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Arcelor-Mittal Wirtschaftsminister in Bremen: Hohe Erwartungen an Habeck-Besuch

Am Montag besucht Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die Bremer Hütte. Die Erwartungen sind hoch. Es geht um nicht weniger als die Frage, ob in Bremen weiter Stahl gekocht werden kann.
05.02.2024, 05:00 Uhr
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Wirtschaftsminister in Bremen: Hohe Erwartungen an Habeck-Besuch
Von Christoph Barth

Den besten Überblick gewinnt man vom Dach des Kraftwerks. Der Lastenfahrstuhl und ein paar Treppenabsätze aus Rostblechen befördern einen im Handumdrehen aus dem Halbdunkel des Kesselhauses hinauf ins Licht, 60 Meter hoch über der Weser. Nur die Hochöfen und ein paar Schornsteine ringsherum ragen noch höher in den Himmel, der an diesem Tag tatsächlich fast blau ist. Der Rest des Hüttenwerks von Arcelor-Mittal liegt einem hier oben zu Füßen. "Unsere provisorische Aussichtsplattform", sagt Michael Hehemann, der Arbeitsdirektor des Werks – und damit der beste Ort, die grundstürzenden Veränderungen in den Blick zu nehmen, die auf ihn und die gut 3000 Beschäftigten der Hütte in den nächsten Jahren zukommen.

Im Gegenlicht der Mittagssonne ragen die Silhouetten der Hochöfen 2 und 3 am Weserufer auf. 10.000 Tonnen Roheisen können sie am Tag erschmelzen, aus Erzen, die per Schiff aus aller Welt herangeschafft werden. Es sind computergesteuerte Hochleistungsaggregate – doch im Prinzip funktionieren sie immer noch so wie vor 300 Jahren, als in England der erste steinkohlebefeuerte Hochofen angefahren wurde.

Bis zu 2200 Grad im Hochofen

Was bei bis zu 2200 Grad im Inneren eines Hochofens passiert, ist kein simpler Schmelzvorgang, sondern eine Abfolge chemischer Reaktionen. "Chemisch betrachtet, wird das Eisenerz in einem Hochofen reduziert", erklärt Hehemann. Sprich: Das Eisenoxid wird seines Sauerstoffs beraubt. Als "Räuber" dient dabei der Kohlenstoff, der als Koks – einer Art gebackener Steinkohle – mit dem Erz zusammen in den Ofen gekippt wird. Am Ende rinnen unten Eisen und Schlacke aus dem Ofen – und oben entweicht Kohlendioxid. Und zwar jede Menge davon.

Die ebenso segensreiche wie fatale Verbindung von Kohlenstoff und Sauerstoff steht mittlerweile als Haupttreiber der Klimaerwärmung am Pranger. Hochöfen blasen – je nach Berechnungsmethode – für jede erzeugte Tonne Roheisen anderthalb bis zwei Tonnen Kohlendioxid in die Luft. Deshalb sind ihre Tage gezählt.

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Hehemann wechselt auf dem Dach des Kraftwerks die Seite, Blickrichtung Norden. Dort liegt das Stahlwerk, von außen betrachtet ein grauer Hallenkomplex mit Abgasrohren so dick wie eine Wasserrutsche über dem Dach. Im Inneren brodeln zwei riesige Pötte vor sich hin, die Konverter. In regelmäßigen Abständen werden sie mit dem Roheisen aus den Hochöfen befüllt, zweimal 290 Tonnen glühend heißes, flüssiges Metall. Dann blasen die Stahlwerker Sauerstoff auf die Schmelze, um Kohlenstoffreste und andere Verunreinigungen zu entfernen. Danach erst zeigt sich der Stahl geschmeidig genug, um zu dünnem Blech ausgewalzt zu werden. Für Autokarosserien, zum Beispiel. Oder Kühlschränke.

Neue Hallen und Ofentürme

So läuft es bislang. Doch auf dem Plan, den Hehemann auf der Brüstung des Kraftwerksdaches ausbreitet, sieht das Hüttengelände schon ganz anders aus. In Blau und Grün und Rot ragen neue Hallen und Türme auf, die in den kommenden Jahren gebaut werden sollen – dort, wo jetzt noch ein Ballett von Förderbändern die Hochofenschlacke aufhäuft und sortiert. "Die Schlackeaufbereitung werden wir verlegen", erklärt der Arbeitsdirektor und weist mit dem Arm nach links, zum Rand des Werksgeländes. "Da kommen dann die DRI-Anlage und die EAFs hin."

DRI, EAF – selbst für die Bremer Hüttenwerker, die ihren Stahl seit Jahrzehnten in Hochöfen und Konvertern kochen, sind die Kürzel noch ungewohnt. Sie stehen für eine technische Revolution. Nichts wird bleiben, wie es ist: Der Stahl wird "grün", hergestellt weitgehend ohne CO2-Abgase. Die Technologie ist eigentlich nicht neu. Sie war bislang nur zu teuer, um gegen die voll austrainierten Hochöfen zu bestehen. Der Klimawandel erzwingt jetzt ein Umdenken. "Ich glaube nicht, dass in den 2030er-Jahren in Europa noch jemand CO2-belasteten Stahl kaufen wird", prognostiziert Hehemann.

Die DRI-Anlage, die die beiden Hochöfen ersetzen soll, wird diesen bei einem Größenvergleich in nichts nachtstehen, im Gegenteil: 160 Meter hoch soll sich der Ofenturm über das Werksgelände erheben. DRI – das ist die englische Abkürzung für "direktreduziertes Eisen". Wie im Hochofen geht es darum, dem Eisenerz seine Sauerstoffmoleküle zu rauben. Als "Räuber" tritt in der geplanten DRI-Anlage aber nicht Kohlenstoff, sondern Wasserstoff auf. Als Abfallprodukt entsteht also statt des Treibhausgases CO2 einfach – Wasser.

Lichtblitz im Elektroofen

Die heißen Eisenbriketts, die unten aus DRI-Anlage purzeln, müssen anschließend eingeschmolzen werden, zusammen mit Schrott, der auf diese Weise zu Stahl recycelt wird. Das geschieht unter großem Getöse und Geknatter in einem Ofen, in dem mit Hilfe von sehr viel Strom ein Lichtbogen erzeugt wird, einem Blitz ähnlich. Zwei Elektro-Lichtbogenöfen (englische Abkürzung: EAF) plant Arcelor-Mittal für sein Bremer Werk; sie sollen in einer riesigen Halle direkt neben der DRI-Anlage stehen und die Konverter im Stahlwerk ersetzen.

Hehemann rollt seinen Plan zusammen. "Wir sind gut vorbereitet", versichert er. Die Etappen auf dem Weg zum grünen Stahl sind abgesteckt. Doch es bleiben viele Fragen – technische, wirtschaftliche, soziale. Vor allem: Wird der grüne Stahl aus Deutschland konkurrenzfähig sein? 2,5 Milliarden Euro will Arcelor-Mittal in die Umrüstung seiner Hüttenwerke in Bremen und Eisenhüttenstadt stecken. Dafür hofft das Unternehmen auf Hilfe vom Staat: Rund die Hälfte der Investitionskosten wollen der Bund und das Land Bremen übernehmen. Die Förderung muss jedoch von der EU-Kommission abgesegnet werden. Und darauf warten Hehemann und seine Kollegen jetzt seit zweieinhalb Jahren.

Für diesen Montag hat sich hoher Besuch angekündigt auf der Hütte: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat seine Teilnahme an einer außerordentlichen Betriebsversammlung zugesagt. Und er würde das nicht tun, wenn er nicht gute Nachrichten zu verkünden hätte, so die Erwartung. Ein Okay aus Brüssel zum Großumbau der Bremer Hütte, zum Beispiel.

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