Die Arbeitswoche von Katja Windt endet traditionell am Freitagabend mit einer Zugfahrt nach Bremen. Zweieinhalb Stunden braucht der ICE von Düsseldorf bis in die Hansestadt. Es ist vier Jahre her, dass die ehemalige Präsidentin der Jacobs University von der Wissenschaft in die Wirtschaft wechselte – und beim international agierenden Maschinenbauer SMS Group Mitglied in der Geschäftsführung wurde.
Die Wochenenden verbringt die 52-Jährige bei ihrer Familie in Bremen. "Egal wo man wohnt – mir ist es wichtig, dass ich mein Familienleben und meinen Job miteinander verbinden kann, auch wenn das bedeutet, viel zu reisen." Die Professorin für globale Produktionslogistik und Maschinenbau weiß nicht nur in ihrem Beruf Abläufe zu optimieren, auch die Koordination zwischen den beiden Städten und Privat- und Berufsleben bedarf einer sorgfältigen Planung.
"Es war schon immer mein Ziel, in die freie Wirtschaft zu wechseln." Windt hat schon oft den nächsten Schritt in ihrem Leben vorausgedacht. Und dabei ist der Kontrast, der durch ihre Abkehr von der Wissenschaft bei einigen Menschen für Überraschung gesorgt hat, gar nicht so groß. "Industrienah konnte ich schon immer arbeiten", sagt sie. Zum Beispiel als Unternehmensberaterin oder Prozessoptimiererin in einem Stahlwerk. Übrigens habe sie bereits in ihrem Beruf als Präsidentin der Jacobs University ein Unternehmen geleitet: "Das Portfolio der Jacobs University ist Lehre und Forschung, doch sie ist auch ein wirtschaftliches Bildungsunternehmen." Windt denkt Industrie und Forschung stets zusammen, das erbringe die bestmögliche Leistung: "In beiden Welten fühle ich mich zu Hause und kann daher beides gut miteinander verbinden."
Aus der Wissenschaft heraus die Wirtschaft betrachten – mit diesem Grundsatz hat Windt eine Universität geleitet, die es nie so richtig geschafft hat, sich finanziell zu stabilisieren. Fragt man sie, ob sie bei allem Respekt für ihre Entscheidung auch Kritik für ihren kurzfristigen Weggang erfahren habe, antwortet sie schnell: "Mein Team und ich sollten für vier Jahre einen Plan erfüllen und der Plan war erfüllt." Als sie 2014 die Universitätsleitung übernahm, musste sie wegen eines Millionen-Defizits einen harten Sparkurs fahren. Bei solchen Entscheidungen helfe ihr ein bestimmtes Vorgehen: "Ich priorisiere immer wieder neu, ohne dabei die langfristigen Ziele aus dem Auge zu verlieren."
Bis heute ist sie der Jacobs University fest verbunden geblieben. Einmal im Jahr gibt sie dort noch eine Veranstaltung. "Für mich ist der Austausch mit den Studierenden und Wissenschaftlern unglaublich bereichernd." Hinsichtlich der Zukunft für die Universität bleibt sie positiv: "Ich glaube fest, dass die Jacobs University aus eigener Kraft ihre Investitionen stemmen kann. Dafür braucht es aber einen konsequent unternehmerischen Plan." Bei Letzterem kritisiert sie die Hindernisse, die durch das Zögern von Gesellschaftern und lokalen Entscheidern geschaffen wurden. Ein gemeinsames Abstimmen sei damals leider nicht möglich gewesen.
In Düsseldorf bringen über 350 Experten und Expertinnen unter ihrer Führung die Digitalisierung in der Stahlindustrie voran. Eine Vision ist das lernende Stahlwerk, ein Projekt, das auf künstlicher Intelligenz beruht. In der Tochterfirma SMS Digital trifft Datenanalyse auf 150-jähriges Fachwissen eines Stahlunternehmens. "Unser Unternehmen hat einmal den Hochofen mitentwickelt. Jetzt schaffen wir ihn wieder ab, indem wir schrittweise die Dekarbonisierung vorantreiben."
Neben innovativen Zukunftstechnologien begeistert ihr Job sie noch auf einer anderen Ebene: "Es macht mir unglaublich großen Spaß, ein Team neu aufzubauen." Windt weiß, dass sie niemals allein ein großes Projekt erfolgreich starten und beenden könne. "Wenn man Erfolg haben will, braucht es ein motiviertes Team. Es ist meine Aufgabe, die anderen zu motivieren." Windt hält kurz inne und fügt dann hinzu: "Misserfolg kommt auch mal vor – wichtig ist, dass wir durch Lernen die Zukunft neu gestalten." Und dann fällt ihr noch ein Zitat von Edison ein: "Ich habe keine Fehler gemacht, ich habe nur 10.000 Wege gefunden, die nicht funktioniert haben."
Die SMS Group beschäftigt weltweit knapp 14.000 Mitarbeiter. Mit ihrem Wechsel hat Windt sehr viel Verantwortung übernommen: "Das gehört einfach dazu. Es gibt Herausforderungen, da muss man einen Weg finden. Fertig."
Windt ist geübt darin, viele Stränge zusammenzuhalten. Wenn nicht gerade eine globale Pandemie herrscht, reist sie regelmäßig zu Kunden nach China oder den USA. "Ich brauche immer ein Grundverständnis von Märkten, Kunden und dem Produkt." Aber auch vom Menschen, der dahinter steht. Gerade in der Pandemie habe ihr der persönliche Austausch mit Kunden, aber auch den Teamkollegen gefehlt, die "emotionale Verbindung", wie sie sagt.
Auch wenn Windt nur noch an wenigen Tagen im Jahr in Bremen lebt, bedeutet ihr die Hansestadt viel. Bei ihrem Mann und den drei Kindern könne sie gut abschalten. Die Feiertage habe sie zusammen mit ihrer Familie verbracht, mit Brettspielen oder dem Zusammenbau von technischen Produkten. Das Tüfteln ist wohl in der ganzen Familie beliebt – im vergangenen Jahr hätten alle zusammen ein ferngesteuertes Auto gebaut.