Für grünen Stahl aus Bremen wollen der Bund und das Land Bremen gut eine Milliarde Euro an Fördermitteln zur Verfügung stellen. Aber: Eine Entscheidung, ob Arcelor-Mittal das Geld in Anspruch nehmen will, steht weiterhin aus. Glaubt das Unternehmen noch an den grünen Stahl aus Bremen?
Thomas Bünger: Ja, natürlich glaubt Arcelor-Mittal an den grünen Stahl. Wir wollen bis 2030 in Europa 35 Prozent unserer CO2-Emissionen einsparen und bis 2050 weltweit klimaneutral werden. Deshalb planen wir für unsere Standorte – auch in Bremen – die Umstellung der Produktionsprozesse – weg vom Hochofen hin zu CO2-neutralen Verfahren. Das erfordert aber in der Tat die Verfügbarkeit von erneuerbaren Energien in ausreichenden Mengen und zu wettbewerbsfähigen Preisen. Sonst wird der Betrieb solcher Anlagen schwierig.
Im Moment sind die Preise nicht wettbewerbsfähig, sagt ihr Europa-Chef Geert van Poelvoorde: Sie bräuchten für die geplanten Anlagen Wasserstoff für zwei Euro das Kilo – tatsächlich kostet er in Europa sechs bis sieben Euro, mit ein paar Optimierungen vielleicht fünf Euro. Steht damit die Produktion von grünem Stahl in Europa infrage?
Mit Preisen von fünf, sechs oder gar acht Euro ist kein wettbewerbsfähiger Stahl herzustellen. Das muss in der Tat deutlich runter, auf etwa zwei Euro pro Kilogramm. Und von den Volumina, die wir allein für das Werk in Bremen bis 2030 benötigen, sind wir ebenfalls noch weit weg. Wir reden da über 135.000 bis 150.000 Tonnen im Jahr – die sind im Moment nirgendwo verfügbar. Da sind also in der Tat noch einige Schritte zu gehen.
Arcelor-Mittal Bremen hat bereits einen Vertrag mit EWE für eine Wasserstoff-Belieferung ab 2028 abgeschlossen. Was sind da für Preise vorgesehen?
Sie werden verstehen, dass ich keine konkreten vertraglichen Vereinbarungen offenlegen kann, aber es wird am Ende ein wettbewerbsfähiger Preis sein müssen.
Thyssen-Krupp will ab 2028 den ersten Wasserstoff in seinen Anlagen einsetzen, 2029 in den Vollbetrieb gehen, mit 143.000 Tonnen im Jahr. Warum kann Thyssen-Krupp das und Sie nicht?
Zu den Preisen, mit denen Thyssen-Krupp kalkuliert, kann ich nichts sagen. Unsere Kalkulation ergibt ganz klar einen Preis von etwa zwei Euro pro Kilo Wasserstoff, der für eine wettbewerbsfähige Produktion notwendig ist. Und da sind wir noch nicht.
Kommen wir denn da irgendwann hin?
Ich bin kein Spezialist für die Wasserstoff-Elektrolyse, aber wenn ich den Herstellern so zuhöre, dann bin ich optimistisch, dass es mit dem technischen Fortschritt möglich ist, erhebliche Effizienzgewinne zu erzielen. Wir haben ja ohnehin vor, in Stufen vorzugehen: Wir werden den Prozess mit Erdgas beginnen – so wie wir das schon seit vielen Jahrzehnten in unserem Werk in Hamburg machen. Und je nach Verfügbarkeit und Preis können wir das dann nach und nach hin zu mehr Wasserstoff verändern.
Könnte es passieren, dass die DRI-Anlage auf Dauer mit Erdgas betrieben wird, weil der Wasserstoff nicht konkurrenzfähig ist?
Das hängt von der Verfügbarkeit des Wasserstoffs ab, und im Moment bin ich nicht in der Lage zu sagen, ob wir ab 2030 oder darüber hinaus ausreichende Mengen zur Verfügung haben werden. Deshalb wollen wir da flexibel vorgehen.
Sie wollen sich zwölf Monate Zeit nehmen für die Feinplanung des Projekts in Bremen und erst dann soll es eine Investitionsentscheidung geben. Was genau muss denn noch geplant werden – Sie beschäftigen sich doch schon seit Jahren mit dem Projekt?
Das "basic engineering", also der Grundentwurf, steht. Da haben wir aber immer noch eine Ungenauigkeit in der Kostenkalkulation von plus/minus 30 Prozent, was bei einer geplanten Investition von zweieinhalb Milliarden Euro etwa 750 Millionen ausmacht. Das müssen wir jetzt in einer Detailplanung genauer kalkulieren: Wie viele Meter Rohrleitungen brauche ich? Wie viel Kubikmeter Beton? Am Ende steht dann eine Kostenberechnung mit plus/minus zehn Prozent Unsicherheit, und damit gehen wir dann in die Investitionsentscheidung.
Neben Wasserstoff braucht das Werk künftig große Mengen an Strom für die Elektrolichtbogenöfen. Die Bundesregierung hat im November die Einführung eines Industriestrompreises beschlossen, mit allerhand Vergünstigungen für die energieintensive Industrie. Unter dem Strich soll das auf einen Strompreis von weniger als sechs Cent pro Kilowattstunde für ein Stahlwerk hinauslaufen. Ist das konkurrenzfähig?
Den Preis kann ich leider noch nicht sehen. Wir brauchen einen Preis, der um die 50 Euro pro Megawattstunde liegt, also fünf Cent pro Kilowattstunde. Eine solche Festlegung kenne ich in Deutschland nicht – im Gegenteil: In der Haushaltsdebatte sind einige der in Aussicht gestellten Vergünstigungen wieder ad acta gelegt worden. Da erwarten wir von der Politik schon noch ein deutliches Zeichen, um unsere Investitionen in Bremen und Eisenhüttenstadt sicher planen zu können.
Andere Arcelor-Mittal-Standorte wie etwa die französischen Hüttenwerke in Dünkirchen und Fos-sur-Mer sind Bremen da voraus?
Das ist so. Frankreich macht da sehr deutlich Industriepolitik. Wir liegen dort bei den Strompreisen etwa in dem von mir genannten Bereich, bei 50 Euro pro Megawattstunde. In Deutschland liegt der Börsenpreis zwischen 120 und im Idealfall vielleicht mal 65 Euro. Ich halte es also für angeraten, dass Deutschland sich daran ein Beispiel nimmt und der Industrie einen "Brückenstrompreis" für die Übergangsphase garantiert.
Thyssen-Krupp hat gerade einen Vertrag mit RWE zur Lieferung von grünem Strom aus einem Offshore-Windpark abgeschlossen. Kalkulieren die anders?
Ich kenne die Preise von Thyssen-Krupp nicht. Die Stromlieferverträge aus Windenergie, die ich kenne, liegen alle im hohen zweistelligen Bereich. Damit können wir nicht überleben.
Ihre Mitbewerber haben bereits Anlagen bestellt und zu bauen begonnen. Salzgitter will bis 2026 bereits ein Drittel seiner Produktion auf das neue Verfahren umgestellt haben. Gerät Arcelor-Mittal mit seiner abwartenden Haltung da ins Hintertreffen?
Da habe ich keine Bedenken. Wir verfügen ja schon über Erfahrungen mit dem Betrieb von DRI-Anlagen und E-Ofen in unserem Schwesterwerk in Hamburg. Mit dem Zeitplan, den wir jetzt verfolgen, habe ich ein gutes Gefühl, dass wir auf dem Markt für grünen Stahl dabei sind.
Wie sieht denn der Zeitplan aus?
Das wird jetzt im Rahmen der Detailplanung erarbeitet. Ich gehe davon aus, dass wir um 2027/28 mit der Produktion starten können.
Welche Argumente sprechen für den Standort Bremen?
Zum einen die Zuverlässigkeit, auch der Belegschaft. Wir arbeiten seit Jahren am Thema Transformation, an der Qualifizierung unserer Mitarbeiter, am Thema Fachkräftegewinnung – und das alles zusammen mit der Belegschaft und der Gewerkschaft.
Die Mitbestimmung als Standortvorteil, wie die IG Metall immer wieder betont?
Das ist ein Vorteil, natürlich. Dass wir gemeinsam an diesen Themen arbeiten, ist ein Alleinstellungsmerkmal für unsere Standorte im Konzern.
Ist die Lage an der Küste ein Vorteil – im Hinblick auf die Verfügbarkeit von Windenergie, Wasserstoffimporten und so weiter?
Das zählt sicherlich auch. Wir sind hier per Schiff erreichbar. Wir haben ein Leitungsnetz – wenn es mal genug Wasserstoff gibt, sind wir sicherlich mit die Ersten, die ihn bekommen.
Unterm Strich: Sind Sie eher optimistisch, dass sich der Konzern für die Investition in Bremen entscheidet?
Wenn wir die Rahmenbedingungen herstellen – vor allem die Verfügbarkeit von Energie zu wettbewerbsfähigen Preisen – bin ich optimistisch, damit unser Investitionsvorhaben im Konzern verteidigen zu können.