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Berufswechsel im mittleren Alter Noch einmal neu anfangen

Mit 50 gehört man nicht zum alten Eisen. Viele Menschen, die lange in ihrem Beruf arbeiten, möchten aber etwas Neues anfangen. Eva Kukulenz zum Beispiel nutzte einen Einschnitt für den Neustart.
12.05.2021, 12:04 Uhr
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Noch einmal neu anfangen
Von Stefan Lakeband

Eva Kukulenz hat ihre berufliche Heimat verlassen. Fast 20 Jahre war sie dort, hat sich etwas aufgebaut, hat gelacht, war mal genervt, aber doch lange Zeit zufrieden. Bis vor einem Jahr das Aus kam – und alles anders wurde, alles neu.

„Berufliche Heimat“ – so hat Eva Kukulenz ihre Arbeit tatsächlich lange Zeit gesehen. Bis zur Rente, glaubte sie mal, könne sie bei Galeria Kaufhof arbeiten. Mehrere Jahrzehnte im selben Beruf im selben Unternehmen, eine Seltenheit heutzutage. Und auch für Eva Kukulenz wurde diese Vorstellung nicht wahr. Dabei sah lange alles danach aus.

Karriere im Kaufhaus

Die heute 51-Jährige studierte Management im Handel an der Hochschule Bremen. Während dieser Zeit jobbte sie als Aushilfe bei Galeria Kaufhof. Irgendwann, das Studium war noch nicht vorbei, bot man ihr einen Vertrag an. Kukulenz könne sich weiterbilden lassen, den nächsten Karriereschritt gehen. Sie nahm an – und arbeitete sich hoch. Sie hat in Warenhäusern in Hagen und Hannover gelernt, war in Oldenburg und zuletzt in der Bremer Niederlassung Abteilungsleiterin. Sportartikel, Herrenkonfektion, Spielwaren, Damenoberbekleidung – für die letzten eineinhalb Jahre war das Kukulenz’ Reich. Sie hatte den Warenbestand im Blick, hat Zahlen analysiert, die Mitarbeiter angeleitet und selbst Kunden bedient. Bis Corona den ohnehin schon angeschlagenen Warenhauskonzern ins Schwanken brachte und er bundesweit Dutzende Filialen schloss. Das Haus in der Bremer Innenstadt war eine davon

Und nun? Vor dieser Frage stand nicht nur Eva Kukulenz, sondern standen auch viele andere, teils langjährige Mitarbeiter. Mehr als 3000 Stellen hat der Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof bundesweit abgebaut.

Nach dem Aus für Kaufhof wusste sie, das etwas passieren musste. Sie hatte plötzlich Zeit, aber auch den Druck. Kukulenz hörte in sich hinein, stellte sich selbst Fragen: Was will ich? Was kann ich? Wo liegen meine Stärken? Dann stand für sie fest: Im Einzelhandel will sie nicht mehr arbeiten. Nach fast 20 Jahre nahm sie Abschied von der Branche.

So wie die frühere Abteilungsleiterin fühlen viele Deutsche. 2014 gaben in einer Umfrage 15 Prozent an, sie würden gerne etwas Neues machen, anstatt weiter in ihrem erlernten Beruf zu arbeiten. Auch Björn Kleinhammer kennt diesen Wunsch. Mit seiner Firma B-Research berät der Bremer Menschen, die sich beruflich umorientieren wollen. Seine Kunden kommen häufig aus dem gleichen Grund zu ihm: „Sie sind unzufrieden und werden nicht glücklich mit ihrer Arbeit“, sagt Kleinhammer. „Bei manchen reicht es schon, den Arbeitgeber zu wechseln“, sagt der Coach. Allen anderen hilft bei der Suche nach einer neuen Karriere.

Stärken aufgeschrieben

Eva Kukulenz suchte zunächst im Internet nach neuen Stellen. Sie griff zu Stift und Zettel und machte eine Liste: Stärken, Schwächen, Interessen. „Dabei kamen einige Eigenschaften heraus, die ich schon in Stellenanzeigen für andere Jobs gesehen hatte“, sagt sie. 

In der Zwischenzeit hatte Kukulenz Termine bei der Arbeitsagentur, auch bei der Berufsberatung für Menschen, die mitten im Erwerbsleben stehen. Eine konkrete Stelle bekam sie dadurch nicht, dafür aber neue Hoffnung. Der Berater habe ihr von ähnlichen Fällen erzählt, in denen der berufliche Neustart gelungen sei. „Das hat mich ermutigt, weiter nach fachfremden Jobs zu schauen“, sagt sie. Wie viele Anschreiben und Lebensläufe sie verschickt hat? Das könne sie nicht mehr genau sagen. Was zählt, ist eh etwas anderes: Kukulenz hat eine Stelle in einem neuen Beruf gefunden. Seit April ist sie Sachbearbeiterin für Aus- und Weiterbildung bei der Bremer Handelskammer. 

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Sich von der alten Stellen freimachen und eine neue zu finden, ist nur ein Teil eines beruflichen Neuanfangs. Das stellt auch Eva Kukulenz fest. „Ich fühle mich wie ein Azubi“, sagt sie nach den ersten Tagen im neuen Beruf. Es gibt vieles, das sie noch lerne müsse. Aber, und sei sei ein großer Unterschied: „Ich kenne meine Stärken und weiß schon, dass ich etwas kann.“ 

Hoffnung hat ihr eine Begegnung gemacht, die einige Jahrzehnte zurückliegt. Bevor sie studierte, machte Kukulenz eine Ausbildung zur Glasgraveurin. An der Berufsschule traf sie auf einen Mitschüler, der anders war als die anderen: Deutlich älter, über 50, und keine 20 wie die anderen Schüler. Der Mann machte eine neue Ausbildung, obwohl er eigentlich Ingenieur war und auf der ganzen Welt gearbeitet hatte. „Damals konnte ich nicht verstehen, dass man einen so tollen Beruf aufgibt, um etwas komplett anderes zu machen“, sagt Kukulenz.

Quereinsteiger gesucht

Mittlerweile findet sie das beachtlich – auch weil sie weiß, wie viel Mut dazu gehört, die gewohnten Pfade zu verlassen. Zumal so ein Berufswechsel auch mit einem Einschnitt beim Gehalt einhergehen kann. Der 51-Jährigen ist es das wert. Sie ist froh, dass die Handelskammer für Quereinsteiger wie sie offen ist. 

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Diese Erfahrung hat auch Berufscoach Kleinhammer gemacht. Immer mehr Firmen öffneten sich für Leute, die eigentlich etwas anderes gelernt hätten. Einerseits, weil sie das Potenzial von Quereinsteigern erkannt hätten. Anderseits, weil die Not sie dazu treibe. „Unternehmen bekommen heutzutage viel weniger Bewerbungen als früher. Wenn sich ein Quereinsteiger gut verkauft, hat er fast überall eine Chance“, sagt Kleinhammer.

Eva Kukulenz hat ihre Chance genutzt. Nachdem sich die berufliche Heimat nur als Zwischenstation herausgestellt hat, ist sie weitergezogen. Ihr neue Job: „Abwechslungsreich und spannend“, sagt sie. Der Neustart ist geglückt.

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