Herr Spinn, ein aus vielen Gründen schwieriges Jahr endet nun bald. Wie schauen Sie fürs Jobcenter zurück?
Thorsten Spinn: Es sind sehr herausfordernde Zeiten. Im vergangenen Sommer haben wir die Verantwortung für die Geflüchteten aus der Ukraine bekommen. Wir haben viele Tausende Menschen in sehr kurzer Zeit in unser System aufgenommen. Und dann haben wir fast parallel dazu die Einführung des Bürgergelds in diesem Jahr vorbereitet. Aus meiner Sicht haben wir das gut gemeistert. Die Erhöhung des Regelsatzes hat problemlos funktioniert, was für die Bremerinnen und Bremer sehr wichtig war.
Wie viele Empfänger gibt es derzeit in der Stadt?
Im Moment beziehen rund 80.000 Menschen bei uns Leistungen. Darin inbegriffen sind auch alle Kinder. Jeder siebte Bremer bekommt also Bürgergeld in unterschiedlicher Höhe. Wir haben schon festgestellt, dass sich deutlich mehr Menschen beraten lassen, welchen Anspruch sie möglicherweise haben. Tatsächlich ein Antrag gestellt worden ist aber trotz der Regelsatzerhöhung nicht öfter.
Von Gebäudereinigungsunternehmen war zu vernehmen, dass dort Beschäftigte mit Verweis aufs Bürgergeld gekündigt haben. Können Sie das in irgendeiner Form beobachten?
Ich kann diese Debatte nicht nachvollziehen. Diese Behauptung, dass Menschen ihren Job aufgeben, lässt sich statistisch nicht belegen. Ob es das in Einzelfällen gibt – das kann ich nicht ausschließen. Ein Massenphänomen ist es aber auf keinen Fall. Das Gegenteil ist richtig: Wir können uns anschauen, aus welchen Berufen und Branchen Menschen zu uns kommen. Im Vergleich zu den Vorjahren verzeichnen wir weniger Zugänge ins Bürgergeld.

Thorsten Spinn ist seit 2020 Geschäftsführer des Jobcenters Bremen.
Wie viel Geld haben Sie insgesamt in diesem Jahr in die Hand genommen, um Menschen wieder in die Arbeit zu bringen?
Wir werden bis Ende des Jahres knapp 70 Millionen Euro ausgegeben haben, um Menschen bei der Arbeitsmarktintegration zu unterstützen. Das ist einer der höchsten Werte, die wir jemals verausgabt haben. Wir haben damit etwa knapp 11.000 Bremerinnen und Bremer unterstützt.
Und wie sieht es im nächsten Jahr aus? Die Jobcenter müssen sparen.
Wir können heute von einem Budget von etwa 63 Millionen Euro ausgehen. Daraus ergibt sich natürlich, dass wir weniger Menschen unterstützen können. Das Geld reicht nach unseren Planungen für 8800 Bremerinnen und Bremer.
Das ist schon ein deutlicher Einschnitt. Jetzt müssen Sie stärker abwägen, was ermöglicht werden kann.
Wir fokussieren uns darauf: Was bringt den Menschen am meisten? Wir haben in den letzten Jahren ein sehr auskömmliches Budget gehabt. Wir konnten deshalb mutig sein. Jetzt haben wir uns stärker damit beschäftigt, welche Maßnahmen in der Vergangenheit wenig Wirkung hatten – wo wir den Rotstift ansetzen können. Wir werden da sparen müssen. Das, was notwendig und gut war, werden wir weiterhin machen.
Was heißt das konkret?
Wir werden zum Beispiel kaum Abstriche im Bereich der Qualifizierung vornehmen, weil wir in Bremen einen so hohen Anteil an ungelernten Menschen bei uns im Bürgergeldbezug haben. Wir werden bei den Maßnahmen für Jugendliche nicht sparen, weil wir überzeugt sind, dass der Übergang von der Schule in den Beruf einfach so zentral wichtig ist.
Ab Januar gibt es mehr Geld für Bürgergeldempfänger. Kritikern zufolge fällt damit der Anreiz für eine Arbeit weg. Ist da was dran?
Ich bin zum einen davon überzeugt, dass die Erhöhung dringend erforderlich ist. Für die Bürgergeldbezieher geht es um einen Ausgleich der hohen Inflation – um nicht mehr und nicht weniger. Das Bürgergeld wird auch in der neuen Höhe wirklich nur das Existenzminimum abdecken. Damit kann man keine großen Sprünge machen. Berechnungen wie von der Arbeitnehmerkammer Bremen zeigen: Arbeit lohnt sich finanziell immer. Und Arbeit bringt noch andere Vorteile, soziale Kontakte oder Erfolge. Das kommt mir oft zu kurz. Wo ich durchaus ein gewisses emotionales Verständnis habe, ist die Frage: Verdiene ich wirklich so viel mehr als ein Bürgergeldempfänger?
Und womöglich müssen weitere Ansprüche geltend gemacht werden – wie das Wohngeld.
Ja. Und das macht natürlich etwas mit einem, wenn ich vielleicht sogar trotz Vollzeitarbeit Leistungen beantragen muss. Die Politik muss immer wieder überprüfen: Gibt es noch genügend Abstand beim Einkommen? Die Diskussion muss geführt werden.
Wir spüren im Alltag schon den Mangel an Fachkräften und Arbeitskräften. Darum kommt immer wieder die Frage auf: Warum haben wir zugleich Arbeitslosigkeit? Oft hat es jedoch schwerwiegende Gründe, warum jemand nicht berufstätig ist. Wie viele Menschen sind aufgrund persönlicher Bedingungen zu weit weg vom ersten Arbeitsmarkt?
Wir haben sicherlich Menschen bei uns, für die ist der erste Arbeitsmarkt wahrscheinlich kaum noch erreichbar – wo es auch mit aller Unterstützung schwer wird. Das würde ich aber im einstelligen Prozentbereich ansiedeln. Ansonsten haben wir viele individuelle Gründe, warum Menschen im Moment noch nicht auf dem ersten Arbeitsmarkt untergekommen sind. Natürlich sind Sprachbarrieren für viele, die nach Deutschland gekommen sind, nach wie vor ein Thema. Der Weg dauert häufig länger. Es braucht außerdem auch Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die den Menschen in seiner Lebenssituation aufnehmen. Ich bin davon überzeugt, viele wollen und können arbeiten.
Einige Bürgergeldempfänger tun das sogar schon, aber der eigene Verdienst reicht nicht zum Leben. Wie groß ist derzeit der Anteil der sogenannten Aufstocker?
Es geht bei rund 53.000 der Bürgergeldbezieher wirklich darum, dass wir sie in Arbeit und Ausbildung bringen wollen. Ein Fünftel von ihnen arbeitet bereits – und zwar bis hin zur Vollzeit. Das darf man nicht verkennen. In der Diskussion entsteht oft das Bild, dass Bürgergeldbezieher dem Staat auf der Tasche liegen. Das ist nicht so. Einige können vielleicht noch nicht mehr arbeiten, weil die Kinderbetreuung nicht ausreichend ist. In Bremen ist das eine Herausforderung – besonders für Alleinerziehende.
Haben sich Ihre Hoffnungen erfüllt, die Sie mit dem Wechsel von Hartz IV zum Bürgergeld verbunden haben?
In Teilen. Allein der Begriff Hartz IV war damals sehr stigmatisiert. Eine Umbenennung hat dazu beigetragen, dass der Blick auf diese Sozialleistung ein anderer geworden ist. Insofern ist das ein wichtiger Erfolg neben der Erhöhung der Regelleistung an sich. Es sind Vereinfachungen in den Abläufen versprochen worden, die teils eingetreten sind, was erfreulich ist – Stichwort Bürokratieabbau. Wir haben aber bis heute auch Vorgänge, die unsere IT immer noch nicht umsetzen kann.
Und wie sieht es bei den neuen Förderprogrammen aus, die Menschen in Arbeit bringen sollen?
In Bremen arbeiten wir mit dem Weiterbildungsbonus schon länger – da waren wir Vorreiter. Wir erreichen darüber gar nicht groß mehr Menschen. Wer sich aber auf den Weg macht, einen Berufsabschluss nachzuholen, der hält durch. Daneben gibt es seit dem Sommer für Qualifizierungen einen Bürgergeldbonus von 75 Euro. Wegen des Sparzwangs im Bundeshaushalt scheint dieser Bonus jedoch zur Diskussion zu stehen. Das bedauere ich sehr, dass man solche motivierenden Ansätze wieder zurücknehmen möchte.
- Das Gespräch führte Lisa Schröder.