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Interview mit neuer Vorständin "BSAG könnte 1000 neue Jobs schaffen"

Die Bremer Straßenbahn AG soll eine zentrale Rolle bei der Verkehrswende spielen. Bis zu 1000 neue Arbeitsplätze werden für das Ausbauprogramm benötigt, sagt die neue Vorständin Claudia Wiest im Interview.
06.01.2023, 05:00 Uhr
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Von Jürgen Theiner

Frau Wiest, von Ihrem Unternehmen wird nicht weniger erwartet, als Motor der Verkehrswende in Bremen zu sein. Sind Sie dazu in der Lage?

Claudia Wiest: Wer, wenn nicht wir? Natürlich müssen wir hart dafür kämpfen, erst einmal unser aktuelles Soll zu schaffen. Mittel- und langfristig geht es darum, ein wichtiger Teil des Klimaprogramms zu werden.

Der ÖPNV steht in Bremen für etwa 15 Prozent des Verkehrsaufkommens. Im Vergleich mit Kommunen vergleichbarer Größe ist das eher wenig. Wie wollen Sie da vorankommen?

Diese Zahl hat mich zuerst auch erschreckt. Man vergleich aber in der Regel den gesamten Block des Fahrrad-, Fuß- und öffentlichen Personennahverkehrs mit dem motorisierten Individualverkehr. Wenn man dieses Verhältnis in den Blick nimmt, ist Bremen ganz schön gut. Auch im Vergleich mit anderen Städten. Für die Umwelt ist zu Fuß gehen oder Fahrrad fahren natürlich klasse. Der ÖPNV ist aber trotzdem wichtig und hat auf jeden Fall noch Luft nach oben. Wir wollen für die Autofahrer eine echte Alternative darstellen.

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Wer zusätzliche Kunden gewinnen will, muss das Angebot verbessern. Die Politik hat Ihnen eine Angebotsoffensive verordnet. Sie sieht den Ausbau des Netzes und perspektivisch einen Fünf-Minuten-Takt auf den wichtigen Strecken vor. Aktuell verschlechtert sich das Angebot eher. Sie fahren eine Art Notfahrplan, weil ihnen Personal fehlt.

Das treibt uns wirklich um. Wir sind unzufrieden damit, dass wir in einem Krisenmodus unterwegs sind. Es geht ja darum, dass wir unser Tagesgeschäft verlässlich abwickeln und den Ausbau einleiten. Wenn wir eine Alternative sein wollen, müssen wir in den Randzeiten öfter fahren und die Takte verdichten. Wir müssen eigentlich so fahren, dass es kaum noch einen Fahrplan braucht, sondern der Kunde den Eindruck hat: Wir sind da und Teil seines Lebens.

Dazu braucht man...

Zusätzliche Fahrzeuge, Infrastruktur und vor allem Menschen. Die sind allerdings gerade in ganz Deutschland ein rares Gut.

Wie viele Leute müssten Sie denn neu einstellen, wenn Sie das Angebot so ausbauen, wie von der Politik vorgegeben?

Wenn wir den ÖPNV so ausbauen, wie derzeit geplant, könnten im Laufe der kommenden zehn Jahre bis zu 1000 neue Arbeitsplätze für Bremen entstehen. Wir reden da von zusätzlichen attraktiven Tätigkeiten im gesamten Unternehmen, also nicht nur im Fahrdienst, sondern auch in Werkstätten und Verwaltung. Aktuell beschäftigt die BSAG gut 2300 Mitarbeiter. Die Betriebsleistung würde gerade in den Randzeiten und Randbereichen deutlich zunehmen, insgesamt um etwa 50 Prozent. Der Zeithorizont reicht bei diesem Ausbau bis 2035.

Wie wollen Sie so viele Menschen für die BSAG gewinnen?

Das ist die Frage aller Fragen. Der Blick muss natürlich über die Bremer Grenzen hinausgehen, auch über die deutschen. Wir müssen da verschiedene Wege gehen. Einer ist selbstverständlich die Ausbildung. Wir müssen Menschen finden, die sich ausbilden lassen wollen, die diese Ausbildung bestehen und sich anschließend bewähren. Diese Leute müssen auch noch das Gefühl haben: Dieser Job ist so gut, dass ich gern bleiben möchte. Was die Personalgewinnung nicht leichter macht, ist der Umstand, dass wir ein Dienstleister sind, der an 365 Tagen 24 Stunden Service bietet. Man muss das aushalten, geistig und körperlich.

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Neben jungen Schulabgängern nehmen Sie auch welche anderen Gruppen ins Visier?

Zum Beispiel Studenten, die im Nebenjob im Fahrdienst tätig sein wollen. Auch ältere Menschen, die in eine berufliche Tätigkeit zurückkehren wollen. Uns ist auch klar, dass wir neue Arbeitszeitmodelle vorschlagen müssen, damit eine Tätigkeit im Fahrdienst für mehr Frauen interessant und machbar wird – überhaupt für alle Menschen, die nicht Vollzeit arbeiten möchten.

Ihr fahrendes Personal schicken Sie in einen Alltag, in dem immer häufiger die elementarsten Regeln des Anstands verletzt werden. In die Bahnen steigen Leute ein, die zum Fahrer sagen: Fahr los, du Arschloch. So hat es Ihre Vorstandskollegin Monika Alke selbst kürzlich in der Verkehrsdeputation berichtet. Wer soll sich eine solche Arbeitsumgebung freiwillig antun?

Natürlich ist das ein Problem. Aber man kann sich darauf einstellen. Ein Mensch, der mich anpöbelt, weil ich ein Dienstleister bin und seinen Erwartungen nicht entspreche, der meint erst mal nicht mich, wenn er ausfallend wird. Der meint die Institution.

Für den betroffenen Bus- oder Straßenbahnfahrer ist das ein schwacher Trost.

Aber auf diese Weise kann ich das an mir abprallen lassen. Ich kann neutral sagen: Du kennst mich nicht, du meinst mich nicht – ich wünsch dir 'nen schönen Tag. Unsere Leute müssen solchen verbalen Aggressionen in dieser Weise begegnen, denn man braucht ja eine Art Schutzmauer zwischen der eigenen Person und dem Fahrgast, der ausfallend wird.

Die Bremer Politik will einerseits Tempo bei der Verkehrswende, lässt sich aber jede Menge Zeit bei den planerischen Vorgaben. Die Frage einer möglichen Verlagerung der Straßenbahn aus der Obernstraße in die Martinistraße ist weiterhin offen. Alles, worauf sich die Koalition in der laufenden Legislaturperiode einigen konnte, ist eine Machbarkeitsstudie. Treibt Sie dieses Schneckentempo nicht in den Wahnsinn?

Langsamkeit ist inzwischen generell ein gesellschaftliches Problem. Alles wird zehnmal diskutiert und wieder infrage gestellt. Es wäre schon gut, wenn jetzt alle Sachargumente von einer neutralen Instanz noch einmal bewertet würden und dann aber eine Sachentscheidung gefällt wird. In der Luft hängende Probleme machen alle unzufrieden.

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Im Frühjahr soll das 49-Euro-Ticket kommen, viele Details sind aber auch hier noch unklar. Was ist Ihre Botschaft an die Zeitkarteninhaber, die sich in Kürze überlegen müssen, ob sie beispielsweise von der beliebten MIA-Karte der BSAG auf das bundesweit gültige 49-Euro-Ticket umsteigen?

Das 49-Euro-Ticket kommt nach jetzigem Stand entweder zum 1. April oder zum 1. Mai. Da hängt ein großer organisatorischer Vorlauf für den Vertrieb aller Verkehrsunternehmen dran. Wichtig ist: Die BSAG hat Produkte, die für eine Vielzahl unserer Kunden spannender sind als das 49-Euro-Ticket. Die sind günstiger, haben bestimmte Zusatznutzen und sind übertragbar. Meine Botschaft an unsere Kunden ist deshalb: Wartet bitte ab. Wir finden für euch das passende Produkt.

Das Gespräch führte Jürgen Theiner.

Zur Person

Claudia Wiest

ist seit Dezember Mitglied des dreiköpfigen Vorstands der Bremer Straßenbahn AG und dort für den kaufmännischen Bereich zuständig. Seit rund 20 Jahren arbeitet sie in Führungspositionen der Nahverkehrsbranche. Vor ihrem Wechsel zur BSAG war sie kaufmännische Geschäftsführerin bei den Verkehrsbetrieben Potsdam.

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