvili und seine Kolleginnen und Kollegen sorgen dafür, dass die Familien Zugang zu Lebensmittel- oder Kleiderspenden der Inneren Mission oder anderer Träger erhalten. „Wir schauen, welche Familien besonders bedürftig sind. Wir versuchen, allen zu helfen.“

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Das Bremer Jobcenter verfolgt die Situation ebenfalls. „Unsere Mitarbeitenden sind wirklich die Ersten, die zu spüren bekommen, wenn die Not größer wird“, sagt die stellvertretende Geschäftsführerin Anja Fricke. Insbesondere den Kostensteigerungen beim Heizen sehe man mit Sorge entgegen. Man schaue mit großer Erwartung auf die Koalitionsverhandlungen, ob es etwa höhere Heizkostenzuschüsse geben werde. „Wir würden das begrüßen.“

Sorgen treiben auch Heiko Ogorek um. Wegen Corona hat er sich schon mal mit Lebensmitteln bevorratet – wie es viele taten. Das versucht er jetzt wieder, weil er Angst hat, dass die Preise weiter steigen. Er fürchtet auch, dass eine Nachzahlung droht, wenn die Nebenkosten abgerechnet werden. Beim Heizen spart Ogorek sowieso schon. Nur wenn es richtig kalt sei, werde die Heizung angemacht. „Ich habe eine dicke Decke.“

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