In 22 Jahren hat Christine Elias viele Schicksale gesehen, viele Geschichten gehört. Von Immobilienkrediten, die nicht bezahlt werden konnten, von Stromrechnungen, für die kein Geld mehr da war. Seit mehr als zwei Jahrzehnten arbeitet Elias bei der Schuldnerberatung der Bremer Caritas und kennt die typischen Schuldnerbiografien. Oft, so sagt sie, seien es die Leute, die ohnehin schon wenig hätten, etwa weil sie Geld vom Jobcenter bekämen. „Überschuldung hängt in Bremen häufig mit Armutsschulden zusammen“, sagt Elias.
Zu diesem Ergebnis kommt auch der Schuldneratlas der Auskunftei Creditreform, der am Dienstag vorgestellt wurde. Er zeigt die Überschuldungsquote für die 401 kreisfreien Städte und Landkreise in Deutschland. Auf dem letzten Platz landet dabei Bremerhaven. Hier hat jeder Fünfte (21,8 Prozent) Schulden, die er nicht mit seinem Einkommen begleichen kann. Etwas besser sieht es in Bremen aus. Die Stadt kommt auf eine Überschuldungsquote von 14,4 Prozent – der Bundesdurchschnitt liegt bei 9,9.
Konkret heißt das: Rund 60.000 Menschen in Bremen sind überschuldet. In Ortsteilen wie Ohlenhof, Bahnhofsvorstadt oder Gröpelingen trifft das sogar auf jeden Fünften zu. Hohe Werte, die laut Verena Dahlke, Geschäftsführerin von Creditreform Bremen, nichts mit der Corona-Pandemie zu tun haben. Bundesweit sei die Zahl der überschuldeten Menschen in diesem Jahr sogar gesunken – ein Effekt der zuletzt guten Konjunktur, der sich jetzt verzögert zeigt. Im kommenden Jahr dürfte es aber anders aussehen, wie Geschäftsführer Peter Dahlke verdeutlicht: „Die Corona-Pandemie wird den aktuellen Positivtrend der Überschuldung in 2021 beenden.“ Er geht davon aus, dass mehr Menschen in die Schuldenfalle geraten werden. „Es ist zu erwarten, dass viele Kurzarbeiter, aber auch branchenspezifische Arbeitnehmer in die Arbeitslosigkeit und mittelfristig in die Überschuldung abrutschen.“
Menschen wollen sparen
Wie eine Untersuchung von Creditreform ergeben hat, will mehr als die Hälfte der Befragten daher sparen. Vor allem in den Bereichen Freizeit und Urlaub, Bekleidung sowie Elektronik sollen wegen der Corona-Pandemie die Ausgaben sinken. 14 Prozent gaben allerdings an, dass sie ihre Ausgaben nicht noch weiter reduzieren können.
Laut Schuldneratlas ist Arbeitslosigkeit bundesweit der häufigste Auslöser für Überschuldung. Hinzu kommen Erkrankungen, Unfälle und Sucht, aber auch Todesfälle und Scheidungen. All das könne dazu führen, dass Menschen plötzlich weniger Einkommen hätten, sagt Verena Dahlke. Die Folge: Kredite, etwa für eine Immobilie, könnten nicht mehr abbezahlt werden. Dementsprechend sei mit 17,3 Prozent bundesweit die Überschuldungsquote in der Gruppe der 30- bis 39-Jährigen am höchsten. Doch auch im Alter gibt es vergleichsweise viele Menschen mit hohen Schulden: In der Gruppe der 60- bis 69-Jährigen sind es sieben, bei den Menschen ab 70 Jahren sind es 3,6 Prozent.
Laut Peter Dahlke tritt bei jüngeren Menschen ein Grund für die Überschuldung besonders häufig auf: „unwirtschaftliche Haushaltsführung“. Das, was man ausgeben könne, werde einfach überschätzt – und am Ende werde man von den Kosten erschlagen, etwa für den Handyvertrag, die Geräteversicherungen oder das Sky-Abo. Peter Dahlke nennt das „die Klassiker“. Für viele Betroffene gebe es aber Hoffnung, sagt Verena Dahlke. Denn in dieser Altersgruppe seien die Schulden häufig vergleichsweise gering – und daher auch leichter abzubauen.
Solche Verbrauchsschulden kennt auch Christine Elias von der Schuldnerberatung. Im Durchschnitt müssten die Menschen, die zu ihr kämen, Forderungen zwischen 8000 und 12.000 Euro begleichen. „Viele kommen erst nach vielen Jahren des Leids“, sagt Elias. Etwa weil sie versucht hätten, Schulden zu tilgen, dafür dann aber an anderer Stelle Geld gefehlt habe.
Laut Elias haben viele Betroffene zwar einen Überblick, wie hoch die eigentlichen Schulden sind, sind aber davon überrascht, was an Zinsen und Inkassogebühren hinzugekommen ist. Für viele Menschen seien die Geldsorgen eine psychische Belastung und sie schliefen schlecht. Mit der Hilfe der Berater lege sich das aber häufig – selbst wenn am Ende eine Privatinsolvenz stehe. „Viele“, sagt Elias, „sind dann einfach nur erleichtert, dass alles geregelt ist.“